von/by Estibaliz Urresola Solaguren
mit/with Sofía Otero, Patricia López Arnaiz, Ane Gabarain, Itziar Lazkano, Sara Cózar
Spain 2023
Aitor? Coco? Lucia? Wie wird das achtjährige Kind genannt? Wie heißt es? Wie lautet der richtige Name? Die Gesellschaft, zumindest jene, die vom Katholizismus geprägt ist, erwartet, dass Aitor, so der Geburtsname des Kindes, seinen männlichen Geschlechterrollen entspricht. Kleidung, Frisur, Spielsachen. Und erst recht der Name. Der aber, löst beim Kind Unbehagen, Unzufriedenheit aus. Aitor fühlt sich für das Kind komisch an. Sein Spitzname ist Coco, der ist zumindest nicht so eindeutig maskulin, aber trotzdem ist es nicht das, mit dem sich das Kind nun überzeugt identifizieren würde.
Die Sommerferien verbringt die Mutter, Ane, samt ihren drei Kindern im Baskenland, bei ihrer Familie, wo alle, die das Kind nicht kennen, es als ein hübsches Mädchen erkennen. Insgeheim findet Coco/Aitor das gut, er wehrt sich nicht – wie man das sonst von Jungs kennt, deren Geschlecht mal verwechselt wird: „Ich bin aber kein Mädchen“ – wehren Jungs den Verdacht, man wäre ein Mädchen, vehement ab. Dort lebt die erzkonservative Oma Lita – und die viel liberalere, offenere Tante Lourdes. Aitor beginnt dort, bei der Verwandtschaft, seinen Kummer mitzuteilen. „Oma warum bin ich so?“ fragt Aitor irgendwann die Großmutter. „Gott hat uns perfekt gemacht“, sagt die religiöse Oma. „Er ist ein verwirrter Junge“, wird die Großmutter der Mutter des Kindes irgendwann warnend entgegenblaffen. Lourdes hingegen nimmt das Kind einfach, wie es sein will, zeigt ihm die Geheimnisse des Landlebens, der Bienenvölker, hat Spaß mit dem Kind, verbringt liebevoll Zeit mit Coco/Aitor.
Doch wie soll die Mutter, Ane, damit umgehen? Sie hat selbst noch mit Altlasten der Vergangenheit zu kämpfen. Und nun tritt die Identitätssuche ihres Kindes ausgerechnet in dieser konservativen, religiös geprägten Umgebung zu Tage? Coco umgibt sich mit den anderen Kindern, für die das alles so natürlich ist, dass da ein Junge halt einfach ein Mädchen sein möchte. Und genau das gehört dann übrigens zu den richtig großen Stärken des Films: Wir begegnen keinen Kindern, die das ablehnen, die ihn/sie in Konflikte hineinrennen lassen würden, die die Kinder ohne die Vorurteile von Eltern sowieso erst gar nicht hätten.
Und irgendwann mag Coco/Aitor nicht mehr in den Mühlen der konservativen Gesellschaft gequält werden. Sie gibt sich nun einfach selbst einen Namen: Lucia. Und diesen Namen teilt sie zuerst den Bienenvölkern mit. Vorsichtig klopft sie mit einem Stock an die Bienenkästen und teilt den Bienen mit: „Ich bin Lucia!“ Auf der anstehenden großen Familienfeier soll dann Lucias erster großer, mutiger Auftritt als Lucia, im wunder-wunderschönen Kleid stattfinden, doch im letzten Moment fehlt der vom konservativen Teil der Familie Geächteten der Mut. Sie zieht sich wieder um und haut ab. Und ohne zu viel zu verraten: Die Suche nach Aitor/Lucia wird zu einer der schönsten Szenen dieser Berlinale werden, eine jener Szenen, die einem in Erinnerung bleiben wird.
20,000 especies de abejas ist das Spielfilmdebüt der baskischen Regisseurin Estibaliz Urresola Solaguren – und es ist zu einem der schönsten, berührendsten, emotionalsten Werke dieser Berlinale geworden. Ein begeistertes, jubelndes Publikum mit Standing Ovation wischte sich auf der Weltpremiere im Berlinalepalast die Tränen aus den Augen. Man wüscht dem Film zumindest so etwas wie einen Ensemble-Bären für diesen wundervollen Cast, angeführt von der kleinen Sofía Otero, die eben als jenes kleine Mädchen auf der Suche nach dem richtigen Geschlecht, aber vor allem einmal auf de Suche nach einem Namen, der ihr gefällt, das erste Mal vor der Kamera steht, und Patricia López Arnaiz als ihre Mutter – zwischen allen gesellschaftlichen Problemen.
„Ich habe immer über Identität, Körper und Geschlecht sowie familiäre Beziehungen nachgedacht und sie durch meine Arbeit zum Ausdruck gebracht. In meiner bisherigen Arbeit stelle ich immer wieder Fragen wie: Seit wann wissen wir, wer wir sind? Welche Beziehung besteht zwischen unserer Vorstellung von Identität und unserem Körper? Ist Selbstidentität nur eine intime und persönliche Erfahrung oder wird sie durch den Blick von außen beeinflusst?“ erklärt die Regisseurin.
Mit
- Sofía Otero (Lucía)
- Patricia López Arnaiz (Ane)
- Ane Gabarain (Lourdes)
- Itziar Lazkano (Lita)
- Sara Cózar (Leire)
- Martxelo Rubio (Gorka)
Stab
Regie | Estibaliz Urresola Solaguren |
Buch | Estibaliz Urresola Solaguren |
Kamera | Gina Ferrer García |
Montage | Raúl Barreras |
Sound Design | Koldo Corella |
Ton | Eva Valiño |
Szenenbild | Izaskun Urkijo Alijo |
Kostüm | Nerea Torrijos |
Maske | Ainhoa Eskisabel |
Regieassistenz | Silvina Guglielmotti |
Produktionsleitung | Pablo Vidal |
Produzent*innen | Lara Izagirre Garizurieta, Valérie Delpierre |