
EASY RIDER ROAD BOOK. A Tour through the Wild and Inspiring Side of Bicycle Culture.
Herausgegeben von: Anke Fesel, Chris Keller, musuku – Museum der Subkulturen
Gestaltet von: Anke Fesel
Englisch
September 2023, 192 Seiten, 160 Abb.
Hardcover
265mm x 200mm
ISBN: 978-3-7757-5570-2
€40
Das “musuku” ist das „Museum der Subkulturen“ mit Sitz in der Sophienstraße in Berlin Mitte. Das musuku „versteht sich als nomadischer Ausstellungs- und Erzählraum und zeigt seine Projekte an wechselnden Orten und in Kooperation mit verschiedenen Partnern, Künstler*innen und Institutionen sowie im öffentlichen Raum“, so steht es auf der Website. „Im Sommer 2021“, so heißt es weiter, „war die Easy Rider Road Show auf den Straßen und Plätzen Berlins unterwegs und von November 2021 bis Mai 2022 als erweiterte Sonderausstellung im Stadtmuseum Berlin zu sehen. Ab Frühjahr 2023 wird sie auf Reisen gehen.“
Hatje Cantz hat nun den Katalog zu dieser Ausstellung veröffentlicht, an der fünf Fotograf*innen beteiligt waren, nämlich Tod Seelie, Julie Glassberg, Christophe Gateau, Adam Corbett und Jeoffrey Guillemard.
„Easy Rider Road Book“ untersucht Fahrradsubkulturen jeglicher Art in Berlin, London, Havanna, Mexiko und in den USA. Die weltweite „Critical Mass“-Bewegung ist die vielleicht bekannteste Variante dieser Subkultur, jene zumindest äußerlich unpolitische Bewegung, die sich in zum Teil riesigen Fahrradverbänden in Großstädten der westlichen Welt über das noch immer auf das Auto zugeschnittene Straßennetz bewegt, weitgehend unorganisiert, ohne direkten Demonstrationszweck – „ein Stück Hauptstadtkultur“ untertitelt beispielsweise der Berliner Critical Mass seine Aktionen.
Eine „new bike culture“ entdecken die Herausgeber des Buches, den Subkulturen der Welt entstammend, voller Kreativität als Alternative zum Konsum. Ein „Versprechen von Freiheit“ gehe von dieser neuen Fahrradkultur aus. Und wir alle erinnern uns, wie sehr das in unserer Kindheit zutraf, als wir als naja, damals sechsjährige oder wie alt auch immer, unsere kleine eigene Welt selbst erobern konnten, wenn wir mit dem Fahrrad durch den Kiez, das Neubauviertel oder die Dorfstraßen fuhren. Heute sind die Kids dank Laufraderprobung eher erst drei, wenn sie Fahrradfahren lernen, aber umso erstaunlicher, dass auch die Dreijährigen erstmals so etwas wie Freiheit zu erleben scheinen – und das häufig heute mit den coolen aber teuren „Wooms“ und „Kubikes“ (die sich aber mit nur wenig Wertverlust nach den anderthalb Jahren Nutzung, bis sie zu klein werden, wieder weiterverkaufen lassen). In meiner Kindheit in den Siebzigern waren das eher die BMX-Räder, die Ausdruck von Coolness und Freiheit der Kids waren – außer bei mir und Meinesgleichen, wo’s dann doch nur das Klapprad war, das aber auch den Bewegungsradius vergrößerte.
Und das Fahrrad war auch bei uns Kids in den 70ern zwar individuelles Fortbewegungsmittel, dennoch stand das Gemeinsame im Vordergrund: Wir sind zusammen mit den Fahrrädern losgezogen, das waren die Freundes- und Gemeinschaftserlebnisse, die kleinen Entdeckungsreisen, die uns nun möglich waren: „riding together can be a powerful manifestation of solidarity and community—an expression of the ways in which we’re all equal in the saddle.“
Der britische Fotograf und Filmemacher Adam Corbett begleitete Londoner Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen, meistens Jungs, die unter dem Motto „knives down, bikes up!“ auf die Sättel steigen, zweimal im Jahr, durch die Londoner Straßen radeln, ihre Kräfte ins Fahrradfahren investieren, statt aufeinander loszugehen. Mac Ferrari hat diese Aktion gegen Jugendgewalt im Jahr 2014 ins Leben gerufen: „It’s about unity, coming out and facing your fears“, sagt er. Corbett dokumentiert die Jugendlichen in ausdrucksstarken Schwarzweißbildern, man sieht den Teilnehmern ihre Freude ebenso wie die Ernsthaftigkeit ihres Ansinnens an.
Eine eher überraschende Subkultur entdeckt der amerikanische Fotograf Tod Seelie in Havanna. Er dokumentiert die Vertikalfahrräder von Félix Ramón Guirola Cepero. Cepero schweißt etliche Fahrradrähmen aneinander – und zwar, ausgehend vom Tandem, nicht der Länge nach, sondern in die Höhe. In drei Metern Höhe radelt er in der kreativen Hochrad-Abart durch die kubanische Hauptstadt, an Ampeln lehnt er sich etwa in Busse an, damit er nicht umfällt, mit einem 10-Meter-Hochrad beabsichtigt er im Guinnessbuch der Rekorde zu landen. Der bisherige Weltrekordhalter, ein Amerikaner, hat ihn besucht und nun fahren sie freundschaftlich gemeinsam den Malecón entlang.
Jeoffrey Guillemard fotografiert schließlich den Chilangos Lowbike Club aus Mexiko City. Wie Gangster aus den Armenvierteln sehen die Clubmitglieder aus, Tattoos, Glatzköpfe, Piercings, die Fahrräder sind aufgemotzte, verchromte Einzelstücke mit Rückspiegeln, angelehnt an Motorradgangs einerseits und an die US-amerikanische Low-Rider-Kultur andererseits. Die Chilangos haben aber der Gewalt, dem Verbrechen und den Drogen abgeschworen, oft bringen sie ihre Partner und ihre Kinder mit. In farb- und ausdrucksstarken Bildern, die nahe dran sind an den Clubmitgliedern führt uns der Franzose Guillemard, der aber seit 2006 in Mexiko lebt, in diese uns unbekannte Welt ein.
Julie Glassberg begleitete schließlich den New Yorker „Black Label Bike Club“ mit ihrer Kamera. Ihre selbst gebauten Hochräder montieren und schweißen dessen Mitglieder zusammen. Punks, Konsumrebellen und Künstler finden sich hier, Glassberg war jahrelang beim Club mit dabei und produzierte hochemotionale, schmutzige, einprägsame Schwarzweißaufnahmen, „in a society that pushes us to consume, focus on money, and overly use technology, it is interesting to see a group of young people resisting and fighting against it“, schreibt sie.
Das „Easy Rider Road Book” ist eine wilde, ungestüme Darstellung weltweiter Fahrradgegenkulturen und Alternativszenen, eine faszinierende Ansammlung an kurzen, eindringlichen Fotoreportagen über Fahrradclubs, -vereinigungen und -aktionen, politisch wie unpolitisch, handwerklich wie künstlerisch, subversiv wie extravagant. Ein beeindruckendes Sammelwerk heutiger Fahrradsubkultur.