
„Fühlst du dich sicher in deinem Zuhause?“ – „Ich hab ’ne Katze.“ Das war der trocken-witzige Dialog, der mir schon im Trailer von „Sorry, Baby“ auffiel. Um die Katze wird’s dann auch immer wieder gehen in diesem Debütfilm von Eva Victor. Debütfilme sind ja immer so eine Sache, manche sind noch unausgegoren, es fehlt das Gespür für die Details des Drehbuchs, aber vielleicht sieht man wundervolle Ideen durchscheinen. Manchmal scheinen Debütregisseure noch nicht so recht zu wissen, wie man mit den Schauspielern arbeitet. Ich versuche das immer zu berücksichtigen, darin, wie ich einen Film empfinde und bewerte. Irgendwo muss man schließlich Erfahrung sammeln. Und Fehler dürfen gemacht werden. Gerade gestern habe ich „Danke für nichts“ im Kino gesehen, der Debütfilm von Stella Marie Markert – und ich finde es ist einer der schönsten und gelungensten deutschen Debütfilme, die ich in letzter Zeit gesehen habe. Und: Ich glaube, er erzählt so viel über die Generation jener, die nach 2000 geboren sind. Aber wie ist das nun mit dem Debüt von Eva Victor? Geboren wurde sie In Paris, mit eins aber zog sie mit ihrer Familie schon in die USA, nach San Francisco. „Zurückgezogen in einer Hütte in Maine schrieb Victor ein erstes Drehbuch, das nahezu unverändert blieb,“ steht im Pressetext zum Film. „Mit feinem Gespür für Zeit und Ort war das Skript einzigartig durch die emotionale Bandbreite von Agnes’ Erfahrungen – mehr als durch die Ereignisse selbst.“ Und in einem Interview sagte sie: „I made the film for the person I was that needed this film, so making sure nothing felt what would’ve been incredibly triggering to me, to the point where I couldn’t watch it, felt important.“ Klingt doch vielversprechend. Für die Hauptfigur, Agnes, besetzte sich Eva Victor selbst, auch ein Hinweis auf eine persönliche Geschichte, die uns der Film vielleicht erzählen wird. Seine Weltpremiere erlebte „Sorry, Baby“ Ende Januar 2025 beim Sundance Filmfestival. Eva Victor erhielt prompt einen Preis für das Drehbuch.
Agnes ist eine junge Literaturprofessorin in Neuengland, gerade hat sie eine Festanstellung bekommen. Lydia, gespielt von Naomie Ackie, ist Agnes‘ beste Freundin. In fünf Kapiteln werden wir Agnes‘ Geschichte erzählt bekommen die Kapitel sind nicht chronologisch. „Das Jahr mit dem Baby“ heißt das erste Kapitel, in dem sich Agnes und Lydia enach längerer Zeit wiedersehen. Sie reden über Männer, trauern darüber, dass Lydia nicht mehr hier wohnt, sondern weit weg, sie hat nämlich geheiratet und wohnt in New York; sie unternehmen Spaziergänge durch die Natur, schauen Filme zusammen. Und da gibt es den Nachbarn Gavin, manchmal etwas aufdringlich, aber soweit nett. Und dann hat Lydia noch ein Geheimnis, das sie Agnes in einem passenden Moment erzählt: Sie ist schwanger. Ob sie das Kind Agnes nenne, meint sie halb im Ernst, halb im Spaß. Und als Lydia zurück nach New York fährt, merkt man, wie Agnes sie vermisst, und wie einsam sie sich fühlt. Lydia fehlt ihr.
„The Year with the Bad Thing“ heißt dann das zweite Kapitel. Wir springen in der Zeit zurück. Agnes und Lydie studieren noch. Lydia kommt mehr schlecht als recht zurecht, sie braucht für ihre Hausarbeiten viel zu lange. Und Agnes: Hat sie Interesse an Preston Decker, ihrem attraktiven, geschiedenen Mentor? Seinen ersten Roman mochte sie jedenfalls sehr. Doch dann hat Agnes ein traumatisches Erlebnis, das sie aus der Bahn wirft…
Eine der beeindruckendsten Szenen ist eben jene des Traumas – das wir nicht miterleben, das ausgespart wird. Wir sehen ein Haus, wir sehen nicht, was darin passiert, wir sehen nur, wie viel Zeit vergeht. Und wie Agnes irgendwann verstört das Haus verlässt. Was passiert ist erfahren wir dann, als Agnes es Lydia erzählt. Und diese Freundschaft zwischen den beiden ist der Angelpunkt des Films und in Agnes‘ Leben. Eva Victor sagt: „Der Film ist keine Tragödie, weil Lydie Agnes zuhört. Ich glaube nicht, dass Agnes überhaupt erkannt hätte, was ihr passiert ist, wenn Lydie nicht bei ihr gewesen wäre.“ Und genau darum geht es dem Film um die Kraft der Freundschaft und um eine Selbstbehauptung. Eva Victor: „Es ging mir weniger darum, Gewalt oder den Übergriff selbst zu erzählen, als vielmehr darum, wie ein Mensch heilt. Besonders
interessierte mich das Gefühl des Feststeckens – wenn man sieht, wie alle anderen weiterziehen, während man selbst noch in dem festsitzt, was
einem passiert ist. Ich schrieb das ursprünglich für mein früheres Ich.“ Und es gehört in jedem Fall zu den großen Stärken dieses Films, dass eben jene traumatische Szene, nicht gezeigt wird.
Neben dem Thema Freundschaft gibt es noch einen weiteren Faktor, der diesem Film die Kraft verleiht, die ihm innewohnt: Es ist dieser Humor, ist lakonisch das richtige Wort? Agnes verliert ihn nie. „Die komischen Momente untergraben nie Agnes’ Erfahrung oder Trauma“, sagt Eva Victor. „Der Humor richtet sich immer gegen die Mächtigen – jene, die Agnes verletzen – oder zeigt die Absurdität dessen, was sie durchmacht.“ Ein sehr wichtiger Gedanke – und eigentlich merke ich jetzt, dass es genau das war, was mich am Trailer bereits angesprochen hat. Und ausgerechnet die Szene, als Agnes am Morgen nach dem Trauma gemeinsam mit Lydia zum Arzt geht, gehört zu jenen Szenen, die ganz viel von diesem Humor in sich haben: Den Handlungsempfehlungen des Arztes für das Trauma entgegnet Agnes: „Das merke ich mir für das nächste Mal.“ Dieser tieftraurig/komische Humor – und das Auslassen des Traumas, das eben auch schon im Trailer wiedergespiegelt wurde, machen „Sorry, Baby“ zu einem beeindruckenden Film.
Und zu diesem Zeitpunkt ist uns klar, dass es nun darum gehen muss, wir Agnes mit diesem Trauma zurechtkommen wird. Wie sich ihr Umfeld dazu verhalten wird, die Uni zum Beispiel und wie ihr ihre Freundschaft mit Lydia dabei helfen kann, ins Leben zurückzufinden.
Aber zunächst gibt es eine urkomische Begegnung mit jenem schon erwähnten Gavin. Es hat mit Brennspiritus zu tun. Und in der darauffolgenden Szene werden wir gleich schon etwas Wichtiges erleben: Wir werden lernen, dass Lydia ihre beste Freundin bedingungslos unterstützen wird. Und wir werden Agnes dabei begleiten, wie sie über etwas versucht hinwegzukommen, über das man eigentlich nicht hinwegkommt. Es ist so sehr erfreulich, dass praktisch alle Figuren des Films sich der klassischen Filmdramaturgie verweigern, eben auch erwähnter Gavin, aber auch die Zufallsbekanntschaft, die Agnes i letzten Drittel des Films dann noch macht. Es gibt nur eine Figur, die ein kleines bisschen in die Rolle der Antagonistin hereinpasst, es handelt sich um die Kommilitonin und Arbeitskollegin, die Agnes nicht ausstehen kann. Die ist fast schon eine kleine Klischeegegenspielerin, aber erstens ist ihre Rolle nicht sehr groß und zweitens akzeptieren wir das, weil eben alle anderen Figuren so gegen den Strich gebürstet sind.
Geben wir in diesem wunder-wunderbaren, großartig erzählten Film noch einmal der Regisseurin und Hauptdarstellerin – von der wir hoffentlich noch ganz viel zu sehen bekommen – die letzten Worte: „A lot of the film was so vulnerable because when I was writing it, I never thought the film would get made when I was making it. So, I didn’t really consider what it was like to premiere a film or how exposing it would be. So much of my experience was based on wanting to make the most truthful film possible.“