EINIGE BERLINALE-KURZKRITIKEN

SUZUME. © 2022 „Suzume“ Film Partners

SHE CAME TO ME
von Rebecca Miller
mit Peter Dinklage, Marisa Tomei, Joanna Kulig, Brian d’Arcy James, Anne Hathaway
USA 2023

Als wären ein Opernkomponist in der Schaffenskrise und eine temperamentvolle Schlepperkapitänin mit Hang zum amourösen Abenteuer nicht Garanten genug für einen exzentrischen Plot, erweitert Drehbuchautorin und Regisseurin Rebecca Miller das Figurentableau ihres sechsten Spielfilms um eine Psychiaterin, die unter Ordnungswahn und religiösen Zwangsvorstellungen leidet, sowie um einen ultrakonservativen Gerichtsstenografen und selbst ernannten Staatsanwalt, der sich für historische Reenactments begeistert. Für etwas Ausgleich sorgen zwei verliebte Teenager. Sie sind besonnener und reflektierter als ihr erwachsenes Umfeld, das seinen Neurosen, Obsessionen und Vorurteilen frönt. (Festivaltext)

Schöner Berlinale-Eröffnungsfilm mit einem grandiosen Cast in wundervoll entworfenen und gegeneinander gesetzten Rollen, changierend zwischen Komödie und Drama.

SURVIVAL OF KINDNESS
von Rolf de Heer
mit Mwajemi Hussein, Deepthi Sharma, Darsan Sharma
Australien 2022

In einem Käfig auf einem Wohnwagen mitten in der Wüste wird BlackWoman ausgesetzt. Aber BlackWoman scheint nicht bereit zu bestehen … sie entkommt und geht durch Pest und Verfolgung, von Wüste zu Schlucht zu Berg zu Stadt, auf einer Suche, die zu einer Stadt, Rückeroberung und Tragödie führt. BlackWoman, die erneut auf der Flucht ist, muss Trost in ihren Anfängen finden. (Pressetext)

Schweres Aboriginee-Drama, dass durch seine Ursprünglichkeit und Rätselhaftigkeit beeindruckt.

IRGENDWANN WERDEN WIR UNS ALLES ERZÄHLEN
von Emily Atef
mit Marlene Burow, Felix Kramer, Cedric Eich, Silke Bodenbender, Florian Panzner
Deutschland 2023

Sommer 1990. Ein Bauernhof an der deutsch-deutschen Grenze, die seit Kurzem keine mehr ist. West-Familienmitglieder kommen zu Besuch, alle tasten sich an die ungewisse neue Zeit heran, der Alltag bleibt, der Sommer ist heiß. Sohn Johannes hat für seine Freundin Maria und sich den Dachboden zum kleinen Idyll gemacht. Maria liest Dostojewski, streift durch die Wiesen und widmet sich auch sonst der Suche nach dem Existenziellen. Die Begegnung mit Henner, dem um einiges älteren Nachbarn, wird zum Prüfstand. Zum Sog. Schicksal. Man könnte sagen, eine tragische Liebe nimmt ihren Lauf. (Festivaltext)

Weitgehend gelungene Mischung aus Liebesgeschichte und Geschichtsdrama, wobei die beiden Stränge noch enger verwoben sein könnten.

MANODROME
von John Trengove
mit Jesse Eisenberg, Adrien Brody, Odessa Young, Sallieu Sesay, Philip Ettinger
Vereinigtes Königreich / USA 2023

Ralphie ist jung und gesund; seine Freundin ist schwanger. Doch er fühlt sich nicht wohl in seiner Haut. Sein Job als Uber-Fahrer ist weder erfüllend noch bietet er finanzielle Sicherheit. Auch über sein Verhältnis zum eigenen Körper ist er sich nicht vollkommen im Klaren. Als er in einen libertären Männlichkeitskult eingeweiht wird, drängen aufgestaute innere Konflikte an die Oberfläche, und Ralphie verliert allmählich den Bezug zur Realität. In The Wound zeigte der südafrikanische Filmemacher John Trengove, wie durch ein Mannbarkeitsritual unterdrückte Gefühle freigesetzt werden und welche Gefahr davon ausgehen kann. Ähnliche Kräfte sind beim Protagonisten von Manodrome am Werk, wobei Trengove ein beunruhigendes Phänomen aus ungewöhnlichem Blickwinkel betrachtet. Denn Ralphie entspricht gerade nicht dem Stereotyp vom glühenden Frauenhasser, wie ihn die berüchtigten Incels verkörpern. (Festivaltext)

„Uber Driver“. Taxi Driver meets Fight Club. Ambitioniertes und gewaltvolles Drama um toxische Männlichkeit, das im Verlauf des Films immer mehr zu zerfasern beginnt und inkonsequent wird.

