Der Eröffnungsfilm von Cannes, JEANNE DU BARRY, ab 24. August im Kino

Regie: Maïwenn
Drehbuch: Maïwenn, Teddy Lussi-Modeste, Nicolas Livecchi

117 Minuten, im Verleih von Wild Bunch Germany / Alamode

Mit Maïwenn, Johnny Depp, Benjamin Lavernhe, Pierre Richard, Melvil Poupaud, Pascal Greggory, India Hair, Suzanne de Baecque, Capucine Valmary, Diego Le Fur, Pauline Pollmann

“Jeanne Du Barry war die uneheliche Tochter eines Mönches und einer Köchin“, beginnt der Film, während die junge Jeanne auf einem Feld sitzt und mit melancholischem Blick porträtiert wird. Anne, ihre Mutter, zog sie allein auf, während sie in einem wohlhabenden Haushalt tätig war. Doch weil der Graf – eigentlich verheiratet – von ihren erotischen Reizen beeindruckt ist, eröffnen sich ihr Chancen, aus der einfachen Bürgerlichkeit heraus aufzusteigen. Zwischenzeitlich landet sie im Kloster, aber dort fliegt sie raus, weil sie erotische Literatur konsumiert, was sich natürlich nicht gehört. Sie landet daraufhin in Paris und schließlich bei einer adligen Witwe, für die sie als Vorleserin tätig ist und so die große Literatur für sich entdeckt. Sie entdeckt aber auch die Libertinage und die Kunst der Verführung, die Lust an der Sexualität – was sie dann zu einer Kurtisane werden lässt. Jeanne (die erwachsene Jeanne wird von Maïwenn, der Regisseurin selbst, gespielt) entwickelt sich im Lauf der Zeit zu einer ehrgeizigen Frau mit gesellschaftlichen Ambitionen. Raffiniert nutzt sie ihre körperlichen Reize, um eben diesen einfachen Verhältnissen, denen sie entstammt, zu entkommen. Ihr Liebhaber ist der wohlhabende, aber aufbrausende Graf du Barry, der aber von Jeannes Liebesabenteuern auch finanziell profitiert. Gerne würde er sie dem König vorstellen. Daher arrangiert er unter Zuhilfenahme des einflussreichen, steinalten aber weiterhin virilen Herzog de Richelieu (Pierre Richard) eine Begegnung mit dem König. Und so dauert es nicht lange, bis Louis XV (Johnny Depp) der lächelnden Jeanne gegenübersteht. Einen langen Augenblick sieht er ihr schweigend in die Augen, man tuschelt bereits, schließlich gehört es sich nicht, dem König direkt in die Augen zu schauen. Kaum später wird sie zum König geladen, der Graf erhält ein üppiges Säckchen Geld, beide können ihr Glück kaum fassen. Zuerst müssen aber die Ärzte ihren Gesundheitszustand überprüfen, doch die versammelte Ärzteschaft kann keine Hinweise auf ansteckende Geschlechtskrankheiten entdecken – sie sei des königlichen Bettes würdig, lautet das Urteil. Aber erst noch gibt es einen Schnellkurs in den Versailler Gepflogenheiten, aber an und für sich geht das rasant, denn die Gefühle des Königs seien bereits entbrannt. Also – nicht lang fackeln, das erste Tête-à-Tête mit dem König erfolgt – zumal sich für diesen ebenjene Versailler Gepflogenheiten sowieso als lachhaftes Gehabe darstellen. Das findet auch der König selbst. Gleich landet sie – offenbar – im Bette ihrer Majestät und darf am darauffolgenden Morgen gleich das ganze Hofgedöns des Königs miterleben – die Scharen von Ärzten, Bediensteten und Schranzen, die den König umwimmeln, eine Figur lächerlicher als die andere. Hin und wieder wirft er seiner versteckt zuschauenden Geliebten einen schmunzelnden Blick zu. Er beschenkt sie mit einem wertvollen Diadem und lädt sie ein, in Versailles zu bleiben. Dann stirbt die Gattin des Königs, die Königin, und die heimliche Liebschaft droht immer mehr in die Öffentlichkeit zu kommen, ein Skandal entwickelt sich, denn gegen die höfischen Regeln wird massiv verstoßen…

JEANNE DU BARRY war der opulente in großartigen Bildern gedrehte Eröffnungsfilm der diesjährigen Filmfestspiele von Cannes, ein spektakuläres Ereignis, allem voran, weil Johnny Depp sich auf dem Roten Teppich zeigte. Meisterlich schlüpft Depp in die Rolle des Königs, herrlich spielt Maïwenn die Hauptrolle in ihrem eigenen Film. „Alles begann, als ich 2006 im Kino MARIE-ANTOINETTE von Sofia Coppola sah“, erzählt die Maïwenn über die Ursprünge dieses Projekts. „Sobald sie auf der Leinwand erschien, war ich fasziniert von der Figur der Jeanne, gespielt von Asia Argento. Ich fühlte mich sofort mit ihr verbunden, vermisste sie, sobald sie die Leinwand verließ. Jeanne du Barry hat mich verführt, weil sie eine wunderbare Verliererin ist.“ Von 2016 bis 2019 dauerte schließlich der fleißige, akkurate Prozess des Drehbuchschreibens. „Es ist schwer, sich von einem ‚klassischen‘ Biopic zu lösen, wenn man eine Figur so sehr liebt. Aber wenn ich mich entscheide, die Geschichte auf die Beziehung zwischen Jeanne und Louis XV zu konzentrieren, dann deshalb, weil diese Beziehung zu ihrem Untergang führt und weil alles, was nach ihrem Abschied von Versailles folgt, das direkte Ergebnis dieser Zeit ist, in der sie mit dem Etikett ‚die Hure des Königs‘ leben muss. Aber ich bin überzeugt, dass sie es nicht verdient hat, darauf reduziert zu werden“, erläutert die Regisseurin. Immer wieder gelingt es dem Film vom Historiendrama über die Historienkomödie in Richtung Märchen zu gleiten, in die Poesie, in das meist nur angedeutet Mystische. Das gemächlich vorgetragene Voice-Over trägt dazu bei. Eigentlich wollte sie sogar, sagt die Regisseurin, den Off-Text mit einem „Es war einmal…“ beginnen. Es ist aber auch ein erstaunlich – und erfreulich – schweigsamer, stiller Film, trotz seiner komödiantischen Elemente: „Ein Film mit einem relativ langsamen Rhythmus, der nie von der historischen Rekonstruktion eingeschränkt wird. Mit Bildern, die den Gemälden des 18. Jahrhunderts sehr nahekommen und mit wenigen Nahaufnahmen oder zu stark zerschnittenen Szenen.“ Die Kostüme, die Locations, die Bilder des Kameramanns Laurent Dailland, alles trägt zur Wirkung des Filmes in so besonderer Weise bei. Sie habe, sagt Maïwenn „Versailles durch die begeisterten Augen von Jeanne gefilmt, mit ihrer Spontaneität. Jeanne genießt es, sich in diesen Kulissen zu befinden, wird aber nie von ihnen erdrückt!“ Und dann sind wir bei diesem wunderbaren Cast: Maïwenn selbst in der Rolle der Jeanne („Ich habe es nicht sofort formuliert, aber ich glaube, dass der Wunsch tief in mir immer existiert hat. Es galt jedoch, mich selbst davon zu überzeugen.“), Johnny Depp als Louis XV („Ich wollte ihn in dieser Rolle, in erster Linie, weil ich seit langem eine große Bewunderin seiner Arbeit bin, ganz einfach. Aber auch, weil er mir in dieser Rolle, die mehr über Blicke und Stille als über Worte vermittelt wird, aufgrund der Charaktere, die er gespielt hat – von EDWARD MIT DEN SCHERENHÄNDEN bis BENNY & JOON – und der damit verbundenen Emotionen, ideal für solch eine Darstellung schien.“), der wundervolle Pierre Richard („Was für ein Schauspieler! Was für ein Mann! Was für eine Legende! Ich sprach vorher von meinen Filmhelden, wie Keaton, Chaplin. Pierre ist von diesem Kaliber“).

JEANNE DU BARRY schafft es, trotz meiner immer wieder auftretenden inneren Ablehnung historischer Stoffe, mich zu packen, mich hineinzuziehen. Ich mag selten museale, geschichtliche Filmwerke, hier ist das anders. Maïwenn verkörpert und inszeniert ihre Jeanne einerseits als eine historische, in ihrer Zeit verhaftete Figur, zeigt aber gleichzeitig auch echte Gefühle, ehrliche Liebe sowie eine moderne, feministische, erfrischende Haltung, die auch in unserer Gegenwart eine Überzeugungskraft trägt, die uns die Jeanne jener Zeit subtil näherbringt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert