Everything will be ok. Der Berlinale-Beitrag von Rithy Panh.

EVERYTHING WILL BY OK by Rithy Panh. —

Der kambodschanische Regisseur Rithy Panh wurde in Phnom Penh geboren. Er kann schon auf eine ansehnliche Filmographie zurückblicken. Nach der Flucht aus Kambodscha im Jahr 1980 studierte er in Paris. In den letzten Jahren waren seine dokumentarischen Werke immer öfter auf den westlichen Festivals zu sehen, IRRATIATED lief 2020 auf der Berlinale, EVERYTHING WILL BE OK ist 2022 im Berlinale-Wettbewerb. Die Berlinale ordnet den Film in die Rubrik „dokumentarische Form“ ein – aber ist das ein Dokumentarfilm? Dazu später mehr.

Wir befinden uns inmitten einer Weltuntergangsgeschichte, Atombomben, Umweltverschmutzungen, Diktaturen haben der Menschheit den Untergang beschert. Die Tiere haben die Herrschaft übernommen und die Menschen unterworfen. Die Denkmäler der verkommenen Menschheit werden zerstört, aber schon bald entstehen neue Denkmäler, neue Ideologien, neue Unterdrückungsformen. Die Tiere erforschen die Filmarchive der Menschheit, wir bekommen ausschnitthaft die dokumentarische Filmgeschichte der letzten gut 100 Jahre präsentiert, Atombombenzündungen, die Mondlandung, Kriege usw., ein Panoptikum der Menschheitsfilmgeschichte…

Der Film präsentiert das alles in unzähligen Panoramen, Dioramen, mit unbewegten Tonfigürchen, die mittels der kreativ-vielfältigen Tonspur und einer bewegten Kamera zum Leben erweckt werden. Die Tiere rechnen mit den Menschen ab, Dialoge werden wie in einer akustischen Collage zusammengefügt. Die Dokumentarfilmausschnitte erscheinen in vielfältig gesplitteten Bildschirmen oder auf kleinen Leinwänden inmitten der Dioramen. Bisweilen fühlt man sich wie in Wimmelbildern des jüngst verstorbenen Ali Mitgutsch. „Für mein neustes Projekt wollte ich die Welt erschaffen,“ sagt der Regisseur. Er bezieht sich in großem Bogen auf eine Vielfalt von Einflüssen aus der Literaturgeschichte: la Fontaine, Orwell, die Brüder Grimm, Voltaire, Rousseau. Natürlich fallen einem auch Parallelen zu den PLANET DER AFFEN-Filmen ein. Und der Regisseur setzt Verknüpfungen zur aktuellen Pandemie, die die Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit der Menschheit vor Augen führt, aber auch deren Tendenz, die eigenen Individuen im Alltag zu überwachen.

Es geht Panh um schleichenden Totalitarismus, und er schaut aus einer Vielzahl philosophischer, sozialer, politischer Perspektiven auf unsere Welt: Was bedeutet die Globalisierung für uns? Was sind die Grundlagen der Gesellschaft? Wie soll eine bessere Welt aussehen? Freiheit oder Gehorsam? Panh erinnert sich auch an die Gewalt in seiner Heimatstadt Phnom Penh, als die Roten Khmer 1975 deren Bevölkerung deportiert hatten. „What was the reason for this massive deportation? ‘Nature hates a vacuum’, berichtet der Regisseur. Panh verwandelt die Zukunft der Weltgeschichte quasi in eine Fabel von la Fontaine.

Rithy Panhs Film ist überwältigend, ein Potpourri, ein Sammelsurium, ein Wimmelbild, eine Wunderkammer, eine Collage. Das beeindruckt und nimmt einen ein, aber in den beschränkten Mitteln, die Rithy Panh einsetzt steckt auch dessen Problem: Die Lehmfigürchen sind erstarrt und werden trotz bewegter Kamera und lebendiger Tonspur eben noch nicht zu Protagonisten des Films. Sie sind erstarrt. Immer wieder fallen mir visuelle Parallelen zu Wes Andersons Stop-Motion-Film ISLE OF DOGS zu, der vor vier Jahren am selben Ort den Silbernen Bären für die Regie erhielt. Aber bei Anderson kommt das Leben aus der Bewegung, und gerade in dieser Erinnerung an ISLE OF DOGS fehlt einem die Bewegung der Figuren in Rithy Pans Film.

Regie: Rithy Panh
Frankreich / Kambodscha 2021
98’

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