Die bebrillten Augen von RWF, Rainer Werner Fassbinder, sind die ersten Bilder dieser besonderen Corona-Berlinale. Genau 50 Jahre nachdem Fassbinders Verfilmung eines eigenen Theaterstücks „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ auf die Leinwände kam, folgt nun Francois Ozons Adaption „Peter von Kant“. Der Titel legt eine Änderung bei der Hauptfigur nahe: Aus der leidenschaftlichen, rasenden Modeschöpferin Petra von Kant wird bei Ozon der leidenschaftlich und rasend unerfüllt verliebte Filmregisseur Peter von Kant. Noch mehr wird der Protagonist damit zu einem Alter ego Fassbinders. Aber fangen wir von vorne an…
Wir sind in der Wohnung des erfolgreichen, exaltierten Filmregisseurs Peter von Kant (Denis Ménochet), einer im Film nicht eindeutig identifizierbaren deutschen Großstadt, die Autos draußen, Zeitkolorit und Wohnungseinrichtung markieren die frühen 70er Jahre. Kant lebt mit seinem Assistenten, oder vielleicht eher Diener Karl (Stéfan Crépon) zusammen, einer prägnanten, aber schweigsamen Figur. Karl spricht nicht ein Wort während des Films. Karl muss einen Brief an Romy Schneider nach Paris schreiben, weil er gerne einmal mit ihr drehen möchte. Bald jedoch merkt man, dass der junge schweigend Karl von Kant mies behandelt wird. Er scheucht ihn rum, demütigt ihn.
Sidonie (Isabelle Adjani) ist eine große, berühmte Sängerin und Schauspielerin und sie war Kants Muse, eine wichtige Figur in seiner Karriere. Sie bringt den jungen, bildschönen Amir (Khalil Gharbia) mit, der aus einfachen Verhältnissen stammt und in den sich Kant augenblicklich unsterblich verliebt. Kant kennt in seiner Verliebtheit kein Maß, er will ihm alles bieten, will ihm eine Karriere beim Film verschaffen, bietet ihm an mit in seiner Wohnung zu wohnen, vergöttert ihn.
Doch die Liebesbeziehung dauert nicht lange, sobald Amir berühmt ist, verlässt er seinen Mentor und Verehrer und überlässt Peter sich selbst, der nun zum unmäßigen, gequälten Wüter, der, am Tag als eigentlich sein 40. Geburtstag gefeiert werden soll, durchdreht.
Was einem an Peter von Kant lange im Gedächtnis bleiben wird ist sein Cast. Aus nur sechs Rollen besteht das Kammerspiel, das fast ausschließlich in Kants Künstlerwohnung spielt. Da ist die tröstende Tochter von Kants, Gabrielle (Aminthe Audiard), die zu seinem Geburtstag erscheint, um ihn eigentlich zu feiern, für deren Gefühle er aber gar kein Ohr hat. Die wundervolle Isabelle Adjani als Sidonie, die ihr eigenes Filmstarimage herrlich auf die Schippe nimmt. Dann der tiefbeeindruckende Stéfan Crépon als der schweigend leidende Assistent Karl. Der junge Khalil Gharbia als der grausame Liebhaber von Kants, Amir. Und mit einer beeindruckenden Leistung allen voran ist da Denis Ménochet als der wütend-verzweifelte Peter von Kant, mit einer schauspielerischen Leistung, die ihn, mal sehen, vielleicht zu einem ersten Bärenfavoriten machen könnte. Fehlt noch eine: Unter bewunderndem Raunen des Berlinale-Publikums betritt irgendwann Rosemarie, von Kants Mutter, die Wohnung: Es ist die wundervolle Hanna Schygulla, die Fassbinder-Muse, die schon in dessen von Kant-Verfilmung mitspielte, damals spielte sie die junge Karin, in die sich Petra von Kant aufzehrend verliebt.
Eben diesen Cast orchestriert und inszeniert Ozon meisterhaft. Viele Szenen des Films werden in Erinnerung bleiben, mir selbst bleibt ein kleines „Aber“: Ozon löst das schon toll mit der Wohnung von Kants als (fast) einzigem Schauplatz. Ich muss aber sagen, dass ich mir als Corona-Befreiungsschlag eher eine entfesselte Kamera mit vielen Schauplätzen und besonderen Orten gewünscht hätte. Ich weiß das ist gemein, das wollte Ozon ja nicht, aber trotzdem war mir in dieser Corona-Endphase vieles zu sehr in einer Wohnung eingesperrt und auch etwas zu depressiv. Der Eskapist im Rezensenten kommt heraus, mal sehen ob er bei dieser Berlinale auch noch abgeholt werden wird.
RWF begann dieses Festival und er steht auch am Ende des Films: Als allerletztes Bild nach dem Abspann sieht man RWF gemeinsam mit Hanna Schygulla.
R François Ozon
D Denis Ménochet, Isabelle Adjani, Khalil Gharbia, Hanna Schygulla, Stéfan Crépon
Frankreich 2021