MAÑANA SOL beim DOK.fest München 2024

Deutschland 2023 – Regie: Denis Pavlovic – Originalfassung: Deutsch, Englisch, Spanisch – Untertitel: Englisch – Länge: 90 min.

https://www.dokfest-muenchen.de/films/manana-sol

Ein fröhliches Ferienlied zu Beginn, spanische gute Laune. Doch das wird uns ganz schön in die Irre führen. Denis Pavlovic wird uns in seinem Dokumentarfilm „Mañana Sol“ eine Auswanderergeschichte erzählen. Aber mit „Goodbye Germany“ oder anderen Realityformaten wird das nichts zu tun haben. Wir werden eine Geschichte des Scheiterns sehen, aber das wäre noch nichts Besonderes, am Scheitern ergötzen sich auch die Macher und Zuschauer von „Goodbye Germany“ gerne mal, mit pleitegehende USA-Auswandern, Schwedenexilanten, die glauben, man müsste kein Schwedisch können, Träumerfiguren die am Unverständnis fremder Kulturen scheitern. Die beiden Protagonisten von „Mañana Sol“ sind bereits gescheitert, als Denis Pavlovic beginnt, sie mit der Kamera zu begleiten. Und: Wir werden Zeuge einer unerhört persönlichen, privaten Geschichte, so privat, dass es schmerzt. Denn es ist die Geschichte der Eltern des Filmemachers.

Vor fast 35 Jahren haben sich Jadranka und Aleksandar auf den Kanarischen Inseln kennengelernt. Sie haben sich ineinander verliebt, wurden ein Paar, haben geheiratet, wurden Eltern. Aleksandar war viel unterwegs, konnte sich zu wenig um die Familie kümmern, Jadranka war zu Hause. Dann nahte die Rente und sie überlegten, was sie damit anfangen sollten, und sie kamen auf die Idee, an den Ort ihres Kennenlernens zurückzukehren und auf die Kanarischen Inseln auszuwandern. Ein Traum für viele Menschen: dort zu leben, wo andere Urlaub machen. Sonne, Meer, Strand, selbst im Winter ist es hier noch warm. Aber was eine Zeit des Glücks werden sollte, wurde schon bald zu einem Alptraum für ihre Beziehung. Die tägliche Begegnung, die Zweisamkeit, die die beiden eigentlich einander näherbringen sollte, ließ Konflikte ausbrechen. Weit weg von ihrem Umfeld, von Freunden und Familie in der deutschen Heimat, fingen sie bald an, sich auf die Nerven zu gehen, sich zu streiten, man weiß gar nicht worum es im Einzelnen so ging, aber man ahnt, dass beide bald erkannt haben, dass das überhaupt nicht das Leben ist, dass sie sich gewünscht hätten. „Was ist Rente? Da weißt du nicht, wohin mit dir“, sagt sie irgendwann – hinter ihr im Bücherregal steht noch ein Buch mit dem Titel „Hurra! Ich bin in Rente“. Er meint irgendwann: „Ich habe dieses Bewusstsein, dass man irgendwann in Rente geht, eigentlich verdrängt.“ Er scheint nur für die Arbeit gelebt zu haben und sich dem Alltag des Familienlebens auch gerne entzogen zu haben. Und so kommt es, kaum sind sie auf die Kanaren gezogen, schon ziemlich bald zur Explosion. Es geht nicht mehr, sie müssen sich trennen. Sie ging jeden Tag zum Strand, für ihn war das langweilig, versucht er irgendwann zu ergründen, aber er bleibt mit dieser Erkenntnis natürlich an der Oberfläche. „Ich hab auch Scheiße gebaut“, sagt er, behält aber weitgehend für sich, was er damit meint. Sie fühlte sich trotz der Zweisamkeit einsam. Zu sehr hatten sie sich auseinandergelebt. Und sie erkannte nun endlich, dass sie nie ihr eigenes Leben geführt hat, sich nie selbst verwirklicht hat.

Um sich nicht ständig zufällig zu begegnen, zogen sie auf verschiedene Inseln, Gran Canaria und Teneriffa. Jadranka will es nun versuchen, sich selbst zu verwirklichen, mit einer Bar, die sie betreiben will, noch mitten in der Pandemie, man fürchtet um die Erfolgsaussichten des Geschäfts. Aber es ist ihr Ding und sie nimmt ihr Leben auch in die Hand, lernt Spanisch. Er hingegen ist immer noch auf Übersetzungshilfe angewiesen – und ihm macht immer mehr seine Gesundheit zu schaffen. Eindeutig ist er es, der unter der jetzigen Situation der ist, der viel mehr leidet. Er fühlt sich einsam, hat wenig Freunde, sagt, dass er immer noch in sie verliebt ist. „Hallo mein Schatz“, sagt er am Telefon zu ihr, die Sehnsucht nach ihr lässt sich nicht verbergen. Seine Versuche, mit ihr zu kommunizieren wirken beinahe wie die eines hilflosen Schülers, die Kommunikation beschränkt sich auch weitgehend auf Sprachnachrichten. Und allmählich fühlt sie sich auch von ihm gestalkt. Hilflos versucht er mit einem Geburtstagsgeschenk die längst vergangenen Zeiten irgendwie wieder zurückzuholen. Man fühlt ganz viel Mitleid mit ihm, aber immerhin hat er noch einen Traum, den er für sich selbst gerne bald verwirklichen möchte…

Denis Pavlovic ist ein deutsch-kroatischer Dokumentarfilmer aus Hamburg, studiert hat er an der Filmakademie Baden-Württemberg. Zu den Filmen, die er an der Filmakademie drehte und die auf etlichen Festivals zu sehen waren gehören Arbeiten wie „Letters of the Road“ (2020), „Stadtlücken“ (2018) und „Freizeit“ (2018), seine Kurzfilme gewannen bereits Preise auf mehreren Festivals. Mit der Editorin Julia Meyer-Pavlovic gründete er die Hamburger Filmproduktion „Glass Frog Films’“, die sich auf Dokumentar-, Spiel- und Werbefilme spezialisiert. Im Jahr 2023 war er Jurymitglied beim Dok.Fest München Student Award, im Jahr 2024 ist er nun selbst in der Sektion Student Award des Dok.Fest vertreten.

„Der Film gibt einen Einblick in die Lebensphase 60+, über die nur selten gesprochen wird und die man lieber verschweigt“, meint Denis Pavlovic. „Gleichzeitig gehen wir viele Jahre zurück und nähern uns den persönlichen Vergangenheiten und erleben die Geschichte zweier osteuropäischer Gastarbeiter, die 35 Jahre lang dem Erfolgsversprechen folgten, um am Ende alles zu verlieren und irgendwie von vorne anzufangen. Am Ende der Welt angekommen, stelle ich mich meinen engsten Vertrauten, um sie auf dem letzten Lebensweg nochmal neu kennenzulernen und somit ein intimes Portrait über zwei Menschen zu zeichnen, welches in vielen Familien verdrängt wird. Dabei möchte ich den Zuschauer wachrütteln und zum Umdenken bewegen, denn die allgemeine Vorstellung von der großen Rente ist schon lange Geschichte. Die Welt hat sich weitergedreht, wir müssen es nur noch akzeptieren.“

Pavlovic erzählt eine zutiefst anrührende, persönliche Geschichte. Selten kann man so tief in die schwierige Lage von Menschen hineinschauen – und natürlich gelingt dem Filmemacher das, weil er den beiden so nah ist. Sie öffnen sich ihm, sie schildern ihm ihre Probleme, ihre Sorgen, ihre Fehler, ihre Ängste – weil er eben ihr Sohn ist. Man leidet mit, man fühlt sich hinein, man folgt dem langsamen Erzähltempo des Films, das die Zuschauer hineinzieht. Immer wieder gibt es Bilder der Stille, lange Einstellungen. Was die Wirkung des Films so intensiv werden lässt, ist die Frage, die sich vermutlich jeder Zuschauer, jede Zuschauerin stellen wird: Bin ich zufrieden, mit dem, was ich im Leben bisher gemacht habe? Was möchte ich noch tun, wie möchte ich mich selbst verwirklichen? Was sind die schwersten Fehler, die ich im Leben begangen habe? Was habe ich verpasst? Habe ich genug Zeit mit den Menschen verbracht, die mir wichtig sind? Bin ich Irrwege gegangen, die mich in die falsche Richtung gebracht haben? „Mañana Sol“ reißt bei seinen beiden Protagonisten diese Wunden auf, aber gemeint ist eigentlich auch der Zuschauer, das macht den Film so schmerzhaft.

Wirkungsvoll erzählt der Film aus der Gegenwart heraus auch die Vergangenheit. Denis Pavlovic kommentiert nicht, er wertet nicht, seine Stimme ist im Film nicht zu hören. Das ist konsequent, das ist neutral, sein Bild muss sich der Zuschauer selbst erarbeiten, dennoch hat diese Methode einen Nachteil: Mich hätte immer auch interessiert, welche Rolle, welche Position der Sohn einnimmt, wie seine Eltern zu ihm stehen, wie er zu ihnen steht, wie seine Sicht der Dinge ist. Dieser Aspekt fehlt mir etwas. Dennoch. „Mañana Sol“ ist ein starker, persönlicher, emotionaler Beitrag im Student Award des DOK.fest München.

DATEN
Titel: Mañana Sol
Länge: 90 Min.
Produktionsland: Deutschland
Sprache: Deutsch / Spanisch / Englisch
Bildformat: 2:1 / 2K / Farbe
Ton: Dolby SRD
Weltpremiere: Dok.Fest München 2024

CREDITS
Produktion: Filmakademie Baden-Württemberg / Glass Frog Films
Regie / Producer: Denis Pavlovic
Bildgestaltung: Michael „Midge“ Throne
Dramaturgie / Editorin: Julia Meyer-Pavlovic
Sounddesign: Maximilian Hartstang / Marieke Czogalla
Tonmischung: Maximilian Hartstang
Filmmusik: Christian Bluthardt
Zusätzliche Filmmusik: Marvin Gerstmeier
Musikerinnen: Yvy Pop, Philipp Keller
Colorist: Rafael Starman
Grafikdesign: Lucas Grassmay

(DOK.fest München)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert