UNSERE WELT IN BEWEGUNG – Ein Kinderbuch von Martin Howard

„Unsere Welt in Bewegung – Wie Menschen und Ideen wandern“ heißt das neue Kindersachbuch des in Frankreich lebenden Autors Martin Howard, die Illustrationen stammen von Christopher Corr, dessen farbenfrohe Bilder sich mir zuletzt in Angela Mc Allisters Band „Gutenachtgeschichten rund um die Welt“ eingeprägt haben. Martin Howard dekliniert in dem umfangreichen, 128-seitigen Band alles um Migration, Völkerwanderungen, Ein- und Auswandern durch, auf wissenschaftlicher Basis. „Man glaubt“, schreibt er, „dass wir alle dieselbe Ur-Ur-Ur-(und immer so weiter)-Großmutter haben, sofern wir nicht in bestimmten Teilen Afrikas geboren wurden. Unwichtig, ob du aus Indien, dem Iran, China oder Deutschland stammst und dein Nachbar aus Irland, Russland, der Karibik oder Großbritannien.“ Und weiter: „Wir gehören ALLE zur selben Familie, einer Familie, die jeden Winkel der Erde bereist hat.“ In meist doppelseitigen Thementafeln wandern wir nun durch die Weltgeschichte der Migration. „Warum ziehen wir umher?“ fragt Howard zunächst und bietet bunte Illustrationen Corrs mit kurzen Erläuterungen an: Flucht, Krieg, Handel, Klimawandel. Wir folgen dem Homo Sapiens auf seinen Wanderungen aus Afrika um die ganze Welt, wir entdecken die ersten Geschichten (Bildergeschichten in Höhlenmalereien, die erste aufgeschriebene Geschichte, das Gilgamesch-Epos). In der Folge charakterisiert Howard die Migrationsbewegungen anhand von Tänzen, Musik, Nahrungsmitteln, Gewürzen.

Dann folgen wir den Völkern um die Welt – es geht los in Afrika, wir erleben die Geschichte der alten Ägypter am Nil, der Händler in Afrika, afrikanischen Nomaden – und schließlich die meist unrühmliche Geschichte der Europäer in Afrika – Kolonien, Sklaverei. Schließlich gelangen wir nach Asien: „Asien war die erste Station unserer Vorfahren, als sie Afrika verließen und entlang der Küsten nach Osten und weiter ins Landesinnere zogen. Jahrtausende später entstanden in Mesopotamien, etwas östlich von Afrika, die ersten Bauernhöfe.“ Alexander der Große, der Buddhismus, die Seidenstraße, Marco Polo, die Briten in Indien – und schließlich auch moderne Aspekte der Migration: der Hippie-Trail, Industrialisierung. Es folgt Ozeanien – die Geschichte der Kon-Tiki, die Besiedlung Australiens – und schließlich auch Europa.

Für mich war eigentlich der Teil über Europa der spannendste und lehrreichste, weil Martin Howard dort aus britischer Perspektive erzählt und zum Beispiel die Geschichte der Brick Lane in Ost-London darstellt – die ich nicht kannte – und den Zuwanderungsgruppen, die das Aussehen dieser Straße so vielfältig mitgestaltet haben. Auch von der „Windrush-Generation“ hatte ich noch nichts gewusst, benannt nach jenem Schiff, das nach dem Zweiten Weltkrieg Menschen aus der Karibik nach Großbritannien brachte, in der Hoffnung auf gute Verdienstmöglichkeiten – die dann aber häufig mit Rassismus zu kämpfen hatten.

Faszinierend sind schließlich auch die letzten Kapitel des Buchs – der Ausblick in die Zukunft („Vielleicht führt die nächste große Reise der Menschheit ja zu einem neuen Planeten!“), der Seitenblick auf „Die großen Tierwanderungen“, der Rückblick auf das Schaffen unserer eigenen Spezies („Das Problem mit den Menschen“) – oder etwa der Blick auf die Klimakatastrophe („Umwelt und Klimamigration“).

„Unsere Welt in Bewegung“ ist eines jener mutigen Kinderbücher, die es schaffen, hochkomplexe Zusammenhänge für Kinder und Jugendliche herunterzubrechen, ohne sie unzulässig zu vereinfachen. Wer Zeit seines Lebens mit Kindern damit beschäftigt war, die ach so vielfältigen Warum-Fragen der Kinder ernst zu nehmen und diese zu beantworten, wird genau hier abgeholt. Da lässt sich für besonders neugierige Achtjährige (selbst erprobt mit meinem Sohn) sehr vieles gemeinsam entdecken, oder eben für Zwölfjährige selbst erlesen. Martin Howards Buch ist ein faszinierendes Kompendium der Migrationsgeschichte, das den herablassenden Blick auf andere Völker genauso vermeidet (man denke an die Indianer-Bücher aus der eigenen Kindheit) wie den verklärenden Blick auf vergangene Zeiten. Hinter allem in diesem Buch steht die Wissenschaft, auf jeder Seite des Buchs lässt sich erlesen, dass wir eine Spezies sind auf dieser Welt, niemand ist mehr oder weniger wert; dass Menschen migrieren, liegt in unserer Natur – und hat Gründe, über die wir sehr viel lernen in diesem Buch. „Unsere Welt in Bewegung“ kann vielleicht dazu beitragen, unsere Welt ein klitzekleines bisschen besser zu machen.

MARTIN HOWARD ist Autor zahlreicher Romane und Sachbücher für Kinder und Erwachsene. Er lebt mit seiner Familie in Frankreich.

CHRISTOPHER CORR lebt und arbeitet als Illustrator in London und ist außerdem Tutor an der Goldsmiths University. Er studierte Grafikdesign am Manchester Polytechnic und am Royal College of Art, wo er den RCA-Zeichenpreis gewann. Seit 1983 wurden seine Arbeiten in zahlreichen Einzelausstellungen in den Galerien Curwen, Berkeley Square und Cadogan gezeigt, die hauptsächlich von seinen ausgedehnten Reisen beeinflusst sind. Für seine Illustrationen wurde er mehrfach ausgezeichnet.

STEFANIE BRÄGELMANN, geb. 1969 in Köln, studierte Literaturübersetzen in Düsseldorf und Brüssel. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Erftstadt und übersetzt Romane, Sachbücher und mit besonderer Hingabe Kinder- und Jugendliteratur aus dem Französischen und Englischen.

KATHARINA MEYER, geb. 1979 in Bersenbrück, studierte Literaturübersetzen in Düsseldorf und Santiago de Compostela und überträgt Bücher aus dem Englischen, Französischen und Spanischen. Für eine ihrer Übersetzungen wurde sie 2017 mit dem Internationalen Literaturpreis ausgezeichnet.

978-3-86502-487-9
248.00 mm x 282.00 mm
128 Seiten
Fester Einband (mit Prägung)
farbig illustriert, Illustrationen, farbig
Ab 8 Jahren.

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