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Das erste Mal, dass ich den Namen Hans Bender gehört hatte, war ziemlich genau um meinen 10. Geburtstag herum. Fasziniert hörte ich damals in den SWF 1-Radionachrichten von Chopper. Chopper war ein Geist, der aus dem Waschbecken einer bayerischen Zahnarztpraxis heraussprach. Und zwar zur damals 16-jährigen Zahnarzthelferin Claudia, in die er nämlich verliebt war, der Geist. Er machte ihr Anträge und belästigte Patienten in der Praxis. Bald ermittelte die Polizei in dem Fall, und eben auch der Freiburger Parapsychologe Hans Bender. Der Fall wurde zum internationalen Medienereignis. Und der Spuk flog ein Jahr später auf. Hinter Chopper steckte nämlich Claudia selbst, das Zahnarztehepaar war auch beteiligt. Die drei landeten vor Gericht und wurden zu empfindlichen Geldstrafen verurteilt.
Dieser Fall brachte das Freiburger parapsychologische Institut von Hans Bender zu internationaler Bekanntheit. Ein Glücksfall für uns ist, dass Bender bei seinen parapsychologischen Ermittlungen immer wieder von einem Fotografen begleitet wurde, der die Untersuchungen dokumentierte, aber auch fotografisch-künstlerisch verarbeitete. Diese Fotografien sind nun in der beeindruckenden Ausstellung „SPUK! Die Fotografien von Leif Geiges“ noch bis zum 26. September 2021 im Haus der Graphischen Sammlung des Freiburger Augustinermuseums zu sehen. Begleitet wird die Ausstellung von einem umfangreichen Katalog, herausgegeben von Andreas Fischer und Dieter Vaitl im Michael Imhof-Verlag.

Wer aber war denn dieser Professor Bender? Bender, Jahrgang 1907, war gebürtiger Freiburger, der zunächst Jura, später aber unter anderem Psychologie und Medizin studierte. Er trat in die NSDAP ein und lehrte von 1941 bis 1944 an der „Reichsuniversität“ Straßburg Psychologie sowie Grenzgebiete der Psychologie. Er beschäftigte sich mit Astrologie und Wünschelrutengehen. 1944 kam er in ein britisches Internierungslager, nach dem Krieg kehrte er nach Freiburg zurück. Dort gründete er im Jahr 1950 das „Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene“ (IGPP), das bis heute existiert.
Fürderhin war die Erforschung des Okkulten – Gedankenübertragungen, Spukerscheinungen, Wahrträume, Zukunftsvorhersagen, Kontaktaufnahmen zu Verstorbenen, unerklärliche Phänomene – die Lebensaufgabe Benders, die er mit Akribie und keineswegs mit Medien- und Öffentlichkeitsscheu betrieb. Stets war er darauf bedacht, seine Forschungen der Öffentlichkeit zu präsentieren. Seine Vorlesungen in der Aula der Freiburger Uni hatten großen Zulauf, weit über die Studentenschaft hinaus („Wir gehen zu Benders Märchenstunde“). Bender wollte die Erforschung des Übernatürlichen auf die Beine der Wissenschaft stellen und kam dabei zu folgendem Ergebnis: „Die außersinnliche Wahrnehmung ist erwiesen, und zwar in ihren drei Formen, Telepathie, Hellsehen und Präkognition. Sie ist aber unerklärbar mit Begriffen der Physik.“ Die Ursachen sah er im Unbewussten, in Verdrängungen im persönlichen Umfeld.
Neben dem „Chopper“-Fall gehört zu den berühmten Erscheinungen, die Bender untersuchte, der „Spuk von Rosenheim“, bei dem 1967 in einer Anwaltskanzlei allerlei Phänomene beobachtet wurden – Knallgeräusche, verdrehte Leuchtstoffröhren, plötzlich verspritzte Flüssigkeiten, Schubladen und Schränke, die sich bewegten. Bender schaltete sich in die Untersuchungen ein und meinte in den psychischen Konflikten einer 19-jährigen Auszubildenden die Ursache für die Erscheinungen entdeckt zu haben. Andere Wissenschaftler erkannten Manipulationen der 19-Jährigen und kritisierten die Untersuchungsergebnisse Benders.
Bender starb schließlich 1991 in Freiburg.
