
Aljoscha Pause erzählt die Geschichte seines Vaters Rainer Pause. Das ist kurz und knapp das, worum es in diesem Dokumentarfilm geht, in 144 Minuten, für einen Dokumentarfilm, so mein erster Eindruck, schon mal ganz schön lange. Ist es blamabel für mich, dass ich zunächst weder wusste wer Rainer Pause ist, noch wer der von ihm verkörperte Fritz Litzmann ist? Pause, der Kabarettist, Litzmann, die von ihm geschaffene Figur. Obwohl ich davon ausging, dass mir 144 Minuten Dokumentarfilm das schon noch en detail erklären würden, hab ich trotzdem vorher schon mal bei Youtube reingeschaut. Okay, da sind ein paar Sachen, aber ein Social Media-Star, so viel ist klar, ist er schonmal nicht. Also, kurz bei Wikipedia vorbeigeschaut, geboren ist Pause in Essen, 1947, seit 1966 erste Schauspielerfahrungen an der Uni in Bonn. Seit 1979 war er – Fun Fact! – Ensemblemitglied bei Hoffmanns Comic Teater, zu dem auch Peter Möbius, Rio Reiser und Claudia Roth gehörten. Also nochmal zu Youtube: Mist, kein Video von Pause mit Reiser und Roth. Im Jahr 1987 gründete er dann in Bonn das Pantheon-Theater. Er sei, sagt Wikipedia, der Neffe des Bergsteigers und Schriftstellers Walter Pause, spannend, zumal ich ja großer Anhänger von Bergsteigerbüchern und -filmen bin. Unter anderem von Walter Pause: „Mit Gasolin durch Deutschland: Eine Reisefibel für besinnliche Kraftfahrer.“ Lustig. Kannte ich aber auch nicht. 1958 veröffentlichte er „Ski Heil: Die 100 schönsten Skiabfahren in den Alpen“ und danach noch einige andere Bücher aus der „Die 100 xxx“, sehr moderne Idee aus den 1950ern. Aber jetzt zu viel vom Thema abgewichen!
Albern und politisch sei die Figur „Fritz Litzmann“. Aufklärung stecke dahinter, das meinen Kollegen von ihm. Helge Schneider äußert sich; Gerhart Polt; Georg Schramm; Frank Goosen; Hagen Rether; Michael Mittermeier; Bastian Pastewka; Carolin Kebekus; Claudia Roth kommt in der Tat auch zu Wort. Pastewka sagt, dass er nie diesen Weg eingeschlagen hätte, wenn es Pause nicht gegeben hätte. Kebekus sagt, dass das Pantheon-Theater der Olymp des Kabaretts gewesen wäre, von dem man geträumt hätte.
Eine Geschichte der totalen Identifikation mit der Arbeit, müsste er nun erzählen, sagt Aljoscha Pause im Off-Kommentar – „in diesem Punkt gibt es wohl eine Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn.“ Aber in einem Punkt, und damit legt Aljoscha Pause los, gibt es einen großen Unterschied: In der Bedeutung von Familie, etwas, was dem Vater abgeht. „Es war für mich nicht erstrebenswert, eine Familie zu haben“, sagt der Vater. Und dann erzählt der Vater von seiner Kindheit. Von der überforderten Helikoptermutter. Vom Vater, der aus dem Krieg gekommen war. Vom Kinderheim, in dem er zeitweise war, weil er zunehmen musste. Dort herrschte der Geist der Nazizeit. Einsam fühlte er sich da. Er war ja auch erst fünf. Und als er zurückkam zu den Eltern, war da plötzlich ein Bruder. Ein Schock.
„Als Kind war mein Vater schüchtern und schweigsam“, sagt Aljoscha. „Er wuchs inmitten der Prüderie der 50er Jahre auf.“ Sein Deutschlehrer wurde zu seinem wichtigsten Ansprechpartner. Er ließ ihn Theater spielen. Ein regelrechtes Erweckungserlebnis. Seine Mutter hingegen war zutiefst entsetzt. Dann 1968, Pause will die Weltrevolution. Mit 17 Mitgliedern wird eine Kommune gegründet. Es gibt jegliche Schattierungen linker Strömungen, mit unzähligen Differenzen und Differenzierungen. Der Teil über diese Zeit ist wohl einer der spannendsten Abschnitte in dieser Doku.
