DENN DIESES LEBEN LEBST NUR DU von Douglas Wolfsperger bei den Hofer Filmtagen 2025

Elisabeth; (c) Douglas Wolfsperger Filmproduktion

„Was zählt ist, was du tust“, sagt eine der Protagonistinnen am Anfang des Films. Irgendwo im Süden Deutschland, in hügeligen Landschaften und am Ufer des Bodensees. „Es gibt immer jemand, der das Scheiße findet. Aber ganz wichtig ist: Glaube an Wunder.“ Und weiter: „Denn dieses Leben, das lebst nur du.“ Und davon handelt Douglas Wolfspergers Dokumentarfilm, daher auch der Titel: „Denn dieses Leben lebst nur du“. Es geht um vier Menschen und zwar um Gabriel, Elisabeth, Melina und Dunja. Alle leben irgendwo in der Provinz Süddeutschlands. Und alle hatten einmal einen anderen Namen – und ein anderes Geschlecht. Und das, weil sie alle vier irgendwann erkannt haben, dass das Leben, das für die vorgesehen war, oder das sie bisher geführt oder sich ausgesucht hatten, nicht jenes war, das sie glücklich gemacht hat. So entschieden sie alle vier an einem Punkt ihres Lebens, dass das nicht so weitergeht und dass sie ihr Leben entscheidend verändern müssten. „Ich bin kein anderer Mensch“, sagt eine von ihnen in tiefem schwäbischem Dialekt. „Ich habe einen anderen Namen. Aber ich bin immer noch genau der gleiche Mensch, nur glücklicher.“

Subtil werden wir auf Details aufmerksam gemacht und darauf, dass diese Änderungen auch Spuren hinterlassen haben. Der einen sehen wir dabei zu, wie sie sich die sprießenden Barthaare entfernt, beim anderen, Gabriel, sehen wir beim Duschen, dass er Operationsnarben hat – Zeichen der Entfernung der Brüste. Überhaupt geht es viel um Körperlichkeit in diesem Film, Schminken, Körperpflege, Duschen, Rasieren – wir kommen den vier Hauptfiguren dieses Dokumentarfilms sehr nahe. Diese intimen Einblicke in deren Körperlichkeit hat auch etwas Grenzüberschreitendes, es irritiert uns, vielleicht verstört es uns bisweilen sogar. Dass wir Menschen bei intimen Tätigkeiten und bei der Körperpflege zusehen, kam zumindest in den letzten 10 oder 15 Dokumentarfilmen, die ich gesehen habe nicht vor.

Und dann fällt mir Neuköllner, mir Großstadtmenschen, dem die Buntheit auf den Straßen kaum noch Blicke abfordert auf, dass das aber möglicherweise etwas Ungewöhnliches ist: Diese vier Protagonist*innen leben ihr Leben auf dem Dorf, in süddeutscher Provinzialität, weit entfernt von urbaner Vielfalt. An einem Ort, wo jeder jeden kennt. Geht das? Was bedeutet das für das Leben der Menschen?

Wir begleiten die vier in ihrem Alltag: beim Bäcker, bei Arbeit in der Fabrik, beim Sport. Wie reagiert das Umfeld? Zunächst einmal ganz selbstverständlich. Anfeindungen entdecken wir zunächst keine. Hat das mit der Kamera zu tun? Reißen sich die Menschen zusammen? Oder erleben wir wirklich eine ganze Menge Toleranz und Selbstverständlichkeit?

Es geht auch um Begrifflichkeiten, Worte, Bezeichnungen, Kategorien: „Transfrau klingt für mich blöd“, sagt Melina. Sie sei – inzwischen – Frau, auch vor dem Gesetz. „Ich bin eine Frau mit trans-identem Hintergrund.“ Und für Gabriel ist es ganz selbstverständlich, dass er im Fitnessstudio in die Männerumkleide geht. Kein Thema. Gabriel musste sich in seiner Jugend immer anhören, dass das alles nur so eine Phase sei. Man hat abgewunken, ihn nicht ernstgenommen.

