Ozon meets Camus: DER FREMDE ab 1.1.2026 im Kino

DER FREMDE: Meursault (Benjamin Voisin) und Marie (Rebecca Marder) begegnen sich an einem heißen Sommertag. (© Foz – Gaumont – France 2 Cinema, Foto: Carole Bethuel)

Ich muss ja gestehen, dass ich zu Albert Camus nie ein inniges Verhältnis aufgebaut habe. Irgendwann im Germanistikstudium habe ich den „Mythos von Sisyphos“ gelesen, irgendwann auch „Die Pest“, aber bis zu „Der Fremde“ hat es dann erst gar nicht gereicht. Dass ich mich trotzdem zutiefst für den Film interessiere, liegt im Wesentlichen an den Schwarzweißfotos, die ich gesehen habe – und an der Venedig-Berichterstattung, die ich mit halbem Ohr in irgendwelchen Podcasts verfolgt habe. Nun startet eben Neujahr 2026 die Verfilmung von François Ozon – und ich muss sagen ich habe keine große Lust, mich damit auseinanderzusetzen, wie denn der Film gefunden wurde. Ich möchte wetten, dass man Bullshitbingo mit den Kritiken spielen könnte, folgende Floskeln dürften vorkommen: „unverfilmbar“, „verfälscht“ oder vielleicht „hat den Kern (o.Ä.) des Romans nicht verstanden“. Mir ist aber egal, ob ein Film einen Roman richtig abbildet. Mich interessiert nur, ob ein guter Film entstanden ist. Ich bin mir aber dessen bewusst, dass Romanverfilmer und Romanverfilmerinnen oft dem Trugschluss aufsitzen, dass ein guter Roman notwendigerweise auch die Grundlage für einen einen guten Film sein könnte. Ich sehe das eher so: Die Romanvorlage sorgt oft genug dafür, dass der Filmemacher, die Filmemacherin zu verblendet ist und gar nicht erkennt, dass das, was er oder sie da fabriziert, gar kein filmisch erzähltes Werk ist, sondern noch in den Fesseln der literarischen Vorlage gefangen ist. Sprich: Lieber man befreit sich von der Sklaverei der Romanvorlage oder erfindet am Ende besser doch gleich einen Film, der eben filmisch erzählt und nicht einfach nur die Literatur abbildet. Mein Lieblingsbeispiel: zwei Verfilmungen von Kafkas „Prozess“: Die von David Jones ist langweiliges, sich sklavisch an der Vorlage abarbeitendes Papiergeraschel, die von Orson Welles ist eine freie Bearbeitung und ein filmisches Meisterwerk.

Meursault (Benjamin Voisin) (© Foz – Gaumont – France 2 Cinema, Foto: Carole Bethuel)

Mal sehen, was Ozon zu dieser Thematik zu sagen hat: „Die Idee, einen der berühmtesten Romane der Weltliteratur zu adaptieren, erfüllt einen mit Angst und Zweifeln! Bis dahin hatte ich nur weniger bekannte und weniger gefeierte Werke adaptiert. Es war eine große Herausforderung, ein Meisterwerk zu verNlmen, das jeder gelesen hat und das sich jeder Leser bereits in seinem Kopf vorgestellt und inszeniert hat. Meine Faszination für das Buch war jedoch stärker als meine Befürchtungen, sodass ich mich mit einer gewissen
Nonchalance an das Projekt wagte. Sehr schnell wurde mir klar, dass die Auseinandersetzung mit ‚Der Fremde‘ eine Möglichkeit war, mich wieder mit einem vergessenen Teil meiner eigenen Geschichte zu verbinden. Mein Großvater mütterlicherseits war Untersuchungsrichter in Bône (heute Annaba) in Algerien gewesen und überlebte 1956 ein Attentat, das die Rückkehr meiner Familie auf das französische Festland vorantrieb.“ Okay, Autobiografisches in eine Literaturverfilmung einfließen zu lassen kann ein guter Weg sein.

Und weiter: „Ich weiß, dass jede Adaption naturgemäß ein Element des Verrats beinhaltet, das man akzeptieren muss. Das ist wie bei einer Übersetzung. Die Sprache der Literatur und die Sprache des Kinos sind nicht dieselbe. Ich bin meinem Instinkt gefolgt, den Dingen, die mich an dem Roman fasziniert haben, und habe mir Camus‘ Vision zu eigen gemacht. Ich hatte das Gefühl, dass die Umsetzung des ersten Teils des Buches (die Beerdigung der Mutter, der Alltag und der Mord an dem Araber am Strand) sinnlich, fast still, körperlich und mit einem langsamen, traurigen Rhythmus sein musste. Mir wurde gesagt, der zweite Teil (der Prozess und das Gefängnis) wäre einfacher, ‚filmisch wirkungsvoller‘, aber genau diesen Teil fürchtete ich am meisten. Im Buch handelt es sich um einen echten inneren Monolog, einen Bewusstseinsstrom, während der erste Teil mit seiner Beschreibung von Fakten und Handlungen eher filmisch ist.“ Ozon hat zumindest die Problematik erkannt: Das was in einem literarischen Werk innerer Monolog ist, lässt sich nicht ins Filmische übersetzen. Gar nicht. Im Film gibt es keinen inneren Monolog. Im Film muss man mit filmischen Mitteln erzählen. Und man muss vielleicht etwas anderes erzählen. Und das ist auch kein Verrat, sondern filmische Notwendigkeit, dass eine Leinwandadaption anders funktioniert, anders erzählt, als ein Roman.

Und noch einmal kurz zu Ozon, und dann schaue ich mir auch wirklich erst den Film an: „Weil wir durch den Prozess und Meursaults Gedanken plötzlich in den Bereich der Diskurse und der Philosophie eintreten, aber ein Film ist keine Textanalyse. Im Gegenteil, der zweite Teil musste den ersten bereichern, ohne belehrend zu sein und dabei physisch und verkörpert bleiben. Seine Adaption stellte für mich ein echtes Problem dar, während der erste Teil mehr oder weniger dem Roman treu bleibt, auch wenn ich mir gewisse Freiheiten genommen habe.“

Bleibt noch eines: Es gibt schon eine Verfilmung aus dem Jahr 1967, und zwar von niemand geringerem als Luchino Visconti, mit Marcello Mastroianni in der Hauptrolle. Die habe ich erstaunlicherweise auch noch nie gesehen, obwohl ich mich doch vor allem zu Unizeiten recht weit durch den italienischen Neorealismus durchgearbeitet habe. Das Lexikon des Internationalen Films schrieb: „Sorgfältige, in der Milieuzeichnung vorbildliche Übertragung des Romans von Albert Camus.“ Schau ich mir dann wohl auch noch an, gibt’s auf Youtube. Wenn ich dazu komme.

Ozons „Der Fremde“ beginnt wie mit einem Wochenschau-Ausschnitt, der uns an den Spielort und dessen Geschichte einführt: Algier, einst voller verfallener Häuser und einem Gewirr enger Gassen, hat mit Hilfe der Kolonialmacht Frankreich, so der Kommentar des Filmausschnitts, die Enge abgestreift und das arabische mit dem westlichen Leben verknüpft. Algier sei „wie das erste Lächeln Algeriens“. Doch die reißerische Wochenschau wechselt ins Düstere, ebenso die Bilder: Wir befinden uns im Gefängnis. Der Protagonist Meursault wird dort eingeliefert. Was hat er getan? Einen Araber hat er getötet! Das steht als Klammer voran – doch was war geschehen?

Eines Tages erhält Meursault ein Telegramm: Scheinbar ungerührt nimmt er die Nachricht des Todes seiner Mutter entgegen. Die Beisetzung sei morgen. Er packt Anzug und Aktentasche, geht ins Büro, meldet sich bei seinem Chef ab, um mit dem Bus zur Beerdigung zu fahren. Auf dem Land sucht er das Seniorenheim auf, in dem seine Mutter gelebt hatte, die er lange nicht mehr gesehen hat. Der Direktor erzählt ihm ein paar Dinge, dann hält Meursault regungslos die Totenwache. Überraschend kommt eine Anzahl von Bewohnern des Seniorenheims und nimmt ebenfalls an der Wache teil; Meursault ist verwundert. Am nächsten Tag wird ihm ein kranker alter Mann als der Ehemann seiner Mutter vorgestellt, er wusste nichts von dessen Existenz. Der Leichenzug zieht zur nächsten Ortschaft, der Ehemann, Perez, kommt kaum hinterher, bricht dann auch zusammen.

