READ FRAME TYPE FILM im Buchverlag von MUBI

READ FRAME TYPE FILM
Von Enrico Camporesi, Catherine de Smet und Philippe Millot 
Hardcover-Veröffentlichung am 22. Mai 2025
Preis: €55.00 EUR

ERHÄLTLICH BEI ALLEN GUTEN BUCHHANDLUNGEN WELTWEIT
Vorbestellungen sind ab sofort möglich unter mubieditions.com

MUBI kennen wir Filmnerds, insbesondere die, die sich für den Arthousefilm interessieren, schon lange. Erst als Streamingplattform, dann als Filmverleih, dann als Produktionsfirma. Ab sofort werden wir Filminteressierten noch auf etwas anderes achten müssen: MUBI Editions, den dazugehörigen Filmbuchverlag, um Kino und um die Kunst wird es gehen. „Damit schlägt MUBI ein neues, aufregendes Kapitel auf, das auf der langen Geschichte aufbaut, Kinokultur sowohl durch das Anschauen von Filmen als auch durch Filmveröffentlichungen zu fördern“, heißt es im Pressetext. „MUBI Editions wird weltweit in vier Reihen veröffentlicht: Projections – das sind Bücher, die der Welt der Filmkultur und -geschichte gewidmet sind; Auteurs – plant Bücher und Kunstobjekte, die in enger Zusammenarbeit mit renommierten Künstler:innen und Filmemacher:innen entstanden sind; Internegatives – widmet sich Wiederveröffentlichungen seltener, vergriffener oder neu übersetzter Texte und Lights! – umfasst Bücher, die die Produktionen und Veröffentlichungen von MUBI erkunden und erweitern. MUBI Editions beabsichtigt, durch sein unverwechselbares Angebot an Titeln eine bedeutende Rolle bei der Förderung einer globalen Gemeinschaft von engagierten, kunstbegeisterten Zuschauer:innen und Leser:innen zu spielen – jetzt und in Zukunft.“ Okay, klingt erst einmal sehr vielversprechend.

READ FRAME TYPE FILM wird nun also der erste Band des neuen Verlagshauses heißen, am 22. Mai 2025, wird er erscheinen, im Rahmen jener eben benannten „Projections“-Reihe – Achtung, auf der Internetseite des neuen Verlags steht bereits „Sold out“ – offenbar ist das Buch nach den Vorbestellungen bereits ausverkauft?

Mubi Editions arbeitete für dieses erste Buch mit dem Pariser Centre Pompidou zusammen. Das Buch beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen Film und Typografie. Die ersten Assoziationen die man dazu hat, liegen auf der Hand: Zwischentitel des Stummfilms, Vorspann, Abspann – und Text und Schrift als erzählerisches Bestandteil im Film. „Prosperos Bücher“ von Peter Greenaway wäre jetzt mein erster Einfall zu den dazu passenden Filmen, mal sehen, ob der vorkommen wird.
Der Kurator Enrico Camporesi, die Designhistorikerin Catherine de Smet und der Designer Philippe Millot beschäftigen sich mit dieser Thematik vor allem am Beispiel des Avantgarde- und des Experimentalfilms.

Es liegt auf der Hand: Die drei greifen auf die Filme aus der Sammlung des Centre Pompidou zurück, und zwar 24 Stück, aus den Jahrzehnten der Filmgeschichte, seit den 1920ern.

Light Reading (Lis Rhodes, 1978) © Lis Rhodes

READ FRAME TYPE FILM ist das Ergebnis eines mehrjährigen Forschungsprojektes zu Typographie und Film am Centre Pompidou, seit 2020. Duchamp, Moholy-Nagy, Vertov, Straub, Huillet sind die berühmtesten im Buch vertretenen Filmemacherinnen und Filmemacher. Die Formen und Funktionen der Schrift sind dabei vielfältig: Poesie, Wortfragmente, optische Täuschungen und vieles mehr, verschiedenste Techniken, Designs und Schriftarten finden ihre Anwendung.