LE GRAND CHARIOT
von Philippe Garrel
mit Louis Garrel, Damien Mongin, Esther Garrel, Lena Garrel, Francine Bergé
Frankreich / Schweiz 2022

Drei Geschwister sind die jüngste Generation einer Puppenspielerfamilie, die ihr Vater mit Leidenschaft anführt. Auf ihre Art sind sie Magier, können von ihrer Kunst aber kaum leben. Ein Gefühl von Berufung hält die Truppe zusammen, zu deren Fortbestehen auch die Großmutter ihren Teil beiträgt: als Schneiderin ebenso wie als Hüterin von Erinnerungen und Weisheiten. Doch dann lässt ein tragisches Ereignis den Wunsch der Geschwister, die Familientradition fortzuführen, ins Wanken geraten. (Festivaltext)

Wundervolle, einfache Geschichte um die Veränderungen, die die Existenz einer Puppenspielerfamilie bedrohen. So schön einfach, simpel erzählt. Wundervoll.

LIMBO
von Ivan Sen
mit Simon Baker, Rob Collins, Natasha Wanganeen, Nicholas Hope, Mark Coe
Australien 2023

Ermittler Travis Hurley kommt in eine Kleinstadt im australischen Outback. Das Hotel Limbo hat etwas von einer Felsengrotte und eignet sich hervorragend für seine sehr eigene Art zu entspannen. Gekommen ist er aber, um in einem Fall zu recherchieren, der 20 Jahre zurückliegt und zu dem es nur Tonbandaufzeichnungen gibt: der unaufgeklärte Mord an Charlotte Hayes, einer Aboriginal-Frau. Die Auskunftsfreudigkeit der Einwohner hält sich in Grenzen, besonders in der zerstrittenen Familie des Opfers. Mit einem Cop redet man nicht, schon gar nicht, wenn er weiß ist. Doch Hurley (stoisch: Simon Baker) weiß, wie er sich mit seinem coolen Auto den Weg durch die Labyrinth-Landschaft der Opal-Berge bahnt und zu den Wohnhöhlen- und Wohnwagenbewohnern einen Draht herstellt. (Festivaltext)

Visuell eindrückliches, ursprüngliches, bedrückendes Kriminaldrama in der Einsamkeit des australischen Outbacks.

SUZUME
von Makoto Shinkai
mit Nanoka Hara, Hokuto Matsumura, Eri Fukatsu, Shota Sometani, Sairi Ito
Japan 2022

Die 17-jährige Suzume hat früh ihre Mutter verloren und lebt bei ihrer Tante in einer Kleinstadt auf Japans südlicher Hauptinsel Kyushu. Auf dem Schulweg lernt sie einen rätselhaften jungen Mann namens Souta kennen, der auf der Suche nach einer Tür ist. Sie folgt ihm in die Berge und stößt zwischen Ruinen auf eine alte, marode Tür. Einem Impuls folgend dreht sie den Knauf und entfesselt so das Unheil, das von der Tür zurückgehalten wurde. Überall in Japan öffnen sich weitere Türen, hinter denen sich Gefahren für die nichts ahnende Bevölkerung verbergen. Gemeinsam machen Suzume und Souta sich auf, sie alle wieder zu schließen. (Festivaltext)

Meisterlicher Manga, der Fantasyreise und Realismus raffiniert verwebt, ein emotionales Werk, das einem in Erinnerung bleibt.

BIS ANS ENDE DER NACHT
von Christoph Hochhäusler
mit Timocin Ziegler, Thea Ehre, Michael Sideris, Ioana Iacob, Rosa Enskat
Deutschland 2023

Robert trägt Lederjacke und die Haare etwas länger. Ein Cop, wie er nicht im Buche steht – zumindest nicht im deutschen Kino-Drehbuch. Als verdeckter Ermittler soll er über die fingierte Beziehung mit Leni (die im Gegenzug auf Bewährung aus der Haft entlassen wird) das Vertrauen eines Kriminellen gewinnen. Die Kontaktaufnahme gelingt beim Tanzkurs: Robert und Leni – er schwul, sie trans; ein großes Paar – haben Victor an der Angel. Oder doch er sie? Und sind bei der angeblich nur vorgetäuschten Liebe am Ende nicht sehr viel mehr Gefühle im Spiel? (Festivaltext)

Raffiniertes Hochhäusler-Kriminaldrama mit verblüffender Figurenkonstellation – mäandernd zwischen Genrefilm und Kunstkino.

ART COLLEGE 1994
von Liu Jian
Volksrepublik China 2023

In den 1990er-Jahren auf dem Campus der Chinese Southern Academy of Arts: Eine Gruppe von jungen Studierenden bereitet sich auf den Schritt hinaus in die Welt vor. China ist im Begriff, sich dem Westen gegenüber zu öffnen, das Leben der Studierenden steht im Zeichen von Liebesgeschichten und Freundschaften, künstlerischen Experimenten und Idealen und Ambitionen, die durch die neuen Impulse von außen entstehen. Im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne müssen die zukünftigen Absolvent*innen entscheiden, was und wer sie werden wollen. (Festivaltext)

Wundervoll stilisierter, toll charakterisierter und beeindruckender Animationsfilm – vielleicht manchmal etwas arg geschwätzig, dennoch lohnenswert!

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