Manchmal fällt einem im Umfeld von Kinofilmen, seien es Dokumentarfilme oder Spielfilme, kleine Dinge auf, die bemerkenswert sind. So hat etwa Gaucho Gaucho, der am 11. September 2025 in die Kinos kommt, das vielleicht schönste Pressematerial, die schönsten Pressebilder, die ich seit längerem im Zusammenhang mit einem Film gesehen habe. Das hat vielleicht damit zu tun, dass gleich beide Regisseure des Dokumentarfilms einen beruflichen visuellen Hintergrund haben: Der eine, Gregory Kershaw ist nämlich Kameramann, so auch hier bei diesem Film, und der andere, Michael Dweck ist auch Fotograf. Zu seinen künstlerischen und dokumentarischen Projekten im Bereich der Fotografie zählen Serien wie „Habana Libre“, „Mermaids“ und „The End: Montauk, N.Y.“. Ausgestellt hat er in der halben Welt, von San Francisco bis Tokio, von Toronto bis Paris. „The End: Montauk, N.Y.“ ist als Bildband bei Ditch Plains Press erschienen. Der Film Gaucho Gaucho ist ihre dritte Zusammenarbeit, nach „The Last Race“ aus dem Jahr 2018 und „The Truffle Hunters“ aus dem Jahr 2020, der auf unzähligen Filmfestivals zu sehen war.

Gaucho Gaucho erzählt vom Nordwesten Argentiniens, von der Region Salta, in der die beiden Regisseure an dieser Schwarzweißdokumentation arbeiteten. Ich war mit meiner heutigen Frau im Jahr 2008 für ein paar Wochen in Argentinien unterwegs. In Salta waren wir nicht, aber natürlich in Buenos Aires, wir waren im wunderschönen Parana-Delta, diese verwunschene Flusslandschaft, aus der ich meine Liebe für Vögel mitbrachte – und eigentlich auch für Hunde. Wir waren in Patagonien und auf Feuerland – im Süd-Winter, es gab fast keine Touristen, Ushuaia wurde nicht von amerikanischen Touri-Massen überschwemmt. Der Nationalpark war einsam, man musste abends um 18 Uhr an einem bestimmten Ort sein, weil irgendwann der Park schloss und man dann in der Einsamkeit und der Kälte zurückgelassen worden wäre. In Patagonien mussten wir auch einen – glimpflich ausgegangenen – Busunfall miterleben, der waghalsige Busfahrer musste allerdings den Rest der langen Strecke mit kaputter Frontscheibe fahren. Immerhin raste er dann nicht mehr so.
„Wie unsere früheren Filme The Truffle Hunters und The Last Race erforscht GAUCHO GAUCHO die Geschichte einer in der Tradition verwurzelten Subkultur, die durch eine sich verändernde Außenwelt bedroht ist“, erzählen die Regisseure – und zwar von alternden Trüffelsuchern einerseits und von Stock Car-Rennpiloten andererseits. Zumindest der Trüffelfilm ist auf den einschlägigen Streaming-Portalen zu sehen. Und weiter: „Gauchos sind südamerikanische Cowboys, die, zu Pferd unterwegs, begleitet von ihren Hunden, ihr Vieh durch Landschaften von überwältigender Schönheit treiben. Sie bilden eine aus der Zeit gefallene Gemeinschaft, die zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Traum und Wirklichkeit schwebt. Ihre Identität ist eine Konvergenz von Mythologien, geschmiedet in einem Land, das sich weigert, seine wilde Seele aufzugeben. Ihre Vorfahren waren Rebellen, die sich bewaffneten, um für ihre Freiheit gegen die Spanier zu kämpfen. In der heutigen Zeit bleiben sie Außenseiter, Abtrünnige, die sich gegen die Invasion einer Moderne wehren, die versucht, die Bande der Gemeinschaft und der Verbundenheit durch die sterile Gleichförmigkeit zu ersetzen, die den ganzen Erdball überschwemmt.“