Zurück in der Stadt genießt Meursault scheinbar unbeschwert den Alltag, geht zum Baden an den Strand, trifft dort auf eine alte Bekannte, die er länger nicht gesehen hat. Gemeinsam baden sie, kommen sich näher – obwohl er eigentlich etwas Unnahbares ausstrahlt – bald wird sie seine Freundin. Sie gehen gemeinsam ins Kino, schauen einen Fernandel-Film an, LE SCHPOUNTZ, von Marcel Pagnol, aus dem Jahr 1938. Sie verbringen die Nacht zusammen bei ihm zu Hause, doch eigentlich folgt sie ihm mehr dorthin, als dass sie gemeinsam hingehen. Ein Gespräch lässt er kaum entstehen. Morgens ist sie verschwunden, sie hat einen Zettel hinterlassen, dass sie zu ihrer Tante müsse.

Schließlich tritt eine weitere Figur in die Handlung ein: Raymond, so etwas wie ein Kumpel von Meursault, der sich über die „Scheiß Araber“ aufregt und sich mit ihnen prügelt. Und dann ist da noch eine Frau – die Freundin von Raymond? Oder ist er ihr Zuhälter? Er verprügelt sie jedenfalls, die Polizei kommt.

Meursaults Chef schlägt ihm schließlich einen aussichtsreichen Job in einer Filiale in Paris vor, doch das lässt den unambitionierten Meursault kalt: „Sein Leben zu verändern halte ich für unmöglich.“ Ihm wird das als Mangel an Ehrgeiz ausgelegt. Marie fuchst das etwas, sie hätte gerne einmal Paris gesehen, doch er lehnt die Metropole als schmutzig ab. Aber eigentlich hat Marie noch andere Interessen: Sie fragt ihn, ob er sie heiraten wolle. Wenn sie möchte, sagt er emotionslos, aber eigentlich, meint er, sei das belanglos. – „Ich weiß manchmal auch nicht, ob ich dich liebe“, erwidert sie und schwächt damit die Bedeutung ihres Antrags ab. „Du bist seltsam, du sagst immer, was du denkst.“

Raymond schleppt Meursault schließlich mit zu Freunden, die in einem Haus am Strand wohnen, Marie solle er mitbringen. Sie verbringen einen sonnigen Tag, doch dann begegnen ihnen „die Araber“, mit denen sich Raymond angelegt hat. Eine Spirale der Gewalt droht sich zu entfalten…

DER FREMDE: Meursault (Benjamin Voisin) und Marie (Rebecca Marder) (© Foz – Gaumont – France 2 Cinema, Foto: Carole Bethuel)

Ozons DER FREMDE besticht von Anfang an durch seine Bilder, durch das bisweilen zarte, manchmal düstere, dann wieder leuchtende Schwarzweiß, zunächst eigentlich eine überraschende Wahl, wo es doch Länder gibt, deren Farben sich geradezu für den Farbfilm prädestinieren, da könnte Algerien dazugehören. Aber das Schwarzweiß ist dennoch eine gute Wahl. Die Kamera führte der belgische Kameramann Manuel Dacosse, der schon etliche Male für die Bildgestaltung in Ozons Filmen zuständig war, etwa in DER ANDERE LIEBHABER, GELOBT SEI GOTT, PETER VON KANT oder MEIN FABELHAFTES VERBRECHEN. Die Schwarzweißbilder, die Dacosse kreiert, sind eindrücklich und zeitlos. Ozon nennt wirtschaftliche Gründe für die Wahl von Schwarzweiß, aber auch „weil Schwarz-Weiß eine Form von Reinheit, Schönheit und Abstraktion vermittelt. Heutzutage sind Bilder oft aggressiv und farbgesättigt. Ich wollte, dass wir uns in einem Zustand der Empfindung und Beobachtung befinden, einer Form der Einfachheit. Schwarz-Weiß ermöglichte mir das: mich auf Körper, Gesten und Stille zu konzentrieren. Es gibt nur sehr wenige Kamerabewegungen, und der Film besteht hauptsächlich aus statischen Aufnahmen. Eine zurückhaltende Regie in Schwarz-Weiß, das Algerien als eine Art verlorenes Paradies heraufbeschwört. Schließlich ist ‚Der Fremde‘ ein philosophischer Roman, der Camus‘ Vision des Absurden veranschaulicht. Schwarzweiß verleiht der Geschichte eine fast metaphysische Dimension. Ich finde, dass diese Wahl zur Geschichte passt und dass sie auch eine Art Distanz zur Realität schafft, zu Meursaults Blick auf das, was um ihn herum geschieht.“ Und wahrscheinlich hat er damit auch recht – es ist auch der Unterschied, der einem zur farbig gedrehten Verfilmung von Visconti zuallererst ins Auge fällt. Schwarzweiß ist hier vielleicht die naheliegendere, überzeugendere Lösung, den Bildern etwas Zeitloses zu geben.

