KURZKRITIKEN vom DOK LEIPZIG Filmfestival

Uncanny Me Katharina Pethke. Deutscher Wettbewerb DOK LEIPZIG. Dokumentarfilm. Deutschland 2022

ENGLISH VERSION BELOW

König hört auf

Tilman König

Deutscher Wettbewerb

Dokumentarfilm

Deutschland 2022

85 Minuten

Lothar König ist ein Original. Der langjährige Jugendpfarrer aus Jena passt in kein System. In der DDR wurde er von der Stasi beschattet, nach der Wiedervereinigung war er einer der unermüdlichsten Mahner vor dem erstarkenden Rechtsradikalismus. Bis heute geht er gegen Rechts auf die Barrikaden, oft in der ersten Reihe. Das Filmporträt seines Sohnes Tilman ist dennoch keine Hommage, sondern die kritische Würdigung eines streitbaren Charakters, der sich mit der Pensionierung neu erfinden muss.

Pfarrer König gilt nicht nur als Galionsfigur der linken Szene, die Punkkonzerte, Demos und Fußballturniere mit jungen Geflüchteten organisiert. Ihm eilt auch der Ruf einer durchaus herausfordernden Persönlichkeit voraus. Tilman König zeigt seinen Vater nur am Rande in seiner Rolle als kirchlicher Amtsträger. Vor allem stellt er einen Menschen vor, der mutig und entschlossen, aber auch dickköpfig und ungerecht sein kann. Sein Film interessiert sich angenehmerweise und zuallererst für das Hier und Jetzt dieses Mannes, für all jene Dinge, die Lothar noch zu bewältigen hat. Wie gelingt der Übergang in den Ruhestand nach einem unruhigen Leben zwischen Gemeindearbeit und politischem Aktivismus? Wie kann der rhetorische Haudegen unter eigentlich Gleichgesinnten bestehen, die sich im Denken, Sprechen und Handeln von ihm zu entfernen scheinen? Der Grenzgänger beschreitet unbekanntes Terrain. Luc-Carolin Ziemann (Festivaltext)

https://www.dok-leipzig.de/film/koenig-hoert-auf/programm

„König hört auf“ ist eine brillante Doku über einen überaus kantigen, kauzigen und manchmal liebenswerten, manchmal aber auch fürchterlich schlecht gelaunten Mann, dem man aber trotzdem gerne zuschaut, und dem sein Sohn hier ein kleines Denkmal setzt – ein Sohn, der es wahrscheinlich mit seinem Vater auch nicht immer leicht hatte. Das ist überaus unterhaltsam und jederzeit kurzweilig.

Uncanny Me

Katharina Pethke

Deutscher Wettbewerb

Dokumentarfilm

Deutschland 2022

45 Minuten

Lale wird geklont: Virtuell! Jetzt, wo sich unsere Realität ohnehin hauptsächlich auf dem Bildschirm abspielt, sieht sie – zusammen mit ihrem Freund Vinzent – eine realistische Chance, ihren digitalen Zwilling für sich arbeiten zu lassen. Die echte Lale könnte etwas anders machen, könnte endlich eine Pause von der Selbstoptimierung einlegen: Immer öfter stellt sie sich die Frage, wer oder was sie wäre, wenn sie einfach aufhören würde, so hart an sich selbst zu arbeiten. Um das herauszufinden, lässt sie Vinzent ihren Körper und ihre Mimik in 3D duplizieren. Das Ergebnis ist eine digitale Lale, die lacht, aussieht, geht und spricht wie die echte Lale. Der einzige Unterschied ist, dass diese Lale nicht älter wird, immer arbeitet und niemals Hunger hat. Lale zeigt ein ungeschöntes, bewegtes Videotagebuch ihres Lebens zwischen Hochs und Tiefs – während nach und nach in klar komponierten Bildern die science-fiction-artige Schöpfung der zweiten Lale entsteht: von der photogrammetrischen Vermessung bis zum Wiederaufbau der Hautporen und der Haarstruktur.