Sicher, meint man, sei es eines der Probleme, dem der Leser des Buches begegnen würde, die mangelnde Verfügbarkeit der besprochenen Filmwerke. Die abgebildeten Filmstreifen, geben einen kurzen Eindruck, doch es ist erstaunlich: Die Verfügbarkeit der Filme auf YouTube ist sehr gut.

„In its very form and substance, Read Frame Type Film embodies a materialist approach to film. The proportions of these pages, the papers used inside and outside the book, the ways in which the images are allowed to project from the pa es — all this brings us to the conditions of cinema“, schreibt Robin Kinross im Vorwort. Und in der Tat ist das Buch – wie könnte es bei dem Thema auch anders sein – ein wunderbares Designwerk.

Six films infinitésimaux et supertemporels (Maurice Lemaître, 1967-1975) © Courtesy Fonds de dotation Bismuth Lemaître Guymer

Beginnen wir mit dem ersten Film: Anémic Cinéma von Marcel Duchamp aus dem Jahr 1926, dem einzigen fertiggestellten Film des Künstlers. Sechseinhalb Minuten ist das Werk lang, es beginnt mit dem graphisch angeordneten Filmtitel. „From the outset the word is presented not only as sonething to be read, but also as an object, given depth“, erläutert der Text. Es folgen sich drehende Spiralen, schließlich sich drehende Textscheiben. Das Auge versucht dem Text zu folgen, der sich aber immer wieder wegdreht, Duchamp mochte die Idee, heißt es in der Beschreibung, „that any two different people watching a disc at the same time would not be subject to the same simultaneous perceptual experience.“ Duchamp nutzt das Optische und die Bewegung des Films, eigentlich, so sagt er, hatte er gar kein Interesse am Film, aber immerhin bot ihm das Medium die Möglichkeit, auf praktische Weise seine visuellen Ziele zu erreichen.

Springen wir ein paar Filme weiter zu „Impressionen vom alten Marseiller Hafen von“ Laszlo Moholy-Nagy aus den Jahren 1929 bis 1932. „Ville de Marseille“ ist zu Beginn eingeblendet, dann ein Stadtplanausschnitt, dann erkennen wir eine Schere, die den „vieux porte“ aus dem Plan ausschneidet, hindurch sehen wir eine Verkehrsszene, der Blick von oben auf die Straße, dann ist der Hafen zu sehen. Schiffe, Kräne, Brücken dazwischen Menschen im Alltag des Hafens. Schrift sehen wir gegen Schluss wieder, nach zehn Minuten: „Ende“. „The constructedness of the filmic image is a pivotal aspect of Moholy-Nagy’s vision, and that might account for the inevitable reflexivity of his urban portraits“, erläutert der Buchtext.

„Musical Poster No. 1“ von Len Lye aus dem Jahr 1940 ist ein farbenfrohes graphisches Spektakel. Lye war ein neuseeländischer Künstler und Avantgardefilmer. Er schuf kurze, leuchtende abstrakte, graphische Filme und bewegte Skulpturen.

Und so wandern wir Film für Film durch die Geschichte des Avantgarde- und Experimentalfilms, begegnen den graphischen Schriftdesigns der Arbeiten von Tony Conrad, Joyce Wieland, Ernie Gehr, Timm Ulrichs, Yvonne Rainer und Peter Rose.

Verifica incerta (Gianfranco Baruchello and Alberto Grifi, 1964-1965) © Courtesy Fondazione Baruchello, Rome

Das jüngste Werk, das uns das Buch vorstellt, ist „Standard Gauge“ von Morgan Fisher aus dem Jahr 1984. Fisher führt uns durch die frühe Geschichte des Films und zwar ausschließlich dadurch, dass er uns die Grafik des Filmmaterials der frühen Kinojahre vorstellt, Zeichen, Schriften, Formen, die auf die Technik der frühen Verarbeitung der Filmstreifen verweisen. Es ist ein zutiefst faszinierender Zugang zur Filmgeschichte, den ich so bisher nicht erlebt habe – und das spannende ist, dass das in gleichem Maße für „Standard Gauge“ als auch für das Buch gilt.

