GOD SPEAKS YIDDISH beim Jüdischen Filmfest Berlin Brandenburg

„My name is Tuvia Tenenbom, a sweet man by nature, and these are the children of god, just like I used to be, when I was their age.” Die Kinder, wie er damals, studieren  die Torah in einer ultraorthodoxen Grundschule in Jerusalem. Tuvia ist auf dem Weg nach Mea Shearim, einem der ältesten Stadtviertel Jerusalems, wo fast ausschließlich „Charedim“, also ultraorthodoxe Jüdinnen und Juden leben. Vierzig Jahre lang war Tuvia nicht mehr hier, wo er aufgewachsen ist. Im Zug trifft er einen Juden, der nicht mehr gläubig ist. Dennoch trägt er eine Kippa, wegen seiner Eltern, sagt er. Er will Tuvia von seinem Leben erzählen, aber nur, wenn dieser seine Identität verbirgt. Warum er Jerusalem verlassen habe? Bis er 12 oder 13 war, ist er von einem Rabbi vergewaltigt worden. Fünf Jahre lang, seit er acht war. Die ultraorthodoxe Welt konnte damit nicht umgehen. Man stellte ihn als Lügner hin, glaubte den Unschuldsbehauptungen des Rabbis.

Nichts habe sich auf den Straßen seines Viertels geändert, seit er klein war, die Häuser nicht, die Straßen nicht, die Menschen nicht. Tuvia trifft sich mit Dan Schueftan, einem Politologiedozenten. Die ultraorthodoxe Gemeinschaft kenne er in- und auswendig. Die Charedim, sagt Schueftan, seien die größte derzeitige Gefahr für die Zukunft der Juden. 7,2 Kinder hätte jede Familie, die Rabbis wollten, so Schueftan, dass ihre Kinder unausgebildet bleiben, damit die Rabbis das Sagen haben. Parasiten seien sie, sagt er. Was aber nötig sei, sei eine entwickelte, starke Nation – und sie seien das Gegenteil davon. Das Ethos des nicht Arbeitens sei unmoralisch und un-jüdisch. „Das Beste wäre, sie verwandelten sich in Pinguine und gehen in die Antarktis“, schimpft er. Ob es etwas Positives gäbe, hakt Tuvia nach. „Nein“, ist die kurze Antwort. Als Tuvia selbst klein war, träumte er davon, einmal der berühmteste aller Rabbis zu sein. So wie die jungen Menschen in dem Viertel vielleicht heute noch träumen.
Als nächstes trifft Tuvia sich mit Rabbi Israel Meir Hirsh, dem Vorsitzenden der antizionistischen Gruppe Neturei Karta. Aufmerksam hört Tuvia ihm zu, hakt nach, was die genaue Auslegung der Sabbatregeln sind, wer genau ein Jude sei und wer nicht usw., schwierig zu verstehen für jemanden von außen, aber Tuvia kennt diese Welt ja noch genau. „This man ist he extreme of the extreme, but he’s quite an exciting guy, and I must admit that I like him,” urteilt Tuvia, und er hat komplett recht, ich könnte ihm stundenlang zuhören, obwohl es kaum eine Welt gibt, die mir fremder ist. Alleine sein Jiddisch ist faszinierend, weil man halt doch eine ganze Menge vom Zuhören her versteht, man schwankt zwischen dem Jiddischen Ton und dem englischen Untertitel.
Als nächstes trifft er sich mit Yoilish Krois, dem inoffiziellen Sprecher der Ultraorthodoxen in Mea Shearim. Achtzehn Kinder hat er. Auch ihm kann man ewig zuhören. Interessant, wie Tuvia ihm nach dem „warum“ von Glaubenssätzen der ultraorthodoxen Juden fragt. Aber das „warum“ interessiert Yoilish Krois nicht: „Ich brauche keine Erklärungen. Ich mache, was meine Eltern machten. Sie machten, was ihre Eltern machten.“ Wann sind die Grundsätze und Regeln entstanden – und stand das schon in der Tora, fragt Tuvia nach. Nachher sitzen sie da und lesen in der Tora nach. Und er blättert und blättert, offenbar steht gar nicht alles in der Tora, sondern ist später entstanden. Und Tuvia lässt nicht locker…
Und so zieht er weiter und führt Gespräche mit allerlei Menschen. Er fängt die Vielfalt ein, die Glaubensschattierungen, die Perspektiven. Wir beobachten die Menschen beim Tanzen, beim Essen, beim Reden, beim Beten, beim Feiern. Tenenbom urteilt nicht, vielleicht in Gedanken, aber er äußert sich nicht abschätzig, wertet nicht, bohrt vielleicht nach, wenn er etwas nicht nachvollziehen kann. Tuvia Tenenbom ist ein so großartiger und unterhaltsamer Gesprächsführer, dass man so unglaublich viel Spaß und Interesse an dieser Dokumentation hat. Alles lebt von dem großartigen Gesprächstalent von Tuvia Tenenbom. „God Speaks Yiddish“ ist eine grandiose, eine zutiefst unterhaltsame, witzige, nachdenkliche, lehrreiche, spannende Dokumentation.

AUFFÜHRUNGEN

22.06.2024 18:30

Berlin: Moviemento

OmU

23.06.2024 11:00

Berlin: Filmkunst 66 Saal 1

OmU; mit anschließender Lesung (auf Englisch).

Im Anschluss an die Filmvorführung im Filmkunst 66 liest der anwesende Regisseur und Autor Tuvia Tenenbom aus seinem Buch „God Speaks Yiddish“ (2023).

Die Lesung findet in englischer Sprache statt.

CREDITS

Originalitel GOD SPEAKS YIDDISH

Internationaler Titel GOD SPEAKS YIDDISH

Deutscher Titel GOD SPEAKS YIDDISH

JFBB Sektion KINO FERMISHED

Regisseur TUVIA TENENBOM

Land/Länder DE

Jahr 2024

Dauer 78 Minuten

https://jfbb.info/programm/filme/god-speaks-yiddish

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