Die Grenzen zwischen der physischen und der virtuellen Welt verschwimmen. Dem Auge ist nicht mehr zu trauen: Wer ist die echte Lale, wer der Avatar? Und: Bringt all das wirklich die lang ersehnte Freiheit für die echte Lale? (Pressetext)

https://www.dok-leipzig.de/film/uncanny-me/programm

Interessante Dokumentation über die Einführung einer neuen Technologie und deren möglichen persönlichen Auswirkungen auf die Protagonistin, die diese Technologie erprobt. Noch spannender wäre dies eventuell als Langzeitprojekt: Wie entwickelt sich diese Technologie in ein, zwei, fünf Jahren – sind die Befürchtungen und Hoffnungen wahr geworden?

Wanderjahre

Gereon Wetzel, Melanie Liebheit

Deutscher Wettbewerb

Dokumentarfilm

Deutschland,

Österreich 2022

100 Minuten

Deutsch, Englisch, Dänisch, Spanisch

Mit Agnes reisen wir von Luxusküche zu Luxusküche, von Bergisch Gladbach über Barcelona zu den Färöerinseln. Im Gepäck hat die Köchin stets ihren Rucksack mit diversen Messern, Hackebeilen und Pinzetten. Bei der Zubereitung der Köstlichkeiten schaut die Kamera der wissbegierigen jungen Frau über die Schulter. Das Wasser läuft uns im Mund zusammen. Gleichzeitig gewinnt man einen Einblick in die verschiedenen Arten, ein Restaurant zu führen. Es geht um Teamgeist und Gleichberechtigung am Herd.

Man denkt an Goethes „Wilhelm Meisters Lehr- und Wanderjahre“. Denn auch dieser beobachtende Dokumentarfilm gleicht einem Entwicklungsroman. Agnes ist ambitioniert, versteht ihr Handwerk. Eines Tages möchte sie ihre eigene Chefin sein. Schnell findet sie sich in jedem neuen Team zurecht, reiht sich ein. Es ist eine sinnliche Freude, dabei zuzusehen, wie die vielen Hände ineinandergreifen, kulinarische Kreationen liebevoll hergestellt und fein gezupfte Salatblättchen als Dekorationen drapiert werden. Gleichzeitig muss Agnes gegen Widerstände kämpfen. Ihr Lohn ist gering. Ein Kollege fragt, was sie, die gerade erst ihre Lehre abgeschlossen hat, in einem Drei-Sterne-Restaurant suche. Agnes bewegt sich in einer Männerdomäne, in einem Umfeld, das den Druck gern nach unten weitergibt. Doch im Verlauf ihrer Reise trifft sie auch auf kollektive Formen der Zusammenarbeit und neue Visionen des Kochens. Anke Leweke (Festivaltext).

https://www.dok-leipzig.de/film/wanderjahre/programm

Nicht die erste Dokumentation über das harte Leben in Restaurantküchen, die ich sehe, aber auch diese hier ist wieder unerhört unterhaltsam und kurzweilig – und auch hier bestaune ich wieder die Faszination, die dieser unglaublich harte und nicht mit Familienleben verknüpfbare Karriereweg auf manche Menschen ausübt. Spannend!

ENGLISH VERSION

SHORT REVIEWS from the DOK LEIPZIG Film Festival

König hört auf

Tilman King

German competition

documentary

Germany 2022

85 minutes

Lothar König is an original. The longtime youth pastor from Jena does not fit into any system. In the GDR he was shadowed by the Stasi, after reunification he was one of the most tireless admonishers against the rise of right-wing radicalism. To this day he goes against the right on the barricades, often in the front row. The film portrait of his son Tilman is not a homage, but a critical appraisal of a combative character who has to reinvent himself when he retires.

Pastor König is not only considered a figurehead of the left-wing scene, which organizes punk concerts, demos and football tournaments with young refugees. His reputation as a thoroughly challenging personality also precedes him. Tilman König shows his father only marginally in his role as a church official. Above all, he presents a person who can be courageous and determined, but also stubborn and unfair. His film is pleasantly and primarily interested in the here and now of this man, in all those things that Lothar still has to deal with. How to transition into retirement after a troubled life between community work and political activism? How can the rhetorical warhorse survive among like-minded people who seem to distance themselves from him in thinking, speaking and acting? The border crosser treads unknown territory. Luc-Carolin Ziemann (festival text)

https://www.dok-leipzig.de/film/koenig-hoert-auf/programm

„König hears on“ is a brilliant documentary about an extremely edgy, odd and sometimes lovable, but sometimes terribly bad-tempered man, who is nevertheless a pleasure to watch, and whose son is setting a small monument here – a son who probably is didn’t always have it easy with his father either. This is extremely entertaining and always entertaining.

Uncanny Me

Catherine Pethke

German competition

documentary

Germany 2022

45 minutes

Lale is cloned: Virtual! Now that our reality mostly takes place on the screen anyway, she – together with her boyfriend Vincent – sees a realistic chance to let their digital twin work for them. The real Lale could do something differently, could finally take a break from self-improvement: More and more often she asks herself who or what she would be if she just stopped working so hard on herself. To find out, she has Vincent duplicate her body and facial expressions in 3D. The result is a digital Lale that laughs, looks, walks and speaks like the real Lale. The only difference is that this Lale doesn’t get older, is always working and is never hungry. Lale shows an unembellished, moving video diary of her life between highs and lows – while little by little the science fiction-like creation of the second Lale emerges in clearly composed images: from the photogrammetric measurement to the reconstruction of the skin pores and the hair structure.

The boundaries between the physical and the virtual world are blurring. You can no longer trust your eyes: Who is the real Lale, who is the avatar? And: Does all this really bring the long-awaited freedom for the real Lale? (press release)

https://www.dok-leipzig.de/film/uncanny-me/programm

Interesting documentary about the introduction of a new technology and its possible personal impact on the protagonist who tries out this technology. This might be even more exciting as a long-term project: How will this technology develop in one, two, five years – have the fears and hopes come true?

Wanderjahre

Gereon Wetzel, Melanie Liebheit

German competition

documentary

Germany,

Austria 2022

100 minutes

German, English, Danish, Spanish

With Agnes we travel from luxury kitchen to luxury kitchen, from Bergisch Gladbach via Barcelona to the Faroe Islands. The cook always has her backpack with various knives, cleavers and tweezers in her luggage. As the delicacies are being prepared, the camera looks over the shoulder of the inquisitive young woman. Our mouths are watering. At the same time, you get an insight into the different ways of running a restaurant. It’s about team spirit and equality at the stove.

One thinks of Goethe’s „Wilhelm Meisters Lehr- und Wanderjahre“. Because this observational documentary is also like a developmental novel. Agnes is ambitious and knows her trade. One day she wants to be her own boss. She quickly finds her way around in every new team and joins in. It is a sensual pleasure to watch the many hands intertwine, culinary creations lovingly made and finely plucked lettuce leaves draped as decorations. At the same time, Agne s fighting against resistance. Your salary is low. A colleague asks what she, who has just completed her apprenticeship, is looking for in a three-star restaurant. Agnes moves in a male domain, in an environment that likes to pass the pressure on downwards. But in the course of her journey she also encounters collective forms of cooperation and new visions of cooking. Anke Leweke (festival text).

https://www.dok-leipzig.de/film/wanderjahre/programm

It’s not the first documentary I’ve seen about the hard life in restaurant kitchens, but this one is also incredibly entertaining and entertaining – and here, too, I marvel at the fascination that this incredibly hard career path, which cannot be combined with family life, exerts on some people. Exciting!

2 Comments

Schreibe einen Kommentar zu Jürgen Bürgin Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert