Über David Lowerys THE GREEN KNIGHT

THE GREEN KNIGHT. R: David Lowery; (c) Telepool/A24

Weihnachten am Hof von König Artus (Sean Harris). „Oh greatest of kings! Let one of your knights try to land a blow against me. Indulge me in this game,“ provoziert der riesige, baumartige grüne Ritter den König Artus. Sir Gawain (Dev Patel), dessen Neffe und dessen Nächster in der Thronfolge, weil Artus kinderlos ist, geht auf das Angebot ein: „I will meet thee,“ sagt er, um seinen Mut zu beweisen und schlägt dem holzköpfigen grünen Ritter bald den Kopf ab. Doch statt zu Sterben nimmt dieser seinen Kopf, setzt ihn wieder auf und gibt Gawain eine Einjahresfrist, bis zu der ihm selbiges mit seinem eigenen Kopf passieren würde: „One year hence.“

Und weil er’s eben muss, begibt sich Gawain auf die Abenteuerreise. Die junge Magd Essel (Alicia Vikander), die sehr an ihm interessiert ist, allerdings von niedrigem Stand ist, verabschiedet ihn. In einer langen Szene begleiten wir Gawain zu Beginn seines Rittes, weg vom Schloss. Und wir bekommen einen ersten Eindruck davon, wie der Film seine Geschichte erzählt. Die Szene ist lang, und sie lebt vom Rhythmus der Pferdehufe und von der Kamera, die Gawain ins Gesicht blickt. Und bereits hier schafft der Film es, unsere Erzählerwartung zu brechen.

Ziel ist die grüne Kapelle, irgendwo. Die Quest, die Suchmission droht allerdings schon ein baldiges Ende zu nehmen. Ein junger Wegelagerer (Barry Keoghan) scheint ihm zwar den rechten Weg zur Kapelle zu weisen, ist aber mit der zögerlichen Bezahlung Gawains unzufrieden, überfällt ihn daher im Wald und lässt ihn gefesselt zurück. Gawain fantasiert und meint seine eigene verrottete Leiche am Waldboden liegen zu sehen. Mit Mühe und Not schafft er es jedoch, sich zu befreien und seine Mission fortzuführen.

(c) Telepool/A24 —

Auf seiner Reise durch die raue Natur Englands hat er dann eine Reihe weiterer Hindernisse zu überwinden und er macht denkwürdige Begegnungen, zum Beispiel jene mit dem Geist der heiligen Winifred (Eryn Kellyman), den er trifft, als er in einer düsteren, scheinbar leeren Hütte übernachtet. Winifred bittet ihn um Hilfe: Sie wurde einst geköpft und ihr Kopf läge am Boden des Teichs, sagt sie, Gawain möge ihn doch bitte ertauchen – was ihm auch gelingt.

Zu einer der visuell eindrücklichsten Szenen gehört jene, in der Gawain im Nebel in einem Tal einer Reihe von nackten Riesen begegnet, die er bittet, ihm zu helfen und ihn mitzunehmen. Allerdings schreckt er vor ihrer Größe zurück und lässt sie weiterziehen.

Seine Reise führt ihn schließlich zu einem Schloss, auf dem er auf den Schlossherrn, den Lord (Joel Edgerton), und auf die Lady trifft, die eine verblüffende Ähnlichkeit mit Essel hat (gespielt wird auch sie von Alicia Vikander). Der Lord lädt ihn ein, einige Tage auf dem Schloss zu verweilen, was Gawain gerne macht, zumal er die Lady als anziehend empfindet. Nebenher hat die Lady übrigens scheint’s die Fotografie erfunden und erzeugt mittels einer Lochkamera und einer lichtempfindlichen Fläche ein Porträt Gawains. Und da ist auch eine sonderbare, schweigende alte Frau mit verbundenen Augen. Auf dem Schloss erlebt er letzte Prüfungen, die unter anderem in der erotischen Verführung durch die Lady liegen. Trotz seiner ritterlichen Bemühungen verfällt er ihr. Aber das Ziel sei nicht mehr fern, deutet ihm der Schlossherr an, die grüne Kapelle und damit die Wiederbegegnung mit dem grünen Ritter liege in erreichbarer Nähe…

(c) Telepool/A24 —

Virtuos spielt der Regisseur David Lowery mit den Bausteinen einer Heldengeschichte. Joseph Campbells Buch „Der Heros in tausend Gestalten“, das die unsterblichen Elemente klassischer Heldengeschichten und Mythen untersucht, war viele Jahre aus Drehbuchkursen auf der ganzen Welt nicht mehr wegzudenken. Campbell untersuchte Tausende von mythologischen Heldengeschichten und erkannte ähnliche Strukturen in vielen der Werke. Die Drehbuchdozenten gingen weiter und nahmen diese Strukturen als Gebrauchsanweisung zur Herstellung eines guten Drehbuchs. Und genau damit spielt der Film, mit den Elementen der Heldenreise, die die Hauptfigur unternimmt, mit den Figuren, denen er begegnet, mit den Abenteuern, die er bestehen muss.

