LEE MILLER – Fotografin zwischen Krieg und Glamour. Erschienen im Hirmer-Verlag.

Herausgegeben von Kathrin Baumstark, mit Beiträgen von A. Bouhassane, E. Bronfen, K. Gimmi, C. Hug und K. Menzel-Ahr.

240 Seiten, 186 Abbildungen in Farbe und S/W

22,5 x 28 cm, gebunden

ISBN: 978-3-7774-4132-0
https://www.buceriuskunstforum.de/ausstellungen/lee-miller-fotografin-zwischen-krieg-und-glamour
https://www.hirmerverlag.de/de/titel-1-1/lee_miller-2434/

Noch bis zum 24. September 2023 zeigt das Hamburger Bucerius Kunst Forum die Ausstellung „LEE MILLER – Fotografin zwischen Krieg und Glamour“, zugrunde liegt die Ausstellung des Museums für Gestaltung in Zürich, in Zusammenarbeit mit den Lee Miller Archives in East Sussex. Der Münchner Hirmer Verlag hat den opulenten Katalog zur Ausstellung veröffentlicht.

Lee Miller gehört zu den wichtigsten Fotograf*innen des 20. Jahrhunderts, mit einer ungewöhnlichen Karriere, die Kunsthistorikerin und Direktorin des Bucerius Kunst Forums fasst ihre beruflichen und kreativen Stationen zusammen: „Supermodel, Muse, Porträtfotografin, Abenteurerin, Surrealistin, Kriegsreporterin, Gourmetköchin, Gastgeberin“. Attribute wie „unabhängig“, „lebenshungrig“, „grenzüberschreitend“ fallen. Karin Gimmi, die Kuratorin des Züricher Museums für Gestaltung, charakterisiert Lee Miller im Spiegel ihrer Bekannt- und Freundschaften, die im Nachruf der New York Times zu ihrem Tod im Juli 1977 mehr durch ihre Eigenschaft als Frau ihres Ehemannes Roland Penrose definiert wurde („Lady Penrose“), denn als wichtige, angesehene, wichtige Künstlerin.

Miller ist im Jahr 1907 im Kleinstädtchen Poughkeepsie im Staat New York geboren worden, zu ihren künstlerischen Stationen gehören später die Metropolen New York, Paris, Kairo, London, aber auch das winzige Örtchen Muddles Green in East Sussex, England. Zu ihren vielfältigen Begegnungen, Einflüssen und Freundschaften als Model, Künstlerin und Fotografin zählen Edward Steichen, Man Ray, Max Ernst, Picasso.

Durch ihre Modelkarriere geriet sie zum Genre der Modefotografie, prägend und berühmt sollten dann aber vor allem auch die dokumentarischen Arbeiten in der Kriegszeit sowie in der direkten Nachkriegszeit werden. Karin Gimmi charakterisiert in wenigen Sätzen das, was Lee Miller ausmachte: „Lee Millers Biografie liest sich wie ein Skript zu einer spannenden Filmstory, mit allen Ingredienzen, die im Kino Emotionen auslösen: Schönheit und Tod kommen darin vor, Erotik, Liebe, Krieg und Glamour, die Kunst und zahlreiche Freundschaften. Sie selber dürfte an ihrer eigenen Geschichte mitgewirkt und vielleicht auch nicht immer alles ganz so ernst genommen haben.“

In ihrem Aufsatz „Lee Millers surrealistischer Blick  auf den Krieg“ geht Elisabeth Bronfen schließlich unter anderem auf das berühmteste Lee Miller-Bild ein: „Lee Miller in Hitler’s bathtub“, die Aufnahme ist vom LIFE-Fotografen David E. Scherman: „Gelassen fährt sie sich mit einem Waschlappen über die linke Schulter und schaut dabei nach oben, als hätte etwas ihre Aufmerksamkeit geweckt. Die Stiefel, die sie während ihres Besuchs des Konzentrationslagers Dachau getragen hatte, stehen jetzt auf der schmutzigen Badematte vor der Wanne.“ Der Krieg wird noch eine gute Woche dauern, als diese Aufnahme in Hitlers Münchner Wohnung am Prinzregentenplatz entstand. Bronfen beschreibt die Symbolkraft der Entstehung dieses Bildes – das dann in einer Reportage in der Vogue abgedruckt wurde – als „Besitzergreifung der Intimsphäre des besiegten Feindes“. Ihren „vom Surrealismus geschulter Blick“ hat sie weder in der Modefotografie noch in den Kriegs- und Nachkriegsreportagen abgelegt. Doch später wollte sie nicht mehr über diese Zeit und ihre Arbeiten im Kriegs- und Nachkriegsumfeld sprechen – erst die Untersuchung ihres Archivs, das sie auf dem Dachboden ihres Hauses führte, brachte neue Erkenntnisse.

Cathérine Hug schließlich, Kuratorin am Kunsthaus Zürich, untersucht Millers surrealistische Arbeits- und Sehweise. Hug schildert Lees radikale körperliche Bildsprache und ihre experimentelle und assoziative Arbeitsweise, etwa in der Verwendung des Solarisationsverfahrens in der Fotografie. Das Besondere war auch, dass diese Bilder nicht nur in künstlerischem Zusammenhang zu sehen waren, sondern zum Beispiel auch den Leserinnen der Vogue zugemutet wurden und deren ästhetischen Gewohnheiten zu irritieren vermochte.

So spannend und tiefgreifend der Aufsatzteil des Katalogs ist, so faszinierend und bisweilen auch überraschend ist der Bildtafelteil. Viele der Modefotografien und der Porträtfotos waren mir bekannt, aber auch in diesem Teil gab es für mich Überraschungen, etwa Farbfotografien wie „Fashion study with slinky and chairs“ oder die quasi als Straßenfotografien inszenierten Modeaufnahmen (zum Beispiel „Dress by Schiaparelli“).

Von den surrealistischen Bildern ist vieles dabei, was ich noch nicht kannte, „Man and tar“, „Exploding hand“ oder „Rat tails“ zum Beispiel. Lee Millers Blick und ihre Bildideen – auch bei den Kriegs- und KZ-Aufnahmen – sind in vielen Fällen noch heute so unverbraucht und ungewöhnlich, dass viele der Bilder in der Erinnerung haften bleiben. Der lebendigste und leichteste Teil des fotografischen Werks Lee Millers (gerade auch im Kontrast zur Schwere der Bilder aus den Konzentrationslagern) ist wahrscheinlich die Fotoreportage über das befreite Paris, exemplarisch zum Beispiel im Bild „After the battle of Paris“, in dem eine Schar Pariser Kinder ausgelassen auf und in einem am Straßenrand gestrandeten Autowrack sitzen, hüpfen, spielen. Der Junge am Steuer, lächelt der Fotografin mit einem breiten Grinsen entgegen, Sandsäcke sind hinter dem Auto aufgestapelt, Erwachsene sind in dem Bild allenfalls im Hintergrund bei genauem Hinsehen zu erkennen. Man meint das Stimmengewirr, das Lachen, das ausgelassene Trampeln auf dem Dach zu hören. Ein beeindruckendes Bild, das es wie selten schafft, die Atmosphäre einer Zeit einzufangen und ein kleines bisschen in die Köpfe dieser erleichterten, überdrehten und fröhlichen Kinder hineinzuschauen.

Erstaunlich und mir unbekannt ist dann auch jene Lebensphase nach dem Krieg, als sie ihre Freunde fotografiert und als Köchin an Kochwettbewerben teilnimmt. 1977 stirbt Lee Miller schließlich 70-jährig auf der Farley Farm in East Sussex an Krebs.

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