Der geheimnisvolle Hund. Über eine neue Daido Moriyama-Dokumentation.

DAIDO MORIYAMA – The Past is always new, the Future is always nostalgic

Das erste Mal begegnete ich den Arbeiten des japanischen Fotografen Daido Moriyama in London in einer Doppelausstellung mit William Klein in der Tate Modern. Seither begleiten und inspirieren mich seine Fotografien. Seine rauen Schwarzweißfotos, sein Mut zu Unschärfe, Grobkörnigkeit und Verwacklungen, die mysteriöse Wirkung des Lapidaren, Alltäglichen, Banalen – und jener geheimnisvolle Hund („Stray Dog“, sein ikonisches, berühmtestes Bild) – all das prägte sich mir ein und hat einen wichtigen Einfluss auf meine eigene Arbeit. Seine Fotografien sind direkt, radikal, subjektiv, unmittelbar. In Deutschland ist Moriyama vor allem Straßenfotograf*innen und Fotobuchsammler*innen ein Begriff.

Daido Moriyama ist 1938 in Ikeda geboren, studierte in Osaka Fotografie und zog schließlich 1961 nach Tokio. Insgesamt veröffentlichte er mehr als 150 Fotobücher. Mit einer kleinen Kamera flaniert er bis heute durch die Straßen Tokios, entdeckt hier etwas Spannendes, bleibt dort an irgendetwas hängen, das er für fotografierenswert hält. Er erhielt etliche Auszeichnungen und hat in wichtigen Museen und Galerien ausgestellt, allerdings erstaunlich selten bisher in Deutschland, was dringend nachgeholt werden müsste.

Der japanische Regisseur Gen Iwama (der auch die Kamera führte und für den Schnitt verantwortlich war) begleitete nun den inzwischen 81-jährigen Fotografen mit der Kamera. Iwama begleitet aber nicht nur ihn, sondern auch den Verleger Yutaka Kanbayashi und den Grafiker Satoshi Machiguchi dabei, wie sie ein altes Buch von Moriyama überarbeiten und neu auflegen, den 50 Jahre alten allerersten Fotoband von Moriyama, „Japan, a photo theater“ aus dem Jahr 1968. Der Film ist Gen Iwamas Debütfilm. Das Ergebnis ist nun das Werk mit dem etwas sperrigen Titel „DAIDO MORIYAMA – The Past is always new, the Future is always nostalgic“, der am 28. Oktober 2021 im Verleih von Rapid Eye Movies in die deutschen Kinos kommt.

DAIDO MORIYAMA – The Past is always new, the Future is always nostalgic

Iwamas Film zeigt alle Details der zeitgenössischen Neuauflage von Moriyamas Buch: Das Fällen der Bäume für das spezielle Papier, das ausgewählt wurde, die Verarbeitung des Holzes, die Herstellung der riesigen Papierrollen, die mühsame, teils nervenaufreibende Recherche zu den Bildern im Buch, die gemeinsamen Sitzungen, zunächst zu dritt, aber irgendwann ist es Moriyama zu viel und er verlässt sich auf die detailreiche Arbeit der beiden.

Das alles wird immer wieder unterbrochen von Aufnahmen, die den Fotografen bei seinen Spaziergängen durch die Straßen begleiten, wie er flaniert, beobachtet, fotografiert. Und er erzählt von früher, vor allem von seiner Freundschaft, Liebe, Beziehung zum Fotografen Takuma Nakahira, der 2015 starb. „Ich konnte den Blick nicht von ihm lassen“, sagt er. Er erzählt, wie sie als junge Fotografen über Fotografie sprachen, über andere Fotografen, deren Bilder sie alle schlecht fanden. Sie waren junge Wilde, voller Zorn. Nakahira war Godard-Anhänger, Moriyama Fellini-Bewunderer. Er ist sichtlich bewegt, wenn er von ihrer gemeinsamen Vergangenheit erzählt.

DAIDO MORIYAMA – The Past is always new, the Future is always nostalgic

Während der Verleger und der Grafiker immer noch mit ihrer aufwändigen Arbeit am Buch beschäftigt sind, bereitet Moriyama derweil eine Ausstellung vor: in einer winzigen Bar in Shinjuku. Die Bilder werden mit Reißnägeln an die Wand gepinnt, dicht an dicht, eigentlich wie in einer Debütausstellung irgendeines Fotostudenten. Ihm ist die Präsentationsweise nicht wichtig, es macht ihm Spaß, provisorisch, ohne viel Aufwand zu arbeiten – quasi das Gegenteil dessen, was sein Verleger und sein Grafiker gerade tun, während sie die Neuauflage des Buchs vorbereiten.

Der Handlungsstränge dieses Dokumentarfilms laufen alle auf jenen Augenblick gegen Ende des Films zu, in dem der Verleger und der Grafiker dem Fotografen das Resultat ihrer vielmonatigen Arbeit zur Abnahme vorlegen. Moriyama hat sich irgendwann begonnen, aus der Arbeit herauszuhalten, aber nun stellt sich die Frage: Findet er das Buch gut oder nicht? In einer unglaublich langen, nervenzehrenden Szene, sicher der eindrücklichsten des ganzen Films, harren wir gemeinsam mit den Protagonisten der Dinge und sind zutiefst gespannt, was der Künstler dazu sagen wird, während er blättert und blättert, aber zunächst schweigt…

DAIDO MORIYAMA – The Past is always new, the Future is always nostalgic

Jeder, der sich für Gegenwartsfotografie interessiert, sollte sich diesen Film ansehen. Er gehört in eine Reihe von beeindruckenden Fotografendokumentationen der letzten Jahre, die vor allem von den Werken oder den Persönlichkeiten der Protagonisten leben, zum Beispiel „Das Salz der Erde“ über Sebastião Salgado, „Finding Vivian Maier“ oder zuletzt „Helmut Newton – the Bad and the Beautiful“. Mich störte anfangs etwas der dramaturgische Bogen, der mit der Wiederauflage des Buchs von Moriyama erzeugt werden soll. Ich fand der Bogen trägt nicht immer so richtig und ist vielleicht auch unnötig. Die Figur Daido Moriyama an sich ist so spannend, dass es eines solchen Spannungsbogens gar nicht bedurft hätte. Aber trotzdem finde ich, mit etwas Abstand, dass er dem Film eine Geschlossenheit gibt – und er erzeugt auch einen wundervollen Kontrast zwischen den rühreigen, detailverliebten Herausgebern seines Buches und der lässigen, improvisierenden, auf den Zufall vertrauenden Arbeitsweise Moriyamas. Und allem voran hat der Film eines geschafft: Meine Lust, auf die Straße zu gehen und zu fotografieren war augenblicklich wiedererweckt.

DAIDO MORIYAMA – The Past is always new, the Future is always nostalgic

DAIDO MORIYAMA – The Past is always new, the Future is always nostalgic

Starttermin: 28. Oktober 2021

Genre: Dokumentation

Premiere/ Europa: 2020 Raindance Festival

Fassung: Japanisch mit dt. Untertiteln

Länge: 110 Minuten

FSK: freigegeben ab 6 Jahren

Regisseur, Autor, Editor: Gen IWAMA

Produzent: Tomoaki SUGIMOTO

Kamera: Gen IWAMA

Musik: Kazunori MIYAKE

Mit: Daido MORIYAMA

Verleger – Yutaka KANBAYASHI

Grafiker – Satoshi MACHIGUCHI

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