Standard Gauge is shot in 16mm, the gauge for most experimental, independent, or artist’s films“, erläutert der Text. „It opens with a crawling text tracing the origins of 35mm, that is, 16mm’s hierarchical superior, or the film industry’s standard film format. The text is concise and technical, characterized by short phrases. Its essentially paratactic style, as well as the sparing use of subordinates, aims at objectivity. After all, the film is about standards: measures and machines, their histories and material qualities.“

MUBI Editions präsentiert hier in der Tat einen beeindruckenden und außergewöhnlichen ersten Band seiner Verlagstätigkeit, weitab vom Mainstream, das muss man schon wissen, bei der Filmauswahl geht es wirklich ausschließlich um die Avantgarde und das Experiment. Auch das Buchdesign ist mutig und gewagt.
 
Ich muss sagen, es stimmt mich zutiefst hoffnungsvoll, dass MUBI Editions, ein solch experimentelles Buch über das Filmexperiment und über Schrift an den Anfang der Verlagsaktivität setzt. Das könnte dieser in manchen Bereichen so kraftlosen, pessimistischen Branche vielleicht wieder Mut geben, sich kreative Vertriebsmodelle auszudenken oder dabei mutig zu sein, starke Partner zu finden. Wenn man sich die Geschäftsmodelle des einen oder anderen Verlags aus dem Kunst- und Fotografiebereich ansieht, bei denen es im Wesentlichen darauf ankommt, dass der Künstler, die Künstlerin fünfstellige Summen an Geld mitbringt, könnte eine hoffentlich langfristig erfolgreiche Verlagstätigkeit von MUBI Editions neue Zeichen setzen.

Vollständige Liste der vorgestellten Filme:
 
1. Anémic Cinéma (Marcel Duchamp, 1926)
2. A Sixth Part of the World (Dziga Vertov, 1926), deutscher Titel: „Ein Sechstel der Welt”
3. Impatience (Charles Dekeukeleire, 1928)
4. L’Étoile de mer (Man Ray, 1928), deutscher Titel: „Der Seestern“
5. Impressions of the Old Marseille Harbor (Laszlo Moholy-Nagy, 1929)
6. By Night With Torch and Spear (Joseph Cornell, 1930-1940)
7. Musical Poster no. 1 (Len Lye, 1940)
8. La Verifica Incerta (Gianfranco Baruchello, Alberto Grifi, 1964-1965), deutscher Titel: „Die ungewisse Verifizierung“
9. The Flicker (Tony Conrad, 1966)
10. Word Movie (Fluxfilm 29) (Paul Sharits, 1966)
11. Sailboat (Joyce Wieland, 1967-1968)
12. Six films infinitésimaux et supertemporels (Maurice Lemaître, 1967-1975)
13. Saga (Jean-François Bory, 1968)
14. Still (Ernie Gehr, 1969-1971)
15. Au-delà de cette limite (Marcel Broodthaers, 1971)
16. Film About A Woman Who… (Yvonne Rainer, 1974)
17. Origin of the Night (Lothar Baumgarten, 1973-1977)
18. Every Revolution Is a Throw of the Dice (Jean-Marie Straub and Danièle Huillet, 1977), deutscher Titel: „Jede Revolution ist ein Würfelspiel”
19. Light Reading (Lis Rhodes, 1978)
20. IKON-KINO (Timm Ulrichs,1969/1979)
21. Displaced Person (Daniel Eisenberg, 1981)
22. So Is This (Michael Snow, 1982)
23. Secondary Currents (Peter Rose, 1983)
24. Standard Gauge (Morgan Fisher, 1984)
 

READ FRAME TYPE FILM wird am 22. Mai 2025 erscheinen. Vorbestellungen sind ab sofort unter MUBIEDITIONS.COM möglich. Der zweite Titel von MUBI Editions wird später im Jahr 2025 erscheinen.

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