Dann erzählt Elisabeth ihre Geschichte. Als zweigeschlechtlicher Mensch sei sie auf die Welt gekommen, mit Penis und Scheide, mit 75% weiblichen Genen. „Ich bin nicht transsexuell, ich bin intersexuell. Geoutet habe ich mich mit 52“, sagt sie. Sie erzählt, wie sie früher heimlich im Wald hinter einer Kapelle einen Rock angezogen habe – „dann war ich gelöst“, sagt sie. Mit der steten Angst, gesehen zu werden.

Gabriel erzählt von seiner schwierigen Jugend, von 20 Jahren Psychotherapie. Nie wurde er ernstgenommen, immer wurden seine Probleme mit seinem Körper abgetan: „Du musst dich einfach mit deiner Weiblichkeit auseinandersetzen“, hieß es. Und dann hatte er – noch als Frau – einen Mann kennengelernt, Olli. Sie heirateten. Um Sexualität ging es kaum, es sei eher so etwas wie eine Männer-WG gewesen. Dann kam die Trennung, und Gabriel begann, seinen Körper zu verändern, Muskeln aufzubauen. Wie eine Befreiung sei das gewesen. „Ich muss diesen Weg weitergehen“, war die Erkenntnis, die dann kam.

Und was bedeutet der Geschlechtswechsel für das Verhältnis zu Freunden und Angehörigen? Und für die Beziehungen? Alte wie neue? Das ist vielleicht das spannendste Kapitel in Douglas Wolfspergers Film. Es sind Geschichten des Glücks, der Erleichterung, der Zufriedenheit, aber auch des Schmerzes, es sind Geschichten von Kontaktverlusten, verlorenen Freundschaften und Trennungen, die der Film uns erzählt. Wie reagiert etwa das Umfeld auf den Geschlechtswechsel? Alles ist dabei: Ablehnung, Gleichgültigkeit, Toleranz, Verwunderung, sogar Angst. Manchmal immerhin Neugierde. Und genau diese Szenen der Neugierde, des Nachfragens, des Interesses, sind die stärksten Szenen des Films. Man spürt geradezu, wie die Protagonist*innen dann aufleben, dankbar sind für positives, ehrliches Interesse. Weil sie genau das nämlich nur selten gespürt und erlebt haben.

Melina, (c) Douglas Wolfsperger Filmproduktion

Douglas Wolfsperger („Bellaria“, “Die Blutritter”, „Wiedersehen mit Brundibar“) gelingt ein zutiefst berührender, intimer, faszinierender Dokumentarfilm, der all das fragt und beobachtet, was wir selber eigentlich nie zu fragen gewagt hätten. Die Intimität, die Wolfsperger zeigt, indem es ihm gelingt, den Hauptfiguren dieses Dokumentarfilms so nahezukommen, ist so unglaublich intensiv. Der Regisseur stellt die Fragen, die wir uns nicht getraut hätten zu fragen. Und by the way: Transpersonen hatten es noch nie leicht in ihrem Leben. Früher nicht, als die Probleme totgeschwiegenen und die Betroffenen diskriminiert wurden. Und heute nicht, wo allerorten auf der Welt hart erkämpfte Rechte von autoritären Regimes wieder abgebaut wurden. Wo Transpersonen wieder verstärkt verunglimpft und in den Schmutz gezogen werden. Und von wegen bunte Großstadt, in der man sich geben kann wie man will: Kann man nicht, auch in Berlin nicht. Auch heute besteht wieder die Gefahr, dass Transpersonen diskriminiert, gemobbt, verprügelt oder gar getötet werden. Das ist Alltag in viele Großstädten, auch in Berlin. Umso dankbarer muss man Douglas Wolfsperger für diesen Film sein.

DENN DIESES LEBEN LEBST NUR DU
Regie & Drehbuch: Douglas Wolfsperger
Mit Gabriel, Elisabeth, Melina, Dunja u.a.
Deutschland 2025 | 80 Minuten
Wilder Süden Filmverleih bringt den Film im Frühjahr 2026 bundesweit in die Kinos. 

Uraufführung auf den Hofer Filmtagen
Mittwoch, 22.10. um 19:30 Uhr im Central 3

Wiederholungen
Donnerstag, 23.10. um 12:30 Uhr im Central 1
Sonntag, 26.10. um 15:45 Uhr in der Turnhalle

https://www.hofer-filmtage.com/de/2025/filme/denn-dieses-leben-lebst-nur-du

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