Was als nächstes ins Auge fällt, ist Ozons Cast, insbesondere die – überzeugende – Wahl des Darstellers von Meursault. François Ozon ist so etwas wie der Entdecker von Benjamin Voisin. Voisin, Ende 30, stammt aus Paris, spielte erst in Kurzfilmen und in Fernsehfilmen, dann hatte er 2017 in BONNE POMME seine erste Kinorolle, bevor er dann eben das erste Mal für Ozon spielte: In SOMMER 85, in dem er den charismatischen David spielte. Für seine Rolle im Historiendrama VERLORENE ILLUSIONEN (Regie: Xavier Giannoli) erhielt er dann den César als bester Nachwuchsdarsteller. Danach folgte eine Hauptrolle in DIE TANZENDEN von Mélanie Laurent, 2023 war er in SEELENVERWANDTE von André Techiné zu sehen. Über seine Rolle in DER FREMDE sagt er: „Ich habe mit Lesen und Recherchieren begonnen. Ich habe ‚Der Fremde‘ mindestens vier Mal gelesen, ebenso wie Essays von Camus, Nietzsche und Paul Valéry. Ich wollte meinen Geist nähren, bevor ich an meinem Körper arbeitete. Dann musste ich eine innere Stille finden. Ich habe mich mit Meditation, Stille und Rückzug beschäftigt, um meine eigenen existenziellen Ängste anzunehmen. Paradoxerweise war diese Rolle körperlich unglaublich anstrengend. Abwesenheit zu spielen ist extrem kräftezehrend; es hat mich mehr Kraft gekostet als eine Rolle, in der ich springen, kämpfen oder rennen musste. Fast nichts zu tun, fast nichts zu sagen, ist körperlich sehr anstrengend!“

Die Rolle der Marie schließlich, die bei Visconti von Anna Karina gespielt wurde, wird bei Ozon von Rebecca Marder verkörpert, die folgendes sagt: „Als ich vor den Dreharbeiten von der Rolle der Marie Cardona erzählte, reagierten die Leute oft überrascht: ‚Es gibt eine weibliche Figur in Der Fremde?‘ Es war spannend für mich, François über die Figur sprechen zu hören, denn ich wusste, dass er ihr einen besonderen Platz einräumen wollte. François ist ein Meister darin, die Frau, die Schauspielerin und die Figur miteinander zu verbinden. Ich liebe die Beziehung, die Marie zu Meursault hat. Ich finde es toll, dass sie ihn trotz allem liebt, selbst wenn er distanziert, gleichgültig und emotionslos wirkt. Marie sagt viel über die Liebe aus, aber sie veranschaulicht auch die Stellung der Frau in dieser Zeit. Ich liebte sie so, wie sie in Camus’ Roman erschien – vielleicht eine Personifizierung der unerwiderten Liebe – aber durch François’ Blick und Regie erhält sie eine weitere Dimension. Als Schauspielerin war es meine Aufgabe, ihr die Tiefe zu verleihen, die sie verdient.“ Auch Marder hat schon in einem Ozon-Film gespielt, in MEIN FABELHAFTES VERBRECHEN spielte sie eine der Hauptrollen an der Seite von Nadia Tereszkiewicz, Isabelle Huppert und Dany Boon.

DER FREMDE: Meursault (Benjamin Voisin), Marie (Rebecca Marder) und Raymond (Pierre Lottin) (© Foz – Gaumont – France 2 Cinema – Macassar Productions, Foto: Carole Bethuel)

Ich finde, was Ozon besonders gut gelingt, ist es, einen Sog zu entwickeln. Der Film erzählt langsam. Die Musik, aber auch das Schweigen, das Geheimnisvolle, die kleinen Beobachtungen aus dem Fenster von Meursaults Wohnung, all das entwickelt einen Sog, der uns in die Handlung hineinzieht. Die Bilder sind beeindruckend, ich kann mich nicht an einen zeitgenössischen Schwarzweißfilm erinnern, der so sehr nach 40er, 50er-Jahren aussieht, so sehr nach Neorealismus. Das ist schon stark, weil es dem Film auch zu einer Zeitlosigkeit verhilft.