Und schon sehr bald sehen wir, was diesen Dokumentarfilm ausmacht: Es sind die Bilder in zartem Sepia-Schwarzweiß, es ist die Tonspur, schnaubende Pferde, trampelnde Hufe, bellende Hunde, mal die Opernmusik, die den Bildern eine zusätzliche Ebene der Erhabenheit verleihen, und es ist die Bewegung, die Kamerafahrten, die die reitenden Gauchos begleitet, oft auch mit einer verfremdenden Zeitlupe. Wir verfolgen die konzentrierten Gesichtsausdrücke der Gauchos. Der Film verknüpft poetische Bilder der Gauchos in ihrem Alltag, komponiert traumhafte Gegenlichtaufnahmen, zeigt die Arbeit, ihr Handwerk.
In einem Interview erzählen die Filmemacher davon, wie diese beeindruckenden Kamerafahrten entstanden sind: „Zuerst mussten wir ein Gerät besorgen, um filmen zu können“, erklärt Dweck. „Und es gab nur einen einzigen Mann in Buenos Aires, der so etwas hatte. Er besaß einen Polaris-Truck, eine Art Geländewagen mit Allradantrieb: wie ein Mad-Max-Mobil, mit einem Arm und einem Kreisel, eine sehr komplizierte Maschine, die wir 25 Stunden quer durch das Land, über hohe Bergstraßen fahren mussten, weil wir am anderen Ende Argentiniens waren, in der Nähe von Chile und Bolivien, und Buenos Aires liegt quasi am Atlantik. Wir mussten herausfinden, wie wir bei hohen Geschwindigkeiten von 35, 40 Meilen pro Stunde über Kakteen und riesigen Felsbrocken filmen konnten.“

Wir wechseln in eine Innenraum: Ein paar Gauchos spielen Karten. Nichts Aufregendes passiert, die Männer unterhalten sich über ihre Blätter, darüber welche Karten sie ausspielen, sie haben Spaß, eine kurze Szene von zwei Minuten. Wegen mir hätte das auch Stunden andauern können – das wird für viele Szenen gelten, die wir noch sehen werden. Schließlich ein Dorffest, Musik, Tanz, es wird gegrillt. Die Kamera bleibt in der Distanz, fängt die Veranstaltung in einer Totale ein. Unser Blick wandert im Bild umher, versucht alle Details zu erfassen. Die Filmemacher hätten, finde ich, beim Schnitt sogar noch viel mutiger sein dürfen, noch viel länger draufbleiben können.
Nächste Szene: Ein junge Frau füttert die Pferde, auch hier versucht der Blick und das Ohr wieder jedes Detail einzufangen: das Rascheln des Strohs, das Kauen der Pferde; der Hut auf dem Kopf der Frau, ihr gestrickter Pullover, ihr gemusterter Schal, ihre Stoffhose. Scheinbar oberflächliche Details, die aber den Blick fesseln.
Dann sind wir mit der jungen Frau in der Schule, auch hier beobachten wir wieder, mit starrer Kamera, über ihre Schulter, die Lehrerin steht an der Tafel erklärt, unscharf im Hintergrund von der Kamera eingefangen, die Kontinentalverschiebung. Dann ein Gespräch mit einer Lehrerin: Ihre Eltern hätten vertraglich unterschrieben, dass sie die Schuluniform tragen müsse. Aber sie, erklärt sie, sei eine Gaucha und die hätten ihre eigene traditionelle Kleidung. Und darin fühle sie sich nun mal wohl. „Aber Schule ist Schule. Regeln sind Regeln“, erklärt ihr die Lehrerin. „Vorschrift ist Vorschrift. Die Uniform ist Pflicht.“ Und dann steht sie auf dem Hof mit ihrer Tracht, abseits, während die anderen Mädchen mit ihrer kurzen Faltröcken und Pullovern dastehen und sich miteinander unterhalten. Viel wichtiger, das werden wir später sehen, ist sowieso das, was sie bei ihrem Vater lernen wird: den Umgang mit Pferden.

