„Ich wünsche mir etwas mehr Body positivity von Ihnen“, sagt Evas Mitbewohnerin halbironisch, als das Missy Magazine ihren Post geliked hat. Eva (beeindruckend in der Hauptrolle: Sofia Falsone) stammt aus Deutschland, studiert nun in Wien Architektur. Ihr Praktikum absolviert die engagierte Studentin beim angesehenen deutschen Architekten Andreas Hummel. Sie hat mit dem Entwurf eines Kunstparks zu tun, den sie für zu hierarchisch empfindet. Sie fände es spannender, wenn die Räume des Ausstellungsortes die Haltung der Kunst widerspiegeln würden. Sie sagt: „So eine Art Utopie mitten in der Natur.“ Gemeinsam mit ihrer Kollegin Laura darf sie einen Teil des Projektes entwerfen.
Patriarchat, Kleinfamilienstrukturen, Softmänner, Mainstream, Hetero, Gender Pay Gap, Slutshaming, Altersarmut, Frauenrechte, POC. Evas Mitbewohnerinnen diskutieren über die aktuelle Rolle der Frau, in der Familie, in der Gesellschaft, im Patriarchat. Die Diskussion ist voller Wut, doch Eva hält sich raus.
Derweil entsteht im Architekturbüro eine schlechte Stimmung, nicht alle finden gut, dass der Chef Eva so sehr unterstützt. Er ist begeistert von ihrem Entwurf. Und er beginnt Zeit mit ihr zu verbringen, geht mir ihr Mittagessen, führt sie aus. Er duzt sie inzwischen, ihr fällt das noch schwer. Er sagt, dass er ihre frische, ehrliche Art so mag. Und er gesteht ihr offen, dass er Alkoholiker ist. Und Eva ist gerade in einer schwierigen Situation: Sie hat sich von ihrem Freund getrennt, der aber gleich eine neue hat.
Und bei Arbeit deutet sich der Tribut an, der diese Branche zollt: Eine Kollegin hat Burnout, Hummel warnt Eva davor, wie rücksichtslos das Geschäft ist. Aber sie hat keine Angst vor den Anforderungen dieses Berufs.
Hummel nimmt Eva mit zu Erwin, einem Freund und Künstler, der über die Maskulinität und über die Geschlechterbeziehungen in der Gesellschaft lamentiert: „In Wirklichkeit ist der moderne Mann das Opfer des neuen Zeitgeistes“, sagt er. Erwin ist für Hummel so etwas wie ein Lebensberater – und er hilft ihm dabei, adäquat mit Österreichern umzugehen. Aber Eva gibt ihm Kontra, was Erwins überkommenes Weltbild altherkömmlicher Frauenrollen angeht. Und nun merkt Eva auch, dass zwischen Hummel und ihr einiges falsch läuft. Sie lehnt seine Avancen nun ab…
Während Eva zunächst in die Rolle hineingerutscht war, Teil der subtilen Machtspiele und Strukturen des Architekturbetriebs zu sein, erkennt sie später, dass von ihrer Umwelt eigentlich erwartet wird, dass sie die Rolle der verfügbaren Frau spielt. Rechtzeitig erkennt sie, dass sie nicht bereit ist, ein solches Spiel mitzuspielen. Diese Erkenntnis könnte ihr Stärke verleihen. Eva sieht sich nun in der Pflicht, ihre Position in diesem System klar zu bestimmen, welche Auswirkungen das auch immer haben mag…
Sommerauer und Leis erzählen den Film ruhig, bisweilen beinahe unterkühlt. Die Annäherung zwischen Hummel und Eva (die Hummels früherer Lebensgefährtin in jung ähnelt) wird so subtil aufgebut, dass sich das Klischee erst gar nicht einstellt. Zurückhaltend spielen die Filmemacher den Wandel der Geschlechterbeziehungen durch. „Risse im Fundament“ ist ein empfehlenswerter Film von außerordentlicher Aktualität. Insbesondere Sofia Falsone in der Hauptrolle als Eva verleiht dem Film eine tiefe Glaubwürdigkeit und erzählerische Stärke. Möge der Film seinen Kinostart erleben, in jedem Fall sollte aber die Chance genutzt werden, ihn auf dem achtung berlin Filmfestival zu sehen.
„Risse im Fundament“ lief beim Max Ophüls Festival und läuft nun bei der 18. Ausgabe des achtung berlin Filmfestivals im April 2022.
https://achtungberlin.de/
REGIE: Gerald Sommerauer, Genia Leis
84 min
BUCH: Isabella Kröger
PRODUKTION: Andrea Bautista, Gerald Sommerauer, Genia Leis
KAMERA: Francisco MeCe
SCHNITT: Janos-Jonatán Loerincz
ART DIRECTION: Genia Leis
MUSIK: Andor Sperling
TONMEISTER: Nuno Bautista
TONMISCHUNG: Matthias Lindner
CAST
Sofia Falsone
Lorenz Klee
Thomas Sommerauer
Sophia Burtscher
Rainer Spechtl
Lea Brückner
Anna Rieser
Antonia Labs
Caner Sunar
Paul Schaeffer