Eines der beeindruckendsten Charakteristika des Films ist die Abwesenheit überhöhter Dramatik, wie sie in Genrefilmen dieser Art kaum mehr wegzudenken war. Eigentlich. Aber genau diese übertriebene Dramatik habe ich schon seit vielen Jahren satt, ob im Actionfilm, im Thriller oder im Fantasyfilm. Wie dankbar bin ich dem Regisseur. Keine Blutorgien. Keine actiongeladenen (aber im Kern langweiligen) Verfolgungsjagden.

Wie wunderbar das mögliche Ende, auf das alles hinausläuft, durchgespielt wird. In den letzten 15 Minuten fällt fast kein Wort mehr, obwohl noch so unglaublich viel passiert, und obwohl es noch zu verblüffenden Wendungen kommt. Selten habe ich in letzter Zeit einen Film gesehen, der so überzeugend mit Bildern erzählt, statt mit Worten.

Gawain ist eine walisische Sagenfigur aus dem Mittelalter und eine Figur aus dem Umfeld von König Artus. Der Film basiert auf der Stabreimritterromanze „Sir Gawain and the Green Knight“, die vor 1400 von einem unbekannten Autor geschrieben wurde. Aus 2500 Worten besteht das Poem, es geht um Ritterlichkeit, Zauberei, Versuchung, Transformation und Selbstfindung. Die letzte Verfilmung des Stoffs stammt aus dem Jahr 1984, „Sword of the Valiant – The Legend of Gawain and the Green Knight“, die es nicht in deutsche Kinos geschafft hat, sondern gleich auf VHS erschien.

(c) Telepool/A24 —

Der amerikanische Regisseur David Lowery nahm sich nun des Stoffs wieder an, und er hält sich erstaunlich eng an die Vorlage. Lowery hat sich vor allem mit „A Ghost Story“ einen Namen gemacht. Seine erste große Produktion war „Pete’s Dragon“ (deutsch: Elliot der Drache), den er 2016 für Disney drehte, eine Neuverfilmung von „Pete’s Dragon“ aus dem Jahr 1977, der auf Deutsch den Titel „Elliot, das Schmunzelmonster“ trägt. Lowerys Erfahrungen mit dem Fantasy-Genre erlebt mit „The Green Knight“ einen neuen Höhepunkt. Er schrieb auch das Drehbuch und schafft es virtuos, die drohenden Genreklischees zu umschiffen. Seine Erzählweise ist kraftvoll, überraschend, aber erfreulich langsam, wie ein ruhiger Fluss. Und vor allem schafft er es, dem Film eine Mehrdeutigkeit und Rätselhaftigkeit zu verleihen, die den Zuschauer immer tiefer in das Abenteuer des Protagonisten hineinzieht.

Dazu kommt die wundervolle Musik, die nicht dick über die Handlung gelagert ist, sondern einen in die Handlung hineinzieht, einen beinahe in Trance versetzt. Für die Musik zeichnet der amerikanische Musiker und Filmkomponist Daniel Hart verantwortlich, mit dem Lowery bei allen seinen Filmen zusammenarbeitete. Hart hat einen klassischen Hintergrund, seine Eltern waren Kirchenmusiker, Anklänge daran gibt es immer wieder im Soundtrack.

Besonders beeindruckt hat mich die Arbeit des Kamerateams. Wie beeindruckend die Bildgestaltung ist. Wie faszinierend die Bilder, die geschaffen werden. Lowerys Chefkameramann ist, wie auch schon bei „A Ghost Story“, Andrew Droz Palermo. Palermo schafft es überzeugend wie selten, mit der Dunkelheit, mit der Nacht, mit der Mystik der Finsternis umzugehen. Meisterlich schafft er es immer wieder, seine Bilder mit der Abwesenheit von Licht erzählen zu lassen.

Noch ein paar Worte zur Besetzung: Lowery ist es mit Dev Patel in der Hauptrolle gelungen, Gawain ungewöhnlich, aber schlüssig zu besetzen. Patel strahlt Gawains ambivalenten Charakter jederzeit überzeugend aus. Auch Alicia Vikander in der Doppelrolle als Essel und als Schlossherrin überzeugt, ebenso wie der Australier Joel Edgerton als Lord und Sean Harris als König Artus. Die beiden Entdeckungen des Films sind für mich aber die junge Britin Erin Kellyman in der Rolle der geheimnisvollen Winifred, sowie der Ire Barry Keoghan, der den Straßenräuber spielt, der Gawains Quest schon zu Beginn beinahe ein Ende bereitet hätte.

THE GREEN KNIGHT.
Ein Film von David Lowery
Mit Dev Patel, Alicia Vikander, Joel Edgerton, Sarita Choudhury, Sean Harris, Erin Kellyman, Barry Keoghan, Ralph Ineson u.a.
Kinostart: 29. Juli 2021 im Verleih von TELEPOOL und im Vertrieb von 24 Bilder Film GmbH
USA / Irland 2020 /
Länge: 125 Min.

https://www.thegreenknight-film.de/

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert