AUF DER KIPPE beim DOK.fest München

Deutschland 2023 – Regie: Britt Beyer
Autor*in: Britt Beyer. Kamera: Frank Amann, Marcus Lenz. Ton: Oliver Stahn, Jörg Theil. Schnitt: Janine Dauterich, Sandra Brandl. Musik: Rolf und Joachim Kühn. Produktion: zero one film, Celluloidtracks. Produzent*in: Thomas Kufus. Länge: 86 min. Verleih: Real Fiction Film.

Weißwasser, Oberlausitz, Sachsen, 50 Kilometer von Cottbus entfernt. 16.000 Einwohner, weniger als halb so viel wie zu Zeiten des Mauerfalls. Tausende waren weggezogen. Für die Dagebliebenen eine schwierige Situation. Besuch aus Korea hat sich in der Kleinstadt angekündigt, man möchte mehr darüber erfahren, wie in der Oberlausitz der Strukturwandel vonstattengeht – in einem Land, das bis vor gut 30 Jahren noch geteilt war – so wie Korea eben heute noch. Und nun erlebt die Gegend mit dem Ausstieg aus der Braunkohleverstromung den nächsten Wandel. Wie regiert die Politik auf diesen neuen Wandel? Die Fabriken gibt es nicht mehr, aber auch viele andere Gebäude sind mittlerweile abgerissen.

Wir begleiten eine Frau, die direkt mit der Braunkohleverstromung zu tun hat, direkter geht es nicht: Eine Baggerführerin im Tagebau Welzow-Süd in einem dieser gigantischen Braunkohlebagger. Sie erzählt uns, dass sie bei ihrer Arbeit direkt merkt, wenn viel Wind- und Sonnenenergie ins Netz eingespeist wird, hat sie weniger Braunkohle zu fördern. Kurz: Wenn die Sonne scheint, gibt’s weniger zu tun. Keine Sonne, wenig Wind: Viele Arbeit. Seit 1983 arbeitet sie im Tagebau. Bis 2038 müssen die Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. 40 Milliarden Euro Strukturhilfe soll es dafür geben. Firmen müssen entschädigt werden, Umweltschützer fordern eine schnellere Abschaltung. Einer dieser Umweltschützerinnen folgen wir als nächstes: Ihr gehört ein Waldstück, das sie vor dem Braunkohleabbau bewahren will. In den kommenden Jahren soll die Braunkohle unter diesem Wald abgebaut werden. Mit politischen und rechtlichen Mitteln versucht sie, dies zu verhindern.

Die Regisseurin Britt Beyer schaut und hört sich alle Seiten an, lässt alle zu Wort kommen, belauscht die Sorgen aller Menschen, die vom Strukturwandel ebenso wie vom Tagebau betroffen sind. Der Film kommentiert nicht, er lässt den Menschen Zeit. Wir hören den Lokalpolitiker*innen zu, dem Oberbürgermeister von Weißwasser, den Umweltschützer*innen, den Braunkohlearbeiter*innen, den ehemaligen Bewohner*innen der Dörfer, die dem Tagebau weichen müssen – schlicht allen Betroffenen und Beteiligten. Beyer zeigt uns alte Filmausschnitte aus der DDR-Zeit, aus der Nachwendezeit, ruft uns die Vergangenheit in Erinnerung. Wir erforschen Befindlichkeiten, lernen Menschen und ihre Beweggründe zu verstehen. Dem Film gelingt es beeindruckend, aus einem öffentlichen Diskurs, der aus Wut und gegenseitiger Abneigung zu bestehen scheint, den Dampf herauszunehmen und allen Seiten zuzuhören – und zwar entspannt, leise, indem man sich Zeit lässt, mit direkt Betroffenen spricht und ihnen Zeit lässt.

https://www.dokfest-muenchen.de/films/auf-der-kippe

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