
Eine außergewöhnliche Retrospektive zeigt dieses Jahr das Leipziger Dokumentarfilmfestival DOK Leipzig: „Un-American Activities“. Es handelt such um eine Reihe von über 150 Filmen, die in den Jahren von 1962 bis 1989 in Leipzig auf der Dokumentarfilmwoche liefen, und zwar US-amerikanische Produktionen, die sich aus einer kritischen Sicht mit der Realität in den USA auseinandersetzten. Die DDR zeigte die Produktionen von Filmemachern und Bildjournalisten, die aus ihrer Sicht Repräsentanten eines „anderen Amerikas“ waren. DOK Leipzig zeigt damit einen Teil seiner eigenen Festivalgeschichte. 26 dokumentarische Beiträge sind zu sehen. Auch das Luru Kino beteiligt sich an der Reihe und zeigt noch weitere Filme.
„Black Panther a.k.a. Off the Pig“ (Newsreel #19) beispielsweise ist ein 16-minütiger Beitrag der „San Francisco Newsreel“ aus dem Jahr 1968. Die San Francisco Newsreel ist ein kalifornischer Ableger eines Netzwerks von Newsreel-Kollektiven. Die Macher standen auf der Seite der Black Panther Party und wandten sich gegen die Ghettoisierung von Schwarzen in amerikanischen Städten und kritisierten die Polizeigewalt. „Off the Pig!“ – etwa so viel wie „Tod den Bullen!“ riefen die Demonstranten und forderten die Freilassung des Mitbegründers der Schwarzen Panther, Huey Newton. Newron, Eldridge Cleaver und Bobby Seale werden im Gefängnis interviewt, sie fordern eine Revolution und die Befreiung der Schwarzen von der weißen Vorherrschaft. Beweisfotos der Polizeigewalt stehen am Anfang des Films, Einschusslöcher in von schwarzen betriebenen Geschäften und Wahlbüros. „In America black people are treated very much as the Vietnamese people and other colonized people“, sagt Huey Newton im Interview. Die Polizei diene in seinem Stadtviertel nicht der Sicherheit, sondern sie sei brutal und verhafte Unschuldige – weil ihnen das befohlen würde, so wie auch den Soldaten in Vietnam.
„In the year of the pig“ ist eine 102-minütige Doku von Emile de Antonio aus dem Jahr 1968. Der Film blickt auf die US-amerikanische Invasion in Vietnam vor dem Hintergrund einer langen Historie von Befreiungskämpfen und -kriegen. Die Helden sind, und deswegen durfte der Film in der DDR gezeigt werden, das vietnamesische Volk, das sich versucht, von der amerikanischen Besatzung zu befreien. Eine Unzahl von Fotografien, Filmausschnitten, Interviews, Dokumenten, Kommentaren, Nachrichtenmeldungen werden aneinandergeschnitten, um die These zu belegen, dass der Vietnamkrieg in einer Folge von Besetzungen und Befreiungskämpfen stunden, wie es sie seit Hunderten von Jahren gibt. Ein Ausschnitt nach dem nächsten folgt, ob und was davon Propaganda von wem auch immer sein könnte, lässt sich kaum nachvollziehen.
Der berühmteste Film aus dieser Retrospektive ist wohl Barbara Kopples „Harlan County, USA“, eine Langzeitbeobachtung eines Bergarbeiterstreiks im Jahr 1973, der Film wurde 1977 in Leipzig gezeigt. Zuvor hatte der Film den Oscar als Bester Dokumentarfilm erhalten. Auf Youtube gibt es ein Video, wie die damals 29-jährige Kopple den Oscar erhält. „Ich nehme diesen Preis im Namen der Minenarbeiter von Harlan County an“, sagt sie. Und dankt ihnen, dass sie ihrem Team zur Verfügung stand und sie in ihre Wohnungen hineinließ, um ihnen ihr Leben zu zeigen. In der Tat gehört „Harlan County, USA“ zu den eindrücklichsten Dokumentarfilmen der 1970er.
„Where did you get that woman?“ ist ein halbstündiger Dokumentarfilm aus dem Jahr 1982 von Loretta Smith. Joan Williams, siebzig Jahre alt, arbeitet als Putzfrau in einer Toilette eines mondänen Chicagoer Nachtclubs. Zwanzig Jahre lang hat sie den Job gemacht und ihn geliebt. Doch Ende der 70er macht der Laden dicht, eigentlich wollte sie noch weiterarbeiten, aber nun ist sie unfreiwillig in Rente – den Blick auf den Glamour Chicagos hat sie schon genossen. Auch sie hat sich schick aufgebrezelt, wenn sie arbeiten ging und die Schickeria hatte immerhin bisweilen – über Klassengrenzen hinweg – einen Blick auf sie geworfen und ihre Arbeit geschätzt: „Where did you get that woman?“ wurden ihre Arbeitgeber regelmäßig anerkennend gefragt. Was ein faszinierender Blick auf längst vergangene Zeiten.
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