Es gibt Szenen, denen ein sanfter Humor innewohnt, etwa als in einem ärmlichen Ort ein altes, kaputtes Auto am Straßenrand steht, mit Platten Reifen und völlig verkratztem Lack. Dann reitet ein Mann mit seinem Pferd durchs Bild, erst hört man den Ton der Hufe, dann kommt er, es ist der Zeitungsausträger, der laut „Zeitung“ ruft und dann das entsprechende Blatt vor das zu beliefernde Haus schleudert, scheinbar willkürlich.
Dann lernen wir den Zeitungsausträger näher kennen, als er sich nämlich mit dem örtlichen Priester unterhält: Wofür er denn einmal in Erinnerung behalten werden will: Als Radiomoderator? Als Santito, der Zeitungsausträger? Als Santito der Musiker oder der Tänzer? Einfach als Santito, meint er, das decke alles ab, sagt er – und lässt den Priester mit seinen versucht tiefschürfenden Gesprächen etwas auflaufen.
„Wir haben eine Welt gefilmt, die nicht nur zerbrechlich ist, sondern untergeht“, sagt Michael Dweck über die Arbeit an dem Film. „Was wir dort erlebt haben, war anders… Die Eltern und Großeltern wollen, dass die Tradition weiterlebt. Sie ermutigen die jüngeren Kinder dazu, ihre Methoden zu lernen.“
Es ist beeindruckend die Gauchos beim Umgang mit ihren Kindern zuzusehen. Nie habe ich zuvor gesehen, wie selbstverständlich Lehren und Lernen ablaufen kann, ganz selbstverständlich in den Alltag integriert, voller Verständnis der Eltern, voller Wissbegierde die Kinder. Vielleicht könnten ausgerechnet wir ganz viel von dieser alten Kultur lernen. Noch einmal die Regisseure: „Der Film regt zur Diskussion an, wie alte Traditionen mit den Vorteilen des Fortschritts koexistieren können. Vielleicht muss Tradition und Fortschritt nicht im Widerspruch zueinanderstehen. Viele Dinge sind dem Fortschritt zum Opfer gefallen – bei vielen war es richtig, dass sie verschwinden –, aber andere könnten einen großen Wert haben: die Verbindung zu einer Gemeinschaft, einen Bezug zu den Lebensmitteln, die wir essen, die Verbindung zur Natur. Wir fragen uns, wie wir die wertvollen Dinge aus der Vergangenheit in die Zukunft holen können und wie wir es der Technologie ermöglichen können, sie zu verbessern, anstatt sie zu ersetzen. Wenn man Zeit in dieser Gemeinschaft verbringt, erkennt man, dass wir in der modernen Welt so viel verloren haben, und zwar so langsam und schrittweise, dass wir gar nicht merken, was uns fehlt.“

Und so tauchen wir immer tiefer in das Leben dieser Gauchos und Gauchas ein, in ihren Familienalltag, in ihre Traditionen, in ihre Kultur, wir sehen, wie sie mit ihren Kindern umgehen, und wir sehen sie in ihrem Berufsleben und vor allem dabei, wie sie reiten und mit ihren Rindern umgehen. Wir lernen viel über ihr Verhältnis zur Natur. Wir sehen drei Gauchos bei der Trauer um eine Kuh, die ums Leben gekommen ist, deren Kälber jetzt verwaist sind und die von den Gauchos nun mit der Hand aufgezogen werden müssen. Das wird viel Mühe kosten. Aber man hat Erfahrung damit, man hat den Umgang damit gelernt, als es einst eine große Dürre gab. „Das war hart damals“, sagt einer der Gauchos zu seiner Frau. „Kannst du dich erinnern, wie uns jeden Tag Kühe weggestorben sind?“
GAUCHO GAUCHO ist einer der schönsten, beeindruckendsten Dokumentarfilme dieses Jahres. Michael Dweck und Gregory Kershaw gelingt ein solch wunderbares, poetisches Porträt eines aussterbenden Berufes, einer Familie, einer Kultur. Das ist so unglaublich bezaubernd, humorvoll, dramatisch, besorgniserregend, ernst – man weiß gar nicht wie man das alles einordnen soll. Die Bilder sind so schön und bezaubernd, so ästhetisch und beeindruckend, sie ziehen einen immer wieder tief in die Handlung hinein. Was mich am meisten beeindruckt hat, ist der Tochter dabei zuzusehen, wie sie in einen ehemaligen Männerberuf hineinwächst. GAUCHO GAUCHO ist damit auch ein Coming-of-age-Film. Selten konnte man in einem Film einer Frau dabei so en detail zusehen, wie sie lernt, wie sie sich verändert, wie sie erwachsener wird. Man sieht das ihren Blicken an, ihrem Verhalten, ihren Gesten.
Irgendwann wird der Großvater gefragt, was er denn tun würde, wenn er heute wieder 20 wäre: „Ich würde alles wieder genauso tun“, sagt er. „Ich würde herumvagabundieren und mein Leben auf meine Weise leben.“
GAUCHO GAUCHO ist ein wundervolles, empathisches, poetisches kleines Meisterwerk.

CREW
Regie und Kamera: MICHAEL DWECK
GREGORY KERSHAW
Schnitt: GABRIEL RHODES
Produziert von: MICHAEL DWECK
GREGORY KERSHAW
CAMERON O’REILLY
CHRISTOS V. KONSTANTAKOPOULOS
MATTHEW PERNICIARO
Produktion: BEAUTIFUL STORIES PRODUCTIONS