BILDUNGSGANG – BILDUNG NEU DENKEN im Kino ab 11. Mai 2023

Regie: Simon Marian Hoffmann
Kamera: Ruben Götz
Schnitt: Johannes Krug
Produktion: Simon Marian Hoffmann
In Koproduktion mit Demokratische Stimme der Jugend e.V.
96 Min.

Junge Menschen beerdigen symbolisch das Schulsystem beim Stuttgarter Kultusministerium das Schulsystem. Das ist gut fünf Jahre her, im November 2017. Ein Blick zurück: Einige junge Menschen taten sich im Jahr 2017 zusammen und gründeten eine Bewegung mit dem Namen „Bildungsgang“, unter dem Motto „Bildung neu denken“. Schüler:innen sowie ehemalige Schüler:innen machten sich daran, herauszufinden, was Bildung für sie bedeutet, wie Bildung ihnen im Leben hilft. Sie organisierten ein Projekt mit einer Vielzahl an Workshops, Demonstrationen, Performances, Tanzaktionen, Vorträgen, Musikvideos, usw. – und eben auch diesen Film. „Ich habe in der Schule gelernt, ein Leben an der Oberfläche zu führen“, sagt eine der ehemaligen Schülerinnen. „Ich möchte, dass Schule ein Ort ist, an dem Unterschiede als selbstverständlich wahrgenommen werden“, sagt eine andere ehemalige Schülerin. „Ich habe immer schon davon geträumt von so einer Gruppe Jugendlicher, die aufbegehrt, die anfängt, aufmüpfig zu werden und sagt: Ne, wir machen da nicht mehr mit und wir ändern es“, sagt Simon Marian Hoffmann, der Regisseur und Mitinitiator des Films.

Und vor allem ist es die Grundidee dieser jungen Menschen, nicht einfach nur Kritik zu üben, sondern produktiv zu sein, etwas zu tun, Dinge anzustoßen, und den langen Weg zu gehen, diese Dinge selbst zu ändern. Die Arbeit in Schulprojekten ist eine jener Ideen, die die jungen Menschen haben. Selbstbestimmt zu agieren, selbstbestimmt zu lernen ist eine andere Idee. Schule müsse in jeder Hinsicht individueller sein. Das Abitur muss weg, ist eine der Forderungen: Es gäbe individuellere, sinnvollere Wege zum Studium und ins Berufsleben. Niemandem sei mit dem bisherigen Weg geholfen, den Unis nicht, der Wirtschaft nicht, den Jugendlichen nicht. Ein allumfassender Bildungsbrief könnte die Lösung sein.

Die Bildungsgang-Initiative entstand im Umfeld der NGO „Demokratische Stimme der Jugend e.V.“. Sie wurde von über 100 Jugendlichen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz organisiert. Neben der großen Demonstration entstand ein Musikvideo, ein „Manifest der Jugend“ für ein Bildungssystem der Zukunft. Es wurde die Idee des erwähnten „Bildungsbriefs“ entwickelt, der als Alternative zum Abitur die Kompetenzen der Jugendlichen zusammenfassen soll, vergleichbar mit einem Arbeitszeugnis im Beruf.

Auch wenn nicht jede Äußerung für mich überzeugend klingt so ist es doch tief beeindruckend, zu sehen, mit welchem Engagement, mit welchem Einsatz, mit welcher Leidenschaft, aber auch mit welcher Wut einige der Jugendlichen hier tätig sind. Insbesondere das Interview mit Tracy Osei-Tutu bleibt einem in Erinnerung, weil die junge Frau so emotional ist und man ihr in jeder Sekunde diese Emotionalität abnimmt und ihre Wut spürt. Sie sagt: „Hören Sie auf, mir abzusprechen, dass ich mich nach Menschlichkeit sehne – und das auch in der Schule erfahren möchte, wie ich näher rankommen kann, das als Mensch umzusetzen.“

Ich finde es beeindruckend, wie die jungen Menschen in diesem Film es schaffen, für ihre Probleme Worte und Ideen zu finden. Ich glaube, dass sie mit vielen ihrer Ideen näher an dem sind, was wir als Gesellschaft brauchen werden. Selbst in vielen Bereichen der Wirtschaft ist mittlerweile – vor allem aus Mangel an Fachkräften – die Erkenntnis gewachsen, dass unser Schulsystem und die bloße Bewertung durch Noten – oder gar nur durch eine einzige Note, die Abschlussnote – an der Realität vorbeiführt. Auch an den Universitäten beginnt sich diese Idee durchzusetzen. Eine einzige Abschlussnote sagt nicht das Geringste darüber aus, ob jemand ein Fach erfolgreich studieren wird, oder ob er oder sie einen Beruf erfolgreich ausüben wird. Da sind andere Dinge erforderlich, und dafür könnte genau ein solcher Bildungsbrief eine Idee darstellen. Und wenn ich an meinen eigenen Abiturjahrgang zurückdenke, so erkenne ich keinen wirklichen Zusammenhang zwischen der Abiturnote und dem Erfolg im Beruf – geschweige denn dem Glück im Leben.