Und dann geht es um Aljoschas Geburt. Und bald war Aljoscha vor allem Störfaktor bei politischen und künstlerischen Aktionen. Und er stand inmitten einer On-Off-Beziehung seiner Eltern. „Für ein Kind dazwischen ist das natürlich Scheiße“, sagt der Vater. Nach der Trennung blieb er beim Vater. Und mit 3 war er regelmäßig abends alleine zu Hause. In den 70ern noch nicht so sehr außergewöhnlich. Und so geht es weiter, eine Jugend ohne richtig anwesenden Vater, teils Freiheit, teils Führungslosigkeit. Parties ohne Ende, irgendwann auch der kriminelle Weg: randalieren und Begegnungen mit der Polizei. Aljoschas Abhandenkommen seines Selbstbewusstseins. Kaum Möglichkeiten, jemandem mitzuteilen, dass es einem Scheiße geht. „Würde ich die Kraft finden, meinen eigenen Weg zu finden?“, fragt Aljoscha sich.
„Mein erster Gedanke war: oh Gott, ein Film über mich, und dann auch noch mein Leben abseits der Bühne, wen interessiert das!?“, sagt Rainer Pause zu den Überlegungen einen Film über sich machen zu lassen, von seinem Sohn. „Und auch: muss das jeder wissen? Aber mein zweiter Gedanke war: was für eine wunderbare Chance für meinen Sohn und mich, das zu tun, was mir mit meinem Vater leider verwehrt blieb, weil er viel zu früh gestorben ist: in Ruhe Fragen zu stellen! Und auch umgekehrt: sich den
Fragen zu stellen, denen man früher womöglich ausgewichen ist, warum auch immer. Aus Scham, Verzweiflung, Ignoranz, Wut oder fehlendem Mut, was weiß ich – Rücksicht oder falsch verstandener Liebe?“
Aljoscha Pause selbst erzählt über seine Überlegungen zu diesem Projekt: „Ich startete also in dieses Unterfangen mit vielen Fragen. Fragen, die in mir selbst aufkamen und Fragen aus meinem persönlichen Umfeld, die ich nun auch zu Filmbeginn stelle. Willst du das wirklich machen? Die Geschichte deines Vaters erzählen, eure Geschichte, und die deiner ziemlich verkorksten Jugend? Legt das nicht Emotionen frei, die besser gut verpackt bleiben? Auch mein Vater war zunächst mäßig begeistert. Denn natürlich geht es in dem Film nicht nur um den Kabarettisten und Regisseur Rainer Pause und um das Pantheon in Bonn, das Theater, das er 1987 gegründet hat. Es geht auch darum, wie es zu alldem gekommen ist. Darum, was nicht geklappt hat und welche Auswirkungen das auf meinen Start ins Leben hatte. Wäre es also eine gute Idee, all meine Fragen im Rahmen eines Films zu stellen? In aller Öffentlichkeit? Und würde sich mein Vater wirklich darauf einlassen? Ich wollte das jedenfalls herausfinden und dachte, dass so ein Arbeitsprojekt mit ihm zumindest eine gute Basis wäre. Denn mit Arbeit kennt er sich aus. Im Prozess selber, also während der umfangreichen Dreharbeiten, der intensiven Sichtung und den langen Sessions im Schneideraum kam ich dann tatsächlich mit ganz alten und auch mit neuen Gefühlen in Kontakt. Und meine eigene Reaktion darauf reichte von der zwischenzeitlichen – vielleicht nicht ganz ernst gemeinten -Erwägung, dem Film einen Disclaimer in Jackass-Tradition voranzustellen (Don’t try this at home!), bis zum jetzigen Blick auf die Gemengelage: So ein Projekt ist nicht ohne, aber es lohnt sich. Auch ohne Kamera.“
Aljoscha Pause gelingt ein grandioser, unglaublich persönlicher Dokumentarfilm, über sich, seinen Vater, die ganzen Menschen im Umfeld. Wir bekommen Kabarettgeschichte erzählt, Zeitgeschichte, Gesellschaftsgeschichte. Es ist Film der auch Selbstdiagnose, vielleicht sogar Therapie ist. Nicht eine dieser 144 Minuten ist eine zu viel.