Leif Geiges, 1915 geboren, ebenfalls in Freiburg, war ziemlich herumgekommen, fotografierte auch während des Kriegs im Auftrag der nationalsozialistischen Propaganda unter anderem im Elsass. „Nach Rückkehr aus der Gefangenschaft“, schreibt er, „wurde ich zwangsweise zu einer Zeit der Besinnung verurteilt. Bis zur letzten Filmklammer war meine ganze fotografische Ausrüstung den ‚Ereignissen‘ zum Opfer gefallen.“ Nach dem Krieg beschäftigte er sich schließlich umfassend mit Freiburger Heimatfotografie – und eben mit dem Übersinnlichen. Von 1950 bis 1971 fotografierte er für das IGPP.

Geiges‘ Fotografien halfen dabei, den Bekanntheitsgrad Benders in den Medien zu fördern, quasi im Rahmen einer PR-Kampagne. Seine Bilder erschienen vor allem in Reportagen, die sich in populärwissenschaftlicher Form dem Übersinnlichen widmeten. Geiges half auch dabei, Spuk-Erlebnisberichte mit seinen Fotografien zu dokumentieren und zu sammeln, er nutzte aber auch verschiedene Methoden, übersinnliche Erscheinungen darzustellen, etwa Inszenierungen oder Fotomontagen.
Geiges fotografierte etliche Nachinszenierungen, zum Beispiel den unerklärlichen Vorgang um einen Teppich, der sich plötzlich von selbst schlangenförmig verformt haben soll, oder die Brötchen, die plötzlich irgendwo in einem Raum herumflogen. Er nutzte dazu Gegenstände, die er mittels Schnüren aufhängte, oder er kopierte Bilder in der Dunkelkammer ein. Er stellte in seinen Fotografien auch Fälle von Telepathie, Hypnose, Hellseherei, Telekinese nach.

Zu den eindringlichsten Arbeiten von Leif Geiges gehören seine Fotomontagen zur „Seherin von Ahausen“ aus dem Jahr 1950. In den 1930er Jahren soll der Magd Gret in einem Tagtraum der Brand des Dorfes Ahausen erschienen sein, eine Vision, die Jahre später Wirklichkeit wurde. In zwei Fotomontagen stellt Geiges die Ereignisse nach. In dem einen Foto spiegelt sich das brennende Dorf im Auge der Magd (siehe Titelbild), im zweiten steht sie mit gefalteten Händen da, vor ihr erscheint ihr in ihrer Vision das brennende Dorf. Geiges bastelte dafür Häusermodelle, zündete sie an, fotografierte sie und montierte sie zusammen.
Nicht zuletzt in diesen Fotomontagen drängen sich mir in einigen Arbeiten Geiges‘ Parallelen zu Arbeiten der Surrealisten auf, etwa zu Bunuels und Dalis berühmtem Kurzfilm „Un chien andalou“, in dem ein Mann mit einem Rasiermesser ins Auge einer Frau schneidet. In „Vormittagsspuk“ („Ghosts before Breakfast“), einem neunminütigen Kurzfilm des Berliner Surrealisten und Dadaisten Hans Richter aus dem Jahr 1927 fliegen Hüte unvermittelt durch die Gegend, Feuerwehrschläuche wickeln sich ohne menschliches Zutun ab, Zielscheiben verschieben sich plötzlich, kurz vor dem Schuss. Auch in Man Rays Arbeiten lassen sich Analogien zu Geiges entdecken, etwa in Rays Solarisationsporträts oder in seinen „Rayographien“. Die Nähe der Surrealisten zur Psychoanalyse, zur Traumdeutung und zum Unbewussten legt diese Parallelen nahe.
