Jeff Wall in der Fondation Beyeler

JEFF WALL, A SUDDEN GUST OF WIND (AFTER HOKUSAI) [EIN PLÖTZLICHER WINDSTOSS (NACH HOKUSAI)], 1993. Grossbilddia in Leuchtkasten, 229 x 377 cm. Glenstone Museum, Potomac, Maryland. © Jeff Wall.

Vom 28. Januar bis zum 21. April 2024 zeigt die Riehener Fondation Beyeler eine große Einzelausstellung des 1946 geborenen kanadischen Fotografen Jeff Wall. Es ist die erste große Ausstellung mit seinen Arbeiten in der Schweiz seit Jahrzehnten. Jeff Wall ist stilprägend für die Fotogattung der „inszenierten Fotografie„, jenes Genre, das Erzählmittel der dokumentarischen Fotografie imitiert, indem es die Bilder inszeniert, zum Teil mit viel Aufwand, mit Schauspielern und einer Crew, vergleichbar mit der Inszenierung eines Spielfilms. Cindy Sherman und Gregory Crewdson sind weitere berühmte Vertreter*innen dieses Genres. Jeff Walls Werk ist erstaunlich übersichtlich. Er komponiert Bilder, die entweder von Alltagsaufnahmen inspiriert sind, gleichsam Straßenfotografien sein könnten, oder er bedient sich Vorbildern aus der Kunstgeschichte. Wie Szenenfotos aus Spielfilmen wirken die Bilder. Wie die Aushangsfotos vor Kinos sollen sie mit einem einzelnen Bild eine Geschichte erzählen – oder zumindest andeuten und anstoßen. In riesigen Leuchtkästen werden die Bilder präsentiert, wie bei modernen Leuchtreklamen, oder als großformatige Drucke. Einige der Arbeiten Walls sind mittlerweile zu Ikonen der zeitgenössischen Fotografie geworden, in Riehen sieht man diese Fotografien ebenso wie frühe Arbeiten und jüngere Werke. Manche der Fotografien werden in der Fondation Beyeler erstmals öffentlich gezeigt. In elf Räumen sind 55 Arbeiten versammelt.

„A Sudden Gust of Wind (after Hokusai)“ aus dem Jahr 1993 ist sein berühmtestes Werk in einem recht schmalen Oeuvre von gerade einmal 200 Bildern. 229 mal 377 cm ist das Großbilddia groß. Der japanische Künstler Katsushika Hokusai schuf ca. 1831 einen Holzschnitt mit dem Titel „Ejiri in der Suruga-Provinz“, der die Auswirkungen eines Windstosses zeigt. Es zeigt, wie ein Windstoß einer Frau ein Tuch ins Gesicht bläst und ihr dabei die Blätter, die sie in der Hand hält, in die Luft gewirbelt werden. Weitere Personen befinden sich in der Nähe. Jeff Wall stellt diese Szene nach. Sie wirkt wie eine Momentaufnahme, sie ist jedoch eine gestellte und zusammengefügte Aufnahme, eine Collage aus einer Vielzahl von Einzelaufnahmen. Der Blick des Betrachters wird gelenkt, von einem Protagonisten zum nächsten, wir studieren die Körperhaltungen der vier Menschen, wir empfinden den Wind mit, unser Blick geht nach oben zu den Blättern, die durch die Luft flattern. Wir versuchen mit der Person, die die Blätter verliert, mitzuempfinden: Sind es wichtige Akten? Die Arbeit einer Schriftstellerin? Eine unwiederbringliche Abschlussarbeit? Musiknoten? Obwohl die Bilderzählung unseren Blick immer in bestimmte Richtungen leitet, wohnt den Fotografien immer ein Geheimnis inne, eine Leerstelle, die immer wieder auch Platz für einen milde Komik lässt.

„Um die Bilder zu machen, die ich gemacht habe, musste ich in die Rolle eines sozial engagierten Fotojournalisten schlüpfen, umd dieser Prozess erlaubte mit, das Phänomen des ‚Fast-Dokumentarischen‘ zu entdecken“, sagt Jeff Wall in einem Interview mit Martin Schwander, das im zur Ausstellung erschienen Katalog nachzulesen ist. Wall ist mit seinen Arbeiten ein Grenzgänger zwischen dem Dokumentarischen und dem Künstlich-Künstlerischen. „Zu den Gründen, warum ich mich für Fotografie interessierte, zählt, dass ich von Natur aus eine Person bin, die gerne beobachtet; deshalb habe ich immer Kunst geschätzt, die solche Qualitäten aufweist. Und natürlich besteht hier eine Verwandtschaft mit dem Fotojournalismus“, sagt Jeff Wall.

Jeff Walls Arbeiten waren in etlichen wichtigen Ausstellungen zu sehen, etwa 2001 im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt, 2005 in der Tate Modern, 2007 im MoMA in New York und 2014 im Stedelijk Museum in Amsterdam. Mit der Riehener Ausstellung habe ich Jeff Wall erst so richtig entdeckt, obwohl mir vor allem der „Sudden Gust of Wind“ schon länger bekannt war. Vieles beeindruckt mich und zieht mich hinein, bei manchen Bildern denke ich mir, dass ich die Inszenierung nicht brauche und ich mit dem rein Dokumentarischen, dem Spontanen zufrieden wäre. Dennoch lohnt sich die Fahrt nach Riehen.

ÖFFNUNGSZEITEN:
Montag bis Sonntag 10–18 Uhr 
Mittwochs 10–20 Uhr 
365 Tage im Jahr (auch Feiertage)


Fondation Beyeler
Baselstrasse 101
CH-4125 Riehen/Basel

https://www.fondationbeyeler.ch/

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