Was mich jedoch etwas stört, sind jene Spuren, die die Adaption des Literarischen an die Leinwand hinterlässt, und die Ozon aber nicht hinreichend mit filmischen Mitteln aufzulösen gelingt. Es sind jene Szenen, in denen man spürt, dass irgendetwas aus der Vorlage verloren gegangen ist, etwa jene Szene der sonderbaren Totenwache im Seniorenwohnheim, die durchaus etwas surrealistisch-bunuelhaftes hat, der man jedoch anmerkt, dass sie literarischen Ursprungs ist.

Und das ist dann auch der Augenblick, an dem ich mich genötigt fühle, in Viscontis Verfilmung hineinzusehen, und der Vergleich bringt einiges zu Tage: Ozon erzählt die Geschichte langsamer – und das tut in der Tat der getragenen Erzählweise seines Filmes gut – dass er damit über zwei Stunden lang ist (und damit zwanzig Minuten länger als Viscontis Verfilmung wird) stört mich überhaupt nicht, dazu ist der benannte Sog, den er entwickelt, stark genug. Was mich aber wiederum an Viscontis Werk stärker überzeugt, ist, dass er den inneren Monolog der Vorlage immer wieder zum Gestaltungsprinzip, zum dramaturgischen Prinzip erhebt. Zwar ist der Off-Kommentar kein sehr cineastisches Mittel, weil eben nicht visuell-narrativ, aber immerhin gelingt es Visconti damit besser als Ozon, die Figuren einzuordnen. Ozon lässt einen da immer wieder alleine, und da läuft er dann doch Gefahr, den Zuschauer bisweilen etwas zu verlieren.

Dann wiederum ist es doch erstaunlich, wie äußerlich ähnlich sich viele der Szenen sehen, etwa der Leichenzug oder die Badeszene, eine Ähnlichkeit, die einen beinahe daran denken lässt, dass Ozon ein Remake von Viscontis Film erstellt, mehr als eine Neuverfilmung der Buchvorlage.

Wie auch immer: Ich finde die Sogwirkung der Ozon-Verfilmung und die beeindruckenden Bilder so stark, dass mir DER FREMDE lange in Erinnerung bleiben wird.

Und zum Schluss überlasse ich Ozon noch einmal das Wort: „Die Figur des Meursault hat die zeitgenössische Kultur tiefgreifend beeinflusst. Er ist eine mythische Figur. Darüber hinaus hat er viele Filmemacher geprägt und beeinflusst, die ‚Der Fremde‘ gelesen haben und sich dafür interessierten. Ich habe mir natürlich Viscontis Film von 1967 angesehen. In einem seiner Interviews gestand er, dass er nicht den Film drehen konnte, den er sich vorgestellt hatte, dass ihn das frustrierte und er mit dem Ergebnis unzufrieden war. Außerdem verriet er, dass seine erste Wahl für die Rolle des Meursault nicht Mastroianni,
sondern Delon gewesen war – was, ehrlich gesagt, eine viel bessere Idee war. Die perfekte Verkörperung von Meursault in den 1960er Jahren war in der Tat der junge Alain Delon, der in DER EISKALTE ENGEL zu sehen war, oder, noch besser, der Delon aus Antonionis LIEBE 1962, der meiner Meinung nach der ideale italienische Regisseur für die Verfilmung von ‚Der Fremde‘ gewesen wäre.“

Eigentlich finde ich gar nicht, dass Mastroianni eine Fehlbesetzung ist, wie es dieses Zitat andeutet. Aber was ich nun in jedem Fall mache, ist in Camus Vorlage einzutauchen. „Heute ist Mama gestorben. Vielleicht auch gestern, ich weiß es nicht. Aus dem Altersheim bekam ich ein Telegramm…“

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Originaltitel: L’Étranger
Frankreich 2025, 122 min
Genre: Drama, Literaturverfilmung
Regie: François Ozon
Drehbuch: François Ozon
Kamera: Manu Dacosse
Schnitt: Clément Selitzki
Musik: Fatima Al Qadiri
Produktion: FOZ, Gaumont, France 2 Cinéma, Macassar Productions, Scope Pictures
Mit: Benjamin Voisin, Rebecca Marder, Pierre Lottin, Denis Lavant, Swann Arlaud uvw.
FSK: 12
Kinostart: 01.01.2026

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