PURGE THIS LAND von Lee Anne Schmitt in der Hommage von DOK.Leipzig 2025

Lee Anne Schmitt. Wieder einmal eine Wissenslücke in meiner so lückenhaften Dokumentarfilmwelt. „Lee Anne Schmitt nutzt das gesamte filmische Instrumentarium des Essayfilms, um die unzähligen historischen und ideologischen Bruchlinien der USA aufzudecken“, heißt es im Festivaltext der Schmitt-Hommage beim DOK.Leipzig Festival. Und immer wieder bin ich auch hier abgeschreckt, wenn das Wort „Essayfilm“ in einer Filmbeschreibung auftaucht. Wie so oft denke ich an überlange Einstellungen, langweilig-philosophische Ergüsse im Off. Und manchmal stimmt das ja auch, aber oft genug bin ich doch inzwischen auch getäuscht worden und der entsprechende „Essayfilm“ stellte sich als eine spannende Dokumentarform heraus. Vielleicht ja auch hier wieder, die Inhaltsangaben der entsprechenden beim Festival gezeigten Filme aus Lee Anne Schmitts Repertoire klingen jedenfalls schon einmal richtig spannend. Da tauchen Sätze wie folgende auf: „Geisterhafte Aufnahmen verfallender Häuser und baufälliger Anlagen reiben sich an Panoramen voller üppiger Natur und offenen Horizonten, genau wie sich Geschichten von Vorurteil und Ausbeutung mit enttäuschten Zukunftsträumen mischen.“ Oder: „1885 entdeckten zwei Jungen in einer Höhle in den kalifornischen San-Martin-Bergen eine große Sammlung religiöser Artefakte des Volkes der Chumash.“ Oder: „In diesem frühen Kurzfilm zeichnen Lee Anne Schmitt und Lee Lynch das beiläufige und doch tiefgründige Porträt eines im Wortsinn nahe gelegenen Ortes: der sogenannte Wash, ein Streifen Brachland am Santa Clara River, der an die kalifornische Gemeinde Newhall grenzt, wo die beiden damals lebten.“

„Purge this Land“ stammt aus dem Jahr 2017. Lee Anne Schmitt zeichnete für Regie, Kamera, Schnitt und Produktion verantwortlich. Er handelt von John Brown, dem Abolitionisten, 1800-1859. Was war noch mal Anolitionismus? Ach ja, die Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei in Amerika im 19. Jahrhundert. Aber meine Vermutung ist schon mal diese: Es wird sich wohl nicht um eine Guido-Knopp-ZDF-Abolitionismus Doku, „Sklaverei in Farbe“ handeln. Na dann los.

Als John Brown im Gefängnis seine Hinrichtung erwartete, vermachte er seinem Sohn Jason seine Uhr, erfahren wir. Und seinem Sohn Owen sein Opernglas und seine Rifle. Und jeweils Bibeln. Seine Frau Mary durfte seine Leiche erst dann mitnehmen, als sie die Kosten für die Hinrichtung bezahlt hatte. Dieser Film sei ihrem Sohn gewidmet, sagt die Regisseurin aus dem Off des Films, noch ist das Bild schwarz. „Slavery, said Brown, is a state of war“, wird schließlich als Schrift eingeblendet. Und dann beginnt Schmitts Reise durch die USA, zu Protestschauplätzen, zu Erinnerungsorten an Brown und an die Schauplätze der Diskriminierung und der Sklaverei. Es geht um die provisorische Verfassung, die Brown entwarf. Es gibt viel zu lesen und viel zuzuhören, keine Ahnung, wie gut ein durchschnittlicher Amerikaner über John Brown Bescheid weiß, für mich ist jedenfalls sehr vieles neu – und die Lektüre des entsprechenden Wikipediaartikels hilfreich. Und mehr als die am Anfang noch recht spärlichen Bilder, zwischen langen Schwarzbildphasen mit Texteinblendungen, ist der Film zunächst von der Musik, vom Soundtrack geprägt, „inspiriert von Schwarzen Erbe der 1960er“, schreibt James Lattimer im Festivaltext zum Film. Und die Musik ist in der Tat besonders und mitreißend und ungewöhnlich. Und beinahe will ich mich beschweren, dass ich nicht einordnen kann, wo denn die Bilder, die man dann gezeigt bekommt, aufgenommen wurden – schon wird einem die blutige Geschichte in Verbindung zu den entsprechenden Orten erzählt. Historische Fotos, die eingeblendet werden, erzählen von den Geschichten. Wir sehen leerstehende Häuser in Detroit, die einst 10.000 Menschen bewohnten, hören Geschichten aus Detroit aus den Zeiten der Sklaverei. Und so geht es weiter mit anderen Geschichten, während wir die Filmemacherin auf ihrer Reise durch die USA begleiten. Diese Geschichten sind in der Tat, spannend, überraschend, bewegend, berührend, blutig. Schließlich wechseln wir nach Chicago und umso mehr beginnt sich die Erzählung mit der eigenen, persönlichen Geschichte der Filmemacherin zu verknüpfen und zu verweben. Seit 20 Jahren, sagt sie, lebt sie mit ihrem Partner in Chicago.

Immer aktueller, immer persönlicher, immer berührender wird Lee Anne Schmitts Filmerzählung. Das ist ergreifend und weit entfernt von dem von mir befürchteten langatmigen Filmessay. Das ist so wohltuend und wichtig in der heutigen Zeit. Und es ist so erfreulich langsam und ruhig erzählt. Bitte lasst euch auf den ruhigen Fluss der Dokumentationen von Lee Anne Schmitt ein. Auf die Bilder, auf die Erzählungen und auf die Musik. Es lohnt sich.

DOK.Leipzig zeigt insgesamt acht Filme von Lee Ann Schmitt, inklusive ihres neuesten Films, „Evidence“, in dem es um den berüchtigten amerikanischen Chemiekonzern Olin Corporation geht.

Regie: Lee Anne Schmitt

Kamera: Lee Anne Schmitt

Schnitt: Lee Anne Schmitt

Produktion: Lee Anne Schmitt

Ton: Ben Huff

Musik: Jeff Parker

30.10.2025, 18:00, Passage Kinos Wintergarten. Tickets: https://www.dok-leipzig.de/film/purge-land/programm

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