Eine weitere Verknüpfung und Einordnung in die Kunst- und Fotografiegeschichte unternimmt der Ausstellungskatalog: „Geiges‘ Fotografien lassen sich aus heutiger Sicht als ein origineller Vorgriff auf die psychedelische Kunst verstehen, die etwa ein Jahrzehnt später Bedeutung erlangen sollte.“
Die Publizierung von Geiges‘ Arbeiten in der Freiburger Ausstellung und im Katalog sind zum einen ein Glücksfall für die deutsche Fotografiegeschichte in der Nachkriegszeit. Zum anderen erzählen die Bilder aber auch Außergewöhnliches über Freiburg – und über Befindlichkeiten in der bundesdeutschen Nachkriegszeit. Geiges’ Fotografien und die Arbeit Benders schweben in einer sonderbaren Zwischenwelt zwischen Wissenschaftlichkeit einerseits und Aberglauben andererseits. Und sie wirken beinahe wie Spuren mittelalterlicher Hexen- und Geistergläubigkeit, die bis in das 20. Jahrhundert erhalten geblieben sind. Die Ausstellung im wunderbaren Haus der Graphischen Sammlung in der Freiburger Salzstraße, das seit 2016 die Grafiken des Augustinermuseums und des Museums für Neue Kunst vereint, übt jedenfalls auch heute eine ungeahnte Faszination auf den Besucher aus.
Jürgen Bürgin

Entlassung“, Freiburg, 1951, Leif Geiges, Archiv Geiges-Zweifel, Staufen
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Der Großteil der Exponate stammt aus dem Archiv des IGPP. Kurator der Ausstellung ist Andreas Fischer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IGPP. Begleitend zur Schau erscheint ein Katalog im Michael Imhof Verlag. Er ist für 24,80 Euro an den Museumskassen und für 29,95 Euro im Buchhandel erhältlich.
Das Haus der Graphischen Sammlung im Augustinermuseum, Salzstraße 32, ist dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr, freitags bis 19 Uhr geöffnet. Tickets kosten 5 Euro, ermäßigt 3 Euro. Für Mitglieder des Freundeskreises, mit Museums-Pass-Musées und für junge Menschen unter 27 Jahren (bis 31. Juli) bzw. unter 21 Jahren (ab 1. August) ist der Eintritt frei. Weitere Infos zur Ausstellung und zum digitalen Begleitprogramm gibt es immer aktuell auf der Internetseite www.freiburg.de/spuk .
Quellen:
Andreas Fischer, Dieter Vaitl (Hg.): SPUK! Die Fotografien von Leif Geiges. Freiburg 2021.
WDR 7. Mai 1991 – Todestag des Parapsychologen Hans Bender (Video auf Youtube)
Eberhard Bauer: “Hans Bender: ‚Frontier Scientist“ – A personal tribute”, Journal of the Society for Psychical Research, Vol. 58, No. 825, S. 124-127
https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Bender_(Psychologe)
Man Ray. Unbekümmert, aber nicht gleichgültig. Katalog zur Ausstellung im Martin-Gropius-Bau Berlin, 2008.
Johann-Karl Schmidt, Christoph Brockhaus, Veit Loers: Man Ray. Stuttgart 1998.


Leif Geiges, Archiv des IGPP, Sammlung Leif Geiges
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English version:
SPUK! About the spook pictures of the Freiburg photographer Leif Geiges.
The first time I heard the name Hans Bender was pretty much around my 10th birthday. Back then, I was fascinated by Chopper on the SWF 1 radio news. Chopper was a ghost who spoke out of the sink of a Bavarian dental practice. To the then 16-year-old dental assistant Claudia, with whom he was in love – the ghost. He made requests to her and harassed patients in the practice. The police soon investigated the case, as did the Freiburg parapsychologist Hans Bender. The case became an international media event. And the ghost was exposed a year later. Claudia herself was behind Chopper, and the dentist couple was also involved. The three ended up in court and were sentenced to heavy fines.
This case brought Hans Bender’s Freiburg psychological institute to international renown. A stroke of luck for us is that Bender was repeatedly accompanied by a photographer during his parapsychological investigations, who documented the investigations, but also processed them artistically and photographically. These photographs are now in the impressive exhibition “SPUK! The Photographs of Leif Geiges ”, that can be seen until September 26, 2021 in the Haus der Graphischen Sammlung of the Augustiner Museum in Freiburg, Germany. The exhibition is accompanied by an extensive catalog, published by Andreas Fischer and Dieter Vaitl by Michael Imhof-Verlag.
But who was this Professor Bender? Bender, born in 1907 in Freiburg, initially studied law, but later he studied psychology and medicine, among other things. He joined the NSDAP and taught from 1941 to 1944 at the „Reichsuniversität“ Strasbourg psychology and border areas of psychology. He studied astrology and dowsing. In 1944 he was sent to a British internment camp, after the war he returned to Freiburg. There he founded the „Institute for Frontier Areas of Psychology and Mental Hygiene“ (IGPP) in 1950, which still exists today.
