Rettet Jazzradio Berlin!

Ich habe von Jazz keine Ahnung. Ich habe in meinem Leben vielleicht fünf Jazzplatten, respektive -CDs besessen. Ich kann auch über Jazz nicht reden, so ähnlich wie bei Wein: Es gibt welchen, der mir schmeckt, aber ich weiß nicht warum, und überhaupt fehlt mir die entsprechende Terminologie. Während ich das schreibe, läuft im Hintergrund auf 3sat die Doku „Jazzfieber“ von Reinhard Kungel aus dem Jahr 2023. Der Film erzählt von der Geschichte des deutschen Jazz, mit historischen Dokumenten, Interviews mit alten und jungen Musikerinnen und Musikern. Und natürlich mit viel Jazz. [https://www.3sat.de/film/dokumentarfilm/jazzfieber-the-story-of-german-jazz-102.html]

Irgendwie geriet ich vor wenigen Jahren aber an JazzRadio Berlin. UKW 106,8 MHz. Auf unserem Billig-Tchibo-Radio, das im Bad steht, auf der Frequenzleiste ganz rechts. Ich glaube das kam so: Ich hatte keine Lust mehr auf die Hot Rotation Privatsender, die Musik langweilte mich. Die Werbung war nervig. Viele Moderatoren auch. Ich hatte aber auch kein Interesse mehr an den Radiosendern, in denen so viel geredet wurde. Dann ging ich zunächst dazu über, Klassikradio zu hören, aber dann eben Jazzradio Berlin; fand ich spannender. [https://jazzradio.net/]

Ich liebe es ja, in alten Tageszeitungen zu blättern, auch gerne digital, vieles ist ja mittlerweile eingescannt und lässt sich sogar per Suchfunktion durchsuchen. So widmet sich zum Beispiel das Berliner Tageblatt vom Samstag, dem 31. Juli 1926 auf einer kompletten Seite dem Jazz. Erstaunlich. Da stehen dann so Dinge wie, Achtung Triggerwarnung, N-Wort:

„Der Jazz ist je nachdem eine Auffrischung oder Verballhornung aller möglichen Musik nach N*art. Das wäre alles, wenn nicht eben diese N*art, diese ursprüngliche, vitale, motorische, optimistische Art uns so stark gepackt hätte. Sie tat es sosehr. dass man zu dem Versuch kommen mußte, den Jazz zu entwickeln, ihn zum Ausgangspunkt einer Zukunftsmusik zu machen.“

Und weiter auf derselben Seite: „Der Jazz ist ein Interregnum. Vielleicht eine Kriegsfolge: ich glaube kaum, dass sich ohne den Krieg der Jazz zu seiner gegenwärtigen Monopolstellung hätte ausschwingen können. Obwohl ich den Jazz in meinen Filmillustrationen stark verwende, habe ich als Musiker, als Künstler zu ihm kaum mehr als handwerkliche Beziehungen. Das Galopptempo der Musik ist immer am Platz, wenn auf der weißen Fläche Expresszüge vorüberrasen, und beim Film darf man, wenn irgendwo, von reiner Programmmusik sprechen.“ Schreibt Ernö Rapée, der Dirigent des Ufa-Sinfonieorchesters.

Mein gegenwärtiges Interesse an Jazz hat aber noch einen anderen Ursprung: die Jazzfotografie. Verantwortlich ist da insbesondere ein wunderschöner kleiner Bildband, „Jazz“ von Ed van der Elsken aus dem Jahr 1959, später dann von Steidl neu aufgelegt. Ein wundervoller, kompakter, quadratischer Schwarzweißbildband.

Ed van der Elsken ist 1925 in Amsterdam geboren. Er reiste für seine Reportagen durch die halbe Welt. In Paris nahm Vieles seinen Anfang, berühmt wurde er durch sein Fotobuch „Liebe am linken Seineufer“ aus dem Jahr 1956, dem ersten von Dutzenden von Bildbänden. 1990 starb er.

Die Jazzbilder entstanden in den Jahren zwischen 1955 und 1959, zu einem großen Teil bei den berühmten Nachtkonzerten im Amsterdamer Concertgebouw. ​​Van der Elsken nutzte keinen Blitz, nur available light, was den Bildern eine düstere, körnige Qualität verleiht. Mit einem Silberstift sind die Namen der Musiker benannt, auf manchen Seiten sind dichtgepackt drei, vier, fünf Bilder untergebracht. Manche Bilder sind Hochformat über eine Doppelseite gezogen, so dass man das Buch drehen muss. Die ganzen Jazzstars jener Zeit, die sogar ich kenne, sind zu finden. Miles Davis, Louis Armstrong, Duke Ellington, Oscar Peterson, Ella Fitzgerald, Chet Baker undundund. Düster, rauh, verschwitzt, emotional, leidenschaftlich. Ein fantastischer Bildband. Dazu gibt es ein kleines Booklet mit Texten, unter anderem Jan Vrijmans Aufsatz „A Few Remarks About Young People and Jazz“. Vrijman schreibt: „But Jazz has something extra, making it superior in the eyes of young people. Jazz doesn’t have any handed-down rules. As music that throws all traditional rules overboard, it is the music of youth par excellence: resistance music.“

Aber zurück zu JazzRadio Berlin. Kürzlich hieß es, dass dem Sender demnächst die UKW-Frequenz aberkannt werden würde. Die Frequenz ginge dann an einen Technosender. Keine Ahnung, was die Hintergründe dafür sind, aber das darf nicht passieren. Leslie Nachmann, die Vorsitzende des JazzRadio-Beirats schreibt auf der Internetseite des Senders:

„Genau das macht JazzRadio aus: Es fördert Talente. Es geht Risiken ein – mit Musik und Ideen, die andere vielleicht ablehnen würden. Und es hat eine Gemeinschaft von Hörerinnen und Hörern aufgebaut, die unsere Programme nicht nur einschalten – sondern mit ihnen leben, mit ihnen wachsen, sich auf sie verlassen. Diese treue, leidenschaftliche Hörerschaft ist uns über drei Jahrzehnte hinweg treu geblieben – und gewachsen. Wenn diese Entscheidung bestehen bleibt, verschwindet all das. Nicht schrittweise. Nicht mit der Möglichkeit, etwas Neues aufzubauen. Sondern sofort und unwiderruflich.“

Das ist krass. Das ist die unwiederbringlich Zerstörung von Kultur. Der Sender hat rechtliche Schritte unternommen. Man kann nur die Daumen drücken. Aber auch helfen:

„Besuchen Sie regelmäßig jazzradio.net und abonnieren Sie unseren Friends of JazzRadio Newsletter (…). Bitte spenden Sie für unseren Rechtsstreit. Ihre Unterstützung hilft uns, die Anwaltskosten und den laufenden Sendebetrieb in einer Phase zu tragen, in der die 15-monatige Entscheidungsverzögerung des Medienrats unsere wirtschaftliche Existenz gefährdet hat. Teilen Sie diese Geschichte mit allen, denen unabhängiger Rundfunk und kulturelle Vielfalt in den deutschen Medien wichtig sind.“

Der Text endet mit einem dringenden Appell: „Geben Sie Ihren Jazzsender nicht kampflos auf – den Sender, der seit 30 Jahren den Jazz-Soundtrack Ihres Lebens in der Hauptstadt liefert.“

Dem kann ich mich nur anschließen.

[https://jazzradio.net/]

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