Die Kinder in unseren Schulen sind so unterschiedlich: Sie haben verschiedenste Muttersprachen, unterschiedliche soziale Herkünfte, haben Lernschwächen, Lese- und Rechtschreibschwächen, Konzentrationsschwächen etc. Alles Dinge, für die sie überhaupt nichts können. Oder einfach nur grundlegend unterschiedliche Interessen. Was toll ist. Dennoch lassen wir es zu, dass Kinder mit einem stupiden Zahlensystem bewertet werden, dem Notensystem, ein System, das sofort jene zu Verlierern macht, die die geforderten Grundlagen nicht mitbringen. Wir lassen es zu, dass sechsjährige Kinder nach diesem Zahlensystem bewertet werden. Wir lassen es zu, dass bereits Sechsjährige Ängste entwickeln, weil sie diesem Leistungssystem nicht gerecht werden. Das Notensystem entstammt einer Zeit, in der Kinder in der Schule noch geschlagen wurden. Es stammt aber auch aus einer Zeit, in der die Arbeitswelt nicht die geringste Ähnlichkeit hatte mit dem, was die Arbeitswelt heute an Voraussetzungen braucht. Unser Schulsystem geht eben auch am wirtschaftlichen Bedarf vorbei. Schulnoten selektieren, aber sie selektieren sogar auch noch falsch.

Und es geht noch weiter: Wir wissen ja im Moment noch nicht einmal, welche Berufe es noch geben wird, wenn unsere Erstklässler*innen die Schule verlassen werden. Wir wissen noch nicht, was die Kinder dann können müssen. Wir wissen nicht, wie die Berufe, die es dann gibt, aussehen werden. Oder kurz gesagt anhand eines Beispiels: Klar müssen Kinder Rechtschreiben lernen, aber Computer können das besser. Und das ist auch ganz gut so. Kindern mit Rechtschreibschwächen ist damit nämlich geholfen. Und dennoch lassen wir es zu, dass Kinder Ängste entwickeln, dennoch lassen wir zu, dass das Selbstbewusstsein von Kindern in Mitleidenschaft gezogen wird, nur weil sie nicht das leisten, was ein Schulsystem, das auf dem Stand längst vergangener Zeiten ist, von ihnen erwartet.

Der Regisseur von „Bildungsgang“, Simon Marian Hoffmann, hatte schon als Jugendlicher eine eigene Filmproduktionsfirma, dreht Musikvideos und Kurzfilme. Mit 19 gründete er dann die “Demokratische Stimme der Jugend e. V.”. Hoffmann erzählt seine Gedanken zur Entstehung des Films und der Bildungsgang-Initiative: „Was wäre gewesen, wenn ich die ganzen Jahre, die ich mich in der Schule hatte quälen müssen, mit freier Bildung verbracht hätte? Was wäre gewesen, wenn ich in den Jahren einfach meinen eigenen Fragen gefolgt und das gelernt hätte was mich interessiert? Das hat mich interessiert und das wollte ich machen, als Experiment mit anderen jungen Menschen. Und so war die Idee zum Bildungsgang geboren.“ Und weiter: „Die Bildungsgang-Kampagne war ein großer Lernraum in dem wir experimentieren konnten, und der großen Einfluss auf die Leben der beteiligten Protagonisten hatte. Nach dem Engagement entstanden die Jugendorganisation „Demokratische Stimme der Jugend e. V.“, die „Aufstand der Jugend“-Kampagne, der Studiengang „selbstbestimmt studieren“, die Bildungsbrief-Initiative und das Next Pioneers Programm für junge nachhaltige Unternehmungen. „Der Bildungsgang war für uns der Anfang für sowas wie eine Jugendhochkultur, einem Raum in dem wir junge Menschen unsere Visionen und Ideen einfach ausprobieren und nicht mehr um Erlaubnis fragen,“ sagt er.

„Freiheit bedeutet, dass man nicht unbedingt alles so machen muss wie andere Menschen“, lesen wir zu Beginn des Films. Ein Astrid Lindgren-Zitat. Das passt als Motto dieses wichtigen Films.

https://www.bildungsgang-film.de/

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