„I guess you go for nothing if you really want to go that far“

Death of a ladies‘ man – MFA Filmverleih. —

…ENGLISH VERSION BELOW…

Die meisten Fans der Musik von Leonard Cohen können eine Anekdote erzählen, die sie mit seinen Liedern verbinden. Meine ist die: Ich habe Leonard Cohen bei seinem letzten Berlinkonzert erleben dürfen. Es war ein zu Tränen rührendes Ereignis, weil man sich schon ausrechnen konnte, dass Cohen vielleicht nicht wiederkommen würde. Und sein Lied „First we take Manhattan“ war vielleicht das emotionalste Stück Konzert, das ich in meinem Leben erlebt habe. Cohen sang „First we take Manhattan“ – und ließ dann den Teil „then we take Berlin“ aus – die Schweinwerfer richteten sich aufs Publikum, das wie mit einer Stimme die fehlenden Worte sang. Im November 2016 starb Cohen schließlich. Aber bevor er starb gab er noch die Erlaubnis, dass seine Lieder für ein Filmprojekt verwendet werden, das nun bald in die Kinos kommt. DEATH OF A LADIES‘ MAN heißt der Film des kanadischen Regisseurs Matt Bissonnette. Der Verleih nennt den Film „eine charmante Groteske“ – und das ist es irgendwie auch. Es ist aber vor allem ein Cohen-Film, der von dessen Musik lebt, und der den Geist seiner Poesie atmet.

Matt Bissonette stammt aus Montreal und wäre beinahe für die Filmwelt verloren gewesen, weil er nämlich Jura studierte, als Anwalt zugelassen wurde, aber bereits nach zwei Wochen in der schnöden Juristenwelt seien Anwaltsrobe an den Nagel hing und sich der Schreiberei und der Filmerei zuwandte. Im Jahr 2002 inszenierte er den Film LOOKING FOR LEONARD, seine erste Auseinandersetzung mit dem Werk von Leonard Cohen. Darin erzählt er die Geschichte des kleinkriminellen Brüderpaars Ted und Johnny. Teds Freundin Jo hingegen verbringt ihre Zeit damit, Leonard Cohens Roman „Beautiful Losers“ zu lesen, und davon zu träumen, irgendwann auf Leonard Cohen zu treffen und mit ihm zusammen ein erfüllteres Leben zu verbringen, als es ihr jetzt beschieden ist. 2006 folgt Bissonettes nächster Film, WHO LOVES THE SON, im Jahr 2008 veröffentlicht er seinen Roman „Smash your head on the Punk Rock“. Im Jahr 2010 folgt das Filmdrama PASSENGER SIDE, dann folgt eine zehnjährige Schaffenspause. Bissonette erklärt die Lücke in seiner Biografie wie folgt: „In der Zwischenzeit habe ich einen Sohn bekommen, ließ mich scheiden, zog meinen Sohn auf, wurde nüchtern, heiratete wieder, bekam eine Tochter, zog sie auf…“ Und von diesen zehn Jahren steckt vieles in DEATH OF A LADIES‘ MAN.

Leonard Cohen ist also die eine Persönlichkeit, die die Erscheinung dieses Films prägt. Die andere ist Gabriel Byrne. Byrne ist inzwischen 71 Jahre alt. Und obwohl er damit auch ein recht umfangreiches Ouevre aufzuweisen hat, ist er für mich für immer mit Bryan Singers THE USUAL SUSPECTS aus dem Jahr 1995 verbunden. Das Plakat dazu hing in meiner Freiburger Studentenbude, und für mich war das sicher einer der einprägsamsten, wichtigsten Filme der Neunziger Jahre, und gemeinsam mit dem ein Jahr früher erschienenen PULP FICTION von Quentin Tarantino so etwas wie mein persönlicher Weckruf, mich endlich ernsthafter mit amerikanischem Kino beschäftigen zu müssen. Schlussendlich führte das alles dazu, dass ich mich zwei Jahrzehnte meines Lebens beruflich mit den Filmen der 20th Century Fox auseinandersetzte. Aber nun wieder zu Matt Bissonettes Cohen-Film…

Gabriel Byrne spielt also den irischstämmigen Montrealer Poetikprofessor Sam – Samuel O’Shea. Sam ist in die Jahre gekommen, über Jahrzehnte dem Alkohol verfallen, seine Frau und er sind getrennt, seine Studenten machen sich bisweilen über ihn lustig, was ihm aber weitgehend egal zu sein scheint. Spätestens die Erkenntnis, dass er an einem todbringenden Gehirntumor leidet, führt dazu, dass er sich mit seinem Leben, seiner Vergangenheit und mit dem Tod auseinandersetzt. Der Tumor drückt aber auch auf sein Emotions- und Wahrnehmungszentrum, das aber, wie er sagt, sowieso nicht weit entwickelt sei. Aber der Tumor führt zu einer ver-rückten Realitätswahrnehmung, oder kurz: zu Halluzinationen.

Die wichtigste Wiederbegegnung zu der ihm seine Halluzination führt, ist der Geist seines früh verstorbenen Vaters Ben (Brian Gleeson). Diese Begegnung mit dem, wie Sam meint, eigentlich ganz schön erbärmlichen Geist seines Vaters, öffnet ihm die Augen und er erkennt, dass er sich einerseits zu wenig um seine beiden Kinder gekümmert hat, und andererseits zu wenig um sich selbst, die Verwirklichung seiner Träumer vernachlässigte und zu sehr dem Alkohol anhing. Die Nähe zu seinen Kindern versucht er eilig aufzuholen. Und dann begibt er sich auf die Spuren seines Vaters nach Irland. Dessen Geist begleitet ihn, und Sam beginnt einen Roman zu schreiben…

Bissonettes Film erzählt vom Rückblick auf das Leben angesichts des nahenden Todes. Er berichtet von ausgelassenen Chancen und warnt davor, wie verhängnisvoll es sein kann, Dinge zu verpassen. Verzweifelt versucht Sam, diese Lücken im Leben noch zu schließen, bevor es zu spät ist. Dennoch schafft der Regisseur es, dass einen das nicht runterzieht. Die Kraft der Poesie ist mächtig und hilft auch im Augenblick des nahenden Todes. Und für die Poesie, die DEATH OF A LADIES‘ MAN innewohnt, sorgen die Lieder und die Liedtexte von Leonard Cohen. Elegant baut Bissonette sie ein, mal als Hintergrundmusik, mal als musikalische Bebilderung von Sams Halluzinationen, mal beinahe beiläufig dramaturgisch in die Handlung eingebaut.

Bissonette ist ein wunderbarer Schatz gelungen, ein Kleinod, das es sich in seiner Poesie auch leisten kann, bisweilen die Richtung, den Fokus (die Reise nach Irland) etwas zu verlieren – abzuschütteln. Bissonette steht dabei in einer Tradition kanadischer Filmemacher, in unvollständigerr Aufzählung: etwa Atom Egoyan (mit seinen armenischen Wurzeln), Denys Arcand, Sarah Polley, – denen es immer wieder gelingt, kleine, einfache Geschichten zutiefst poetisch zu erzählen. Und so ist es einerseits diesem wunderbaren Vermächtnis Leonard Cohens zu wünschen, dass es in der Filmschwemme der Nachcoronazeit nicht untergeht – und so ist es andererseits Matt Bissonette zu wünschen, dass es ihm gelingt, nicht erst wieder in zehn Jahren ein solch poetisches Werk in die Kinos zu bringen.

Regie: Matt Bissonnette
Mit: Gabriel Byrne, Jessica Paré, Brian Gleeson, Suzanne Clément, Antoine Olivier Pilon
Land: Kanada, Irland
Jahr: 2020
Genre: Drama, Komödie
Laufzeit: ca. 97 Min.
Kinostart in Deutschland: 05.08.2021

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„I GUESS YOU GO FOR NOTHING IF YOU REALLY WANT TO GO THAT FAR“

Most fans of Leonard Cohen’s music can tell an anecdote that they associate with his songs. Mine is this: I was able to see Leonard Cohen at his last Berlin concert. It was a tearful event because you could guess that Cohen might not be back. And his song “First we take Manhattan” was perhaps the most emotional piece of concert I have ever experienced in my life. Cohen sang “First we take Manhattan” – and then left out the part “then we take Berlin” – the spotlights were aimed at the audience, who sang the missing words like one voice. Cohen finally died in November 2016. But before he died he gave permission for his songs to be used for a film project that will soon be released in theaters. DEATH OF A LADIES‘ MAN is the name of the film by Canadian director Matt Bissonnette. The distributor calls the film “a charming grotesque” – and somehow it is. Above all, however, it is a Cohen film that lives from his music and breathes the spirit of his poetry.

Matt Bissonette comes from Montreal and was almost lost to the film world because he studied law and was admitted to be a lawyer, but after two weeks in the dreary world of law, his attorney robe was hung up and he turned to writing and filmmaking. In 2002 he directed the film LOOKING FOR LEONARD, his first interpretation of the work of Leonard Cohen. In this film he tells the story of the petty criminal brothers Ted and Johnny. Ted’s friend Jo, on the other hand, spends her time reading Leonard Cohen’s novel „Beautiful Losers“ and dreaming of meeting Leonard Cohen at some point and having a more fulfilling life with him than she is now. In 2006 Bissonette’s next film followed, WHO LOVES THE SON, and in 2008 he published his novel “Smash your head on the punk rock”. The film drama PASSENGER SIDE followed in 2010, followed by a ten-year career break. Bissonette explains the gap in his biography as follows: „In the meantime I have had a son, divorced, raised my son, sobered up, remarried, had a daughter, raised her …“ And of those ten years there’s a lot in DEATH OF A LADIES ‚MAN.

So Leonard Cohen is the one personality who shapes the appearance of this film. The other is Gabriel Byrne. Byrne is now 71 years old. And although he has a very extensive oeuvre to show, for me he is forever connected to Bryan Singer’s THE USUAL SUSPECTS from 1995. The poster for it was hanging in my student apartment in Freiburg, and for me it was certainly one of the most memorable and most important films of the nineties, and together with Quentin Tarantino’s PULP FICTION, which was released a year earlier, something like my personal wake-up call, I finally got serious about contemporary American cinema. In the end, all of this led to my professional involvement with 20th Century Fox films for two decades of my life. But now back to Matt Bissonette’s Cohen film…

Gabriel Byrne plays the Irish-born Montreal poetry professor Sam – Samuel O’Shea. Sam is getting on in years, has been addicted to alcohol for decades, he and his wife are separated, his students sometimes make fun of him, which he doesn’t seem to care about. At the latest, the realization that he suffers from a deadly brain tumor leads to his grappling with his life, his past and death. However, the tumor also presses on his center of emotions and perception, which, as he says, is not well developed anyway. But the tumor leads to a crazy perception of reality, or in short: to hallucinations.

The most important re-encounter to which his hallucination leads him is the ghost of his late father Ben (Brian Gleeson). This encounter with – what Sam thinks, actually quite pathetic -spirit of his father, opens his eyes and he realizes that on the one hand he cared too little for his two children and on the other hand too little for himself, the realization of his dreamers neglected and too attached to alcohol. He tries to catch up the relationship with his children in a hurry. And then he goes – on in his father’s footsteps – to Ireland. His spirit accompanies him, and Sam begins to write a novel…

Bissonette’s film tells about looking back at life in the face of approaching death. It reports of missed opportunities and warns of how disastrous it can be to miss out on things. Sam desperately tries to fill these gaps in life before it’s too late. Nevertheless, the director manages that that doesn’t drag you down. The influence of poetry is powerful and helps even in the moment of approaching death. And the poetry inherent in DEATH OF A LADIES’ MAN is provided by the songs and lyrics by Leonard Cohen. Bissonette builds it in elegantly, sometimes as background music, sometimes as a musical illustration of Sam’s hallucinations, sometimes built into the plot almost casually.

Matt Bissonette has succeeded in creating a wonderful treasure, a gem – that in its poetry can also afford to lose the direction, the focus (the trip to Ireland) a little. Bissonette stands in a tradition of Canadian filmmakers, in an incomplete list: for example Atom Egoyan (with his Armenian roots), Denys Arcand, Sarah Polley, – who repeatedly manage to tell small, simple stories deeply poetically. And so it is on the one hand to wish this wonderful legacy of Leonard Cohen that it does not go under in the glut of films of the post-Corona period – and on the other hand it is to be wished for Matt Bissonette that he will succeed in producing such a poetic work again soon. Everyone who loves the music of Leonard Cohen will love this film.

Director: Matt Bissonnette
Starring: Gabriel Byrne, Jessica Paré, Brian Gleeson, Suzanne Clément, Antoine Olivier Pilon
Country: Canada, Ireland
Year: 2020
Genre: Drama, Comedy
Running time: approx. 97 min.
Cinema release in Germany: August 5th, 2021

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