Felix Meyer-Christians Regiedebüt INDEPENDENCE beim Max-Ophüls-Festival

INDEPENDENCE. Regie: Felix Meyer-Christian
Helen Wendt. INDEPENDENCE. Regie: Felix Meyer-Christian

„Jemand hat gesagt, dass Bevölkerungen und Staaten, die um ihre Unabhängigkeit kämpfen, immer auch um eine Geschichte kämpfen, um eine Identität.“ So beginnt die Spurensuche der afrodeutschen Schauspielerin Helen Wendt, entlang ihrer eigenen Identität und ihrer eigenen Unabhängigkeit zwischen der einstigen DDR, Mosambik und Berlin. Gleichzeitig folgen wir Unabhängigkeitsbewegungen in mehreren Ländern, Mosambik, Südsudan, Großbritannien, Katalonien und Bayern. Helen erzählt, dass sie ohne Vater aufgewachsen war, von dem sie aber wusste, dass er in Mosambik lebte. In Leipzig hatten sie sich kennengelernt. Als Helen drei war, floh ihre Mutter mit ihr in den Westen. Inzwischen hat sie ihren Vater auch mal getroffen. Helen fliegt nun wieder einmal nach Maputo, um ihren Vater wieder zu besuchen – und ihre Halbschwester. Damals musste er wieder nach Mosambik zurück, noch bevor Helen geboren wurde. Er heiratete, bekam Kinder, eben auch Helens Halbschwester. Der Film recherchiert über die Unabhängigkeit Mosambiks von Portugal im Jahr 1975, es war eines der letzten afrikanischen Länder, das seine Unabhängigkeit gewann. Es gab Gewalt, es gab Tote, aber am Ende wurde die mosambikanische Flagge gehisst.

Wir verfolgen dann anderen Unabhängigkeitsbewegungen, der von Katalonien beispielsweise. Die Lehrerin Gisela Racero erzählt von den katalonischen Traditionen und von der Freiheitsbewegung. Die Menschenpyramiden sind eine dieser Traditionen, Gisela war immer dabei. Unter Franco war das verboten, sogar die katalanische Sprache war verboten.

Dann geraten wir an eine Freiheitsbewegung, die sehr viel näher liegt: die bayerische Freiheitsbewegung. Florian Weber von der Bayerischen Partei schildert seine Ideen. „Bayer ist man nicht durch Geburt, sondern durch Empfinden.“ Er sagt: „Wir möchten auch Bayern in sich verändern.“ Weg vom Zentralismus. Er schildert auch Anknüpfungspunkte zur katalonischen Freiheitsbewegung. Am Ende müsste das bayerische Volk, sagt er, in einer freien Volksabstimmung über die Unabhängigkeit „unter bestimmten Voraussetzungen“ abstimmen.

Was braucht es, um sich zu einem Staat zugehörig zu fühlen? Wie entsteht Identität? Wie entsteht daraus der Wille zur Unabhängigkeit? Das sind die zentralen Fragen, die der Film stellt. Wir begleiten wütende Proteste, Erinnerungsschilderungen von Beteiligten der früheren Freiheitsbewegungen. Der Moment, die eigene Fahne zu hissen, die eigene Unabhängigkeit zu spüren, muss etwas Erhebendes sein, meint Helen Wendt.

INDEPENDENCE. Regie: Felix Meyer-Christian

Dann gehen wir wieder zurück nach Europa. UKIP-Mitglieder, die sich für den EU-Austritt Großbritanniens einsetzten äußern sich zu Hause auf ihrem Sofa. „Und es gab dieses wachsende Unbehagen, dass wir verlieren, was es heißt, britisch zu sein“, sagt eine Frau.

INDEPENDENCE ist Felix Meyer-Christians Regiedebüt. Vorher hat er schon etliche filmische Projekte im Dokumentartheaterbereich verwirklicht, etwa die multimediale Theateraufführung FUKUSHIMA, MY LOVE im Jahr 2013. Er ist Gründer der Berliner Theatergruppe COSTA COMPAGNIE, ein interdisziplinäres KünstlerInnen-Projekt, das „dokumentarische, performative, filmische und choreographische Methoden mit einem essayistischen und multi-perspektivischem Narrativ“ vereint.

INDEPENDENCE. Regie: Felix Meyer-Christian

Meyer-Christians Film merkt man diesen multimedialen Eklektizismus an, den er aus seinen Projekten mitbringt. Genau das ist aber auch die Stärke des Films. Er ist keine Reportage über weltweite Freiheitsbewegungen, er entwickelt sich manchmal durch zufällige Begegnungen, durch persönliche Schilderungen, durch Beobachtungen und Erlebnisse. Das ist ein manchmal etwas mäandernder Erzählstil, auf den man sich einlassen muss, der einen dann aber mit Einsichten belohnt, die eher auf seiner künstlerischen als eben auf einer journalistischen Herangehensweise beruhen. „Nach Recherchen und Dreharbeiten im Südsudan – dem damals jüngsten Staat der Weltgemeinschaft – Großbritannien, Bayern und Katalonien, folgten die Erarbeitung einer Theaterinszenierung und einer choreographischen Installation im Jahr 2019, wobei letztere auch im Film zu sehen ist“, beschreibt der Regisseur seine Herangehensweise. „Anfang 2020 reisten wir mit Helen Wendt nach Mosambik. Wir beschlossen vorab gemeinsam, dass Helen über ihre bi-nationale Familienbiographie – eine direkte Folge der mosambikanischen Unabhängigkeit – auch vor der Kamera sprechen wird. In Maputo wurde es für Helen allerdings offensichtlich, dass die Auseinandersetzung mit Unabhängigkeit, Kolonialismus und Rassismus zu einer herausfordernden, persönlichen Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Identität führte.“

Neben den afrikanischen Sichtweisen war es dann auch spannend, die europäischen, also die britischen, die katalonischen und die bayerischen Unabhängigkeitsbewegungen zu beobachten, obwohl ich über die eigentlich gerne noch etwas mehr gelernt hätte. Dennoch: Es lohnt sich, auf dieses spannende Projekt einzulassen.

CREW
Regie, Drehbuch, Produzent: Felix Meyer-Christian
Autorin Voice-Over-Text: Helen Wendt
Tanz & Choreographie: Montserrat Gardó Castillo, Katharina Shakina,
Jascha Viehstädt, Helen Wendt
Kamera: Philine Von Düszeln, Thomas Oswald
Montage: Stéphanie Morin
Musik: Marcus Thomas
Sound Design: Martin Lutz
Produktionsmanagement: Franziska Merlo
Ton: Martin Lutz (Mosambik), Agnes Kammerer,
Jens Ochlast (Katalonien)

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