From then on, the exploration of the occult – thought transmissions, ghostly phenomena, true dreams, predictions of the future, making contact with the deceased, inexplicable phenomena – was Bender’s life’s work, which he pursued with meticulousness and by no means with media and public shyness. He was always anxious to present his research to the public. His lectures in the auditorium of the Freiburg University were very popular, far beyond the student body (“We’re going to Bender’s fairy tale hour”). Bender wanted to put the research of the supernatural on the legs of science and came to the following result: “The extra-sensory perception has been proven, namely in its three forms, telepathy, clairvoyance and precognition. But it is inexplicable in terms of physics. ” He saw the causes in the unconscious, in repressions in the personal environment.
In addition to the “chopper” case, one of the famous phenomena that Bender investigated was the “Spuk von Rosenheim”, in which all kinds of phenomena were observed in a law firm in 1967 – popping noises, twisted fluorescent tubes, suddenly splashed liquids, drawers and cupboards that collapsed. Bender got involved in the investigations and said he had discovered the cause of the symptoms in the psychological conflicts of a 19-year-old trainee. Other scientists recognized the 19-year-old’s manipulation and criticized Bender’s results.
Bender finally died in Freiburg in 1991.
Leif Geiges, born in 1915, also in Freiburg, had been around quite a bit and also took photos during the war on behalf of National Socialist propaganda, including in Alsace. “After returning from captivity,” he writes, “I was forcibly sentenced to a period of reflection. All of my photographic equipment had fallen victim to the ‚events‘ right up to the last film clip. ” After the war, he finally dealt extensively with Freiburg native photography – and with the supernatural. From 1950 to 1971 he photographed for the IGPP. Geiges‘ photographs helped to promote Bender’s profile in the media, as part of a PR campaign, so to speak. His pictures appeared mainly in reports that were devoted to the supernatural in a popular scientific form. Geiges also helped to document and collect reports of spooky experiences with his photographs, but he also used various methods to depict supernatural phenomena, such as stagings or photo montages.
Geiges photographed a number of re-enactments, for example the inexplicable process around a carpet that is said to have suddenly deformed in a snake shape by itself, or the rolls that suddenly flew around in a room. He uses objects that he hung up with strings or he copied pictures in the darkroom. In his photographs he also recreated cases of telepathy, hypnosis, clairvoyance, and telekinesis.
Among the most haunting works by Leif Geiges are his photomontages of the “Seer from Ahausen” from 1950. In the 1930s, the maid Gret is said to have appeared in a daydream the fire in the village of Ahausen, a vision that years later became reality. Geiges recreates the events in two photo montages. In one photo the burning village is reflected in the maid’s eye, in the second she stands with folded hands, the burning village appears in front of her in her vision. Geiges made house models for this, set them on fire, photographed them and assembled them.
Not least in these photomontages, in some of Geige’s works, parallels to the surrealists‘ work emerge, for example to Bunuel’s and Dali’s famous short film “Un chien andalou”, in which a man cuts a woman’s eye with a razor. In “Ghosts before Breakfast”, a nine-minute short film by the Berlin surrealist and Dadaist Hans Richter from 1927, hats suddenly fly around, fire hoses unwind without human intervention, targets suddenly move just before the shot. Analogies can also be discovered in Man Ray’s works, for example in Ray’s solarization portraits or in his “rayographies”. The proximity of the surrealists to psychoanalysis, dream interpretation and the unconscious suggests these parallels.
The exhibition catalog undertakes a further link and classification in the history of art and photography: „From today’s point of view, Geiges‘ photographs can be understood as an original anticipation of psychedelic art, which would gain importance about a decade later.“
The publication of Geiges’ works in the Freiburg exhibition and in the catalog is, on the one hand, a stroke of luck for post-war German photography history. On the other hand, the pictures also tell extraordinary things about Freiburg – and the sensitivities of the German post-war period. Geiges’ photographs and the work of Bender float in a strange world between science on the one hand and superstition on the other. And they almost look like traces of medieval belief in witches and ghosts, which have survived into the 20th century. The exhibition in the wonderful House of the Graphic Collection in Freiburg’s Salzstraße, which has been combining the graphics of the Augustinermuseum and the Museum of New Art since 2016, still exerts an undreamt-of fascination on the visitor today.