YOAV BRILL IL 2021 82 MIN
Im Jahr 1963 schrieb der schwedische Studen Jesper Berggren mit seinem Kommilitonen nach Israel, weil sie beide einmal als Freiwillige in einem Kibbuz arbeiten wollten. 18 Jahre alt waren sie, hatten schon auf Farmen in Schweden gearbeitet und wollten 50 Tage im Kibbuz bleiben. So bewarb man sich damals als Freiwilliger für ein Kibbuz in Israel. Für Zigtausende junge Menschen aus dem ganzen Westen war das ein verlockendes Abenteuer, vor allem seit Ende der 1960er und in den 70er Jahren. 1962 drehte eine der jungen Freiwilligen, Grete Elisabeth Jensen aus Dänemark, bereits 8mm-Filme in einem Kibbuz. Vier Uhr morgens wurde aufgestanden, dann wurde man auf Anhängern zum Melonenfeld gefahren, wo man den Tag über arbeitete. Sechs Stunden arbeitete man, mittags ging es schon zurück in den Kibbuz. Die Lektüre von Leon Uris‘ Buch „Exodus“ war für Grete der „Trigger“ für ihr Interesse an Israel und an einem Aufenthalt im Kibbuz. Der Kollektivgedanke, etwas Sinnvolles zu tun, junge Menschen zu treffen, das war der Antrieb für viele. Allein die Anreise war für viele schon ein großes Abenteuer, etwa mit dem Zug durch ganz Europa, dann mit dem Flugzeug ab Athen, um dann nach nochmaligem Umsteigen endlich in Tel Aviv anzukommen. Und dann der Kibbuz. Jesper Berggren erzählt, wie er in seinem Kibbuz nahe der Golanhöhen nächtliches Gewehrfeuer hörte, für ihn mehr aufregend, denn als Gefahr empfunden.
Die Idee, Tausende von Freiwillige nach Israel zu bekommen, sollte auch dazu beitragen, das Ansehen des Landes in der Welt zu verbessern. Die jungen Menschen sollten zu Hause erzählen, wie toll es im Kibbuz war. Man recherchierte zunächst, wo den überhaupt Freiwillige benötigt wurden. Das war zunächst die Apfelernte. Schließlich wurden sogar in Europa Kibbuz-Filialen gegründet, etwa in Dänemark oder Schweden, die auch als Reisebüros zu den Kibbuz in Israel fungierten. Das war so erfolgreich, dass sogar ganze Jumbo Jets gechartert wurden, um die Freiwilligen nach Israel zu schaffen – was schließlich sogar den Bedarf an Freiwilligen in Israel überstieg.
Und dann brachten die Jugendlichen die Hippie-Kultur mit. „Hair“ wurde aufgeführt, die Musik war überall präsent. Bob Dylan, Cat Stevens – aber auch zum Beispiel „Der Fänger im Roggen“ von Salinger wurde quasi „importiert“. Und Drogen. Haschkekse, von denen auch mal versehentlich die Kinder aßen, Joints.
Etliche ehemalige Freiwillige berichten ihre Geschichten, Anekdoten, Abenteuer, Liebesgeschichten, Sexerlebnissen, Drogenerfahrungen. Und das ist es auch, worum es im Lauf der Zeit in den 70ern immer mehr geht bei den Kibbuzaufenthalten: um sex and drugs and rock’n roll – auch wenn die Zuständigen in den Kibbuzen davon zunächst möglicherweise gar nicht so viel mitbekamen. Und das hat noch andere Folgen: Es kommt zu immer mehr Beziehungen, vor allem zwischen israelischen Männern und weiblichen Freiwilligen – und manche davon heiraten, was meist nur funktioniert, wenn die Frau zum Judentum konvertiert. Und irgendwann kamen auch noch die jungen Männer (angeblich vor allem Engländer), die dann nur noch auf Spaß aus waren, junge Frauen kennen lernen wollten, Alkohol trinken und die keinerlei Interesse an Sozialismus oder an der Lebensweise im Kibbuz hatten.
APPLES AND ORANGES vom 40-jährigen Animator, Filmemacher und Musiker Yoav Brill ist ein außerordentlich kreativer und unterhaltsamer Dokumentarfilm über das Phänomen der Kibbuze – man stellt sich die Frage, warum man darüber eigentlich immer viel zu wenig wusste.
Sehenswert.
15.6. 17.00 HBPG, im Anschluss Filmgespräch mit Yoav Brill, Regisseur
17.6. 19.00 Delphi Lux, im Anschluss Filmgespräch mit Yoav Brill, Regisseur
17.6. 21.00 MS Goldberg, im Anschluss Filmgespräch mit Yoav Brill, Regisseur
JFBB Sektion KINO FERMISHED
Tickets gibt es hier: https://jfbb.info/programm/filme/apples-and-oranges
Yoav Brill, 40, ist ein Animator, Filmemacher und Musiker, der Stücke sowohl für Ausstellungen als auch für die große Leinwand geschaffen hat. „Ishihara“, sein Abschluss-Animationsfilm für die Bezalel Academy, gewann den ersten Preis beim Haifa Film Festival (2010). „Hora“, ein kurzer animierter Dokumentarfilm, gewann den ersten Preis beim Tel Aviv Animation Festival (2014). Beide wurden nominiert für einen Iris-Preis beim LGBT-Filmfestival in Cardiff und auf über 30 internationalen Festivals gezeigt. Sein jüngster Kurzfilm wurde 2019 im Israel Museum in Jerusalem präsentiert. Brill war an der Animation mehrerer israelischer Dokumentarfilme wie „King Bibi“ (Dan Shadur, 2018) und dem für die Oscar-Auswahl nominierten „Advocate“ (Philippe Bellaiche und Rachel Leah Jones, 2019) beteiligt. 2015 wurde er ausgewählt, an der renommierten ART OMI-Residenz in New York teilzunehmen.