Yusuke Moriis wundervoller Debütfilm AMIKO beim Nippon Connection Filmfest Frankfurt

AMIKO beim Nippon Connection Filmfest Frankfurt

YUSUKE MORII 森井勇佑

Amiko

こちらあみ子

Amiko hat’s nicht leicht. Sie geht auf eine Grundschule in Hiroshima, ist etwas schräg, eckt aber überall an. Sie ärgert die Mitschüler, macht nicht mit, stiftet Unruhe, vernachlässigt ihre Hausaufgaben. Deswegen darf sie auch nicht mit ihrem Freund Nori an der so geliebten Kalligraphie-Stunde teilnehmen. Auch zu Hause hat sie es nicht leicht. Sie hat keine Geduld, isst lieber Kekse als das, was es zu essen gibt, ärgert ihren großen Bruder Kota, hört nicht zu und starrt immerzu auf die riesige Warze am Mund ihrer schwangeren Mutter. Als dieser die Fruchtblase platzt und sie ins Krankenhaus kommt, kann Amiko endlich ungestört Gruselfilme schauen und ihre neues Walkie-Talkie ausprobieren, das sie zum Geburtstag bekommen hat. Doch als die Eltern aus dem Krankenhaus zurückkommen, haben sie kein neues Baby dabei. Das scheint bei der Geburt gestorben zu sein. Das wird uns aber zunächst gar nicht erzählt, ihre Eltern scheinen darüber gar nicht angemessen reden zu können. Das erfahren wir erst später, als sie sich mit Nori darüber unterhält. Amiko scheint gar nicht so richtig traurig zu sein, eher enttäuscht, aber dennoch findet sie ihren Weg, damit zurechtzukommen: Im Garten bereitet sie nämlich mit Noris Hilfe ein Grab für das totgeborene Baby, ohne die Leiche versteht sich. Das stößt aber auf wenig Verständnis beim Rest der Familie: Die Mutter bricht in einen hysterischen Schreikrampf aus, der Bruder glaubt, sie hätte sich nur einen geschmacklosen Scherz erlaubt, der Vater weiß sich auch nicht recht zu helfen. Dabei war es eigentlich nur ein liebevoll gestaltetes Grabmal „für den kleinen Bruder“, wie darauf geschrieben stand. Beim Schreiben musste Nori nämlich helfen, das kann Amiko noch nicht so recht. Und deswegen bekommt auch Nori Ärger und tritt aus Wut die arme Amiko in den Bauch, die niemandem etwas Böses wollte aber nun so viel Ärger erntet. Eines Tages hört sie plötzlich sonderbare Geräusche von ihrem Balkon – und diese Geräusche beginnen sie überall hinzuverfolgen.

Alles an dieser kleinen Amiko ist ein Schrei nach Liebe, nach Anerkennung, nach Freundschaft. Niemand versteht sie, niemand nimmt sie so wie sie ist, ihre Mitschüler nicht, ihr Lehrer nicht, und am allerschlimmsten weder ihr Bruder, noch ihr Vater, noch ihre Mutter verstehen, wie Amiko tickt. Und als sie auf ihre ganz persönliche, kindliche Weise der Trauer um ihr kleinens Geschwisterchen Ausdruck verleihen möchte – ausgerechnet in diesem so schweren, traurigen Moment – wird diese Distanz zu ihrer Mutter, ihrem Vater, ihrem Bruder, ihrem einzigen Freund Nori so groß wie nie zuvor. In diesem Schock, den dieses Grundschulkind kaum verarbeiten kann, beginnt sie in ihre Geisterwelt abzutauchen, begegnet in musicalhaften Traumsequenzen Menschen, die ihr zugewandt sind, die Verständnis für sie haben.

„Amiko“ ist der zutiefst poetische, traumhafte Debütfilm des japanischen Regisseurs Yusuke Morii. Ich kann mich an keinen Film über Kinder in jüngerer Vergangenheit erinnern, der mit so viel Verständnis und Einfühlungsvermögen die Perspektive eines Kindes einnimmt – vielleicht noch Carla Simons „Alcarras“. Ein kleines, berührendes Meisterwerk über kindliche Trauer, kindliche Einsamkeit und über den Wunsch nach Anerkennung ist dieser Film. Beeindruckend.

AMIKO läuft am 8. Juni 2023 beim NIPPON CONNECTION Filmfest in Frankfurt am Main.

https://db.nipponconnection.com/de/event/1383/amiko

Regie: Yusuke MORII
Drehbuch: Yusuke MORII nach einer Erzählung von Natsuko IMAMURA
Kamera: Hiroshi IWANAGA
Musik: Ichiko AOBA
Besetzung: Kana OSAWA, Arata IURA, Machiko ONO, Tensei OKUMURA, Yuto OZEKI

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