
Mit der Ausstellung „Die Neue Sachlichkeit – Ein Jahrhundertjubiläum“ reist die Mannheimer Kunsthalle nicht nur hundert Jahre in der Kunstgeschichte zurück, sondern auch hundert Jahre in ihrer eigenen Geschichte. Es war das Jahr 1925, als der damals junge Mannheimer Kunsthallendirektor Gustav F. Hartlaub mit der Ausstellung „Neue Sachlichkeit“ nicht nur eine bedeutende Ausstellung zusammentrug – die „unzweifelhaft bekannteste wie auch bedeutendste Ausstellung in ihrer über 100-jährigen Geschichte“, wie der Pressetext feststellt, sondern auch einen Epochenbegriff prägte. „Es kommen in dieser Schau nur gegenständlich darstellende Maler und Graphiker zu Wort und zwar ebenso die aktuell eingestellten ‚Veristen‘ (Dix, Groß, Scholz usw.) wie eine Anzahl mehr zeitlos-ideal gerichteter Künstler“, schrieb die Neue Mannheimer Zeitung damals.
„Eins aber noch, diese Malerei der Veristen oder wie man sie nennen mag, verlangt wieder technisches Können vom Maler. Er muß wieder zeichnen können, er muß wieder malen können. Das Nichtkönnen vermag nun nicht mehr sich mit der genialen Gebärde zu drapieren. Die Mitläufer, die Konjunkturtüchtigen haben es wieder schwerer. Sie sind leichter zu entlarven“, hieß es, nach der Ausstellungseröffnung in der Zeitung.
Die Ausstellung wurde mindestens deutschlandweit wahrgenommen und gewürdigt, der sozialdemokratische Vorwärts etwa schreibt in Anerkennung des Blicks für das Proletarische und nebenbei mit Berlinbashing: „Die Ausstellung in der Mannheimer Kunsthalle (die damit wieder einmal Berlin um viele Pferdelängen voraus ist) umfaßt allerdings noch mehr. Sie begreift unter der neuen Sachlichkeit auch die große Zahl jener Künstler, die Landschaft, Stilleben, Menschenbildnis in einer klaren plastischen Genauigkeit, mit präziser Wiedergabe im Räumlichen schildert und damit allerdings wohl den Namen einer neuen Sachlichkeit in besonderem Maße verdient.“

Die heutige Ausstellung in Mannheim bezieht sich nun auf die damalige Ausstellung, stellt vor, ordnet ein, würdigt das damalige Kunstereignis – und kritisiert, etwa die vollständige Abwesenheit von Künstlerinnen in der Ausstellung.
„Die Neue Sachlichkeit. Deutsche Malerei seit dem Expressionismus“ war der vollständige Titel der damaligen Ausstellung, spürbar auf der Suche nach einem prägnanten Epochenbegriff, vielleicht schon voller Überdruss der ganzen „-ismen“ in Kunst und Gesellschaft.
Die Jubiläumsausstellung nun, kuratiert von Inge Herold, erzählt in verschiedenen Themenbereichen das Umfeld und den Charakter der damaligen Ausstellung und ergänzt die Vorausschau auf die nahende Zeit des Nationalsozialismus. Mehr als 230 Bilder von Künstlern – und eben auch Künstlerinnen – sind nun zu sehen. Die Ausstellung rekonstruiert das ursprüngliche Konzept mit einer Auswahl an Bildern aus dem eigenen Bestand, ergänzt um die Bilder von Leihgebern und vervollständigt den Vlick mit einer immersiven, digitalen Projektion.

Der Katalog zur Ausstellung erschien im Deutschen Kunstverlag (40€), herausgegeben von Inge Herold und Johan Holten. Der Katalog enthält neben Abbildungen aller ausgestellten Werke auch Texte über die in der Schau behandelten Themenbereiche sowie über den aktuellen Forschungsstand zu zentralen Fragen der Ausstellung von 1925 und der Neuen Sachlichkeit.
Noch bis zum 9. März 2025 ist die Ausstellung zu sehen. Neben einigen Klassikern der Neuen Sachlichkeit, Grosz, Dix, Beckmann, Schad, Scholz gab es für mich etliche Entdeckungen spannender Bilder, die ich noch nicht oder kaum kannte, dazu gehören Nikolaus Stöcklin, Edith Dettmann, Alice Lex-Nerlinger, Wilhelm Schnarrenberger, Carl Großberg, Gustav Wunderwald. Die Ausstellung ist so groß und es gibt so viel zu entdecken, dass sich nach Möglichkeit empfiehlt, den Besuch zweizuteilen. Jedenfalls ist die „Neue Sachlichkeit“ schon jetzt einer meiner Ausstellungsfavoriten im Jahr 2025.
Noch ein Blick zurück in die Medien von damals: Es dauerte nicht lange, bis 1925 in Tageszeitungen auch erste Verrisse der Ausstellung erschienen, etwa im Karlsruher Tagblatt: „Zweifellos nähern sich einige Werke der Kunst: aber die meisten stehen doch außer- halb der geheimnisvollen Grenzen von Kunst und Kunstwahrheit und viele Stücke beweisen nur, wie weit und tief die Begriffe von Kunst sind. Einige wenige Werke gehören gar nicht in diese Ausstellung (Nr. 44!). Noch eine Feststellung ist zu machen: die Ankäufe der Kunsthallen zeigen, daß unsere öffentlichen Galerien auf dem Wege sind, wieder die ‚Kuriositätenkabinette‘ zu werden, aus denen sie vor 150 und 200 Jahren hervorgegangen sind und daß sie weit entfernt dem Guten, Schönen u. Wahren zu dienen“.
Kuratorin: Dr. Inge Herold
kuratorische Assistenz: Dr. Manuela Husemann und Dr. Gunnar Saecker
Die Ausstellung „Die Neue Sachlichkeit – Ein Jahrhundertjubiläum“ steht unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Kunsthalle Mannheim
Friedrichsplatz 4
68165 Mannheim
Dienstag, Donnerstag – Sonntag & Feiertage* 10 – 18 Uhr Mittwoch 10 – 20 Uhr
Erster Mittwoch im Monat 10 – 22 Uhr (MVV Kunstabend 18 – 22 Uhr; Eintritt frei; die nächsten MVV Kunstabende finden statt am: 05.02.2025, 05.03.2025, 02.04.2025, 07.05.2025 & 04.06.2025)
Montag geschlossen