FÜR IMMER HIER von Walter Salles ab 13. März 2025 im Kino

Rio de Janeiro, Brasilien, Anfang der 1970er Jahre. In Brasilien herrscht die Militärdiktatur. 1964 hatte das Militär gegen die linke Regierung geputscht, unterstützt vom CIA. Mord, Folter, Verhaftungen werden in den Jahren der Militärherrschaft herrschen.

Es ist ein Strandtag in Rio kurz vor Weihnachten, der Zuckerhut ist im Hintergrund, man badet, die Jugendlichen spielen Volleyball am Strand. Die Mädels reden über Jungs, ein herrenloser Hund streunt am Strand herum, Marcelo will ihn behalten, der Vater weiß nicht recht, findet die kleine Töle aber dann doch total süß. Bei den Älteren, Veroca und ihre Freunde, geht’s um Spaß, Joints, Lebenslust, mit einer Super-8-Kamera wird der wilde Alltag festgehalten. Alle scheinen glücklich, das Haus in der Nähe des Strandes steht für alle offen, die Kinder schleppen ihre Freunde an.

Aber: Immer wieder dringt der Alltag der Militärdiktatur in das Leben der Menschen ein. Ein Militärhubschrauber am Strand, nächtliche brutale Straßenkontrollen der Militärs, auf der Suche nach „Terroristen“. In den Nachrichten derweil: der Schweizer Botschafter wurde entführt, das erklärt die nervöse Stimmung der Soldaten.

Vater Rubens und Mutter Eunice machen sich Sorgen um die Situation ihrer Familie – fünf Kinder haben sie. Veroca, die große wird wahrscheinlich bald studieren und mit der Studentenbewegung zu tun haben. Das könnte gefährlich werden. Befreundete Familien sind schon aus dem Land geflohen. Könnte es eine Alternative sein, nach England zu gehen? Rubens beschwichtigt, man solle nicht paranoid werden. Die Familie hängt eng zusammen, es herrscht eine Atmosphäre der Zuneigung und des Humors – und irgendwie ist das eine subtile Form des inneren Widerstands gegen die Unterdrückung der Diktatur.

Vorübergehend geht aber erst einmal Veroca auf Auslandsreisen, nach ihrem Schulabschluss geht sie nach England auf die Spuren der Beatles – und sie schickt Filme aus der Ferne nach Brasilien. Irgendwann kommen Männer ins Haus und holen den Vater für eine Aussage ab. Eunice erklärt ihrem Kleinen, dass die Männer von der „Schädlingsbekämpfung“ seien. Die Männer bleiben im Haus, während sich das Verhör hinzieht. Auch in der Nacht ist Rubens nicht zurück. Und dann wird auch Eunice und ihre Tochter Eliana zum Verhör abgeholt. Die Willkür des brasilianischen Terrorregimes trifft auch die Familie Paiva.

Walter Salles‘ Film beruht auf der wahren Geschichte, die Marcelo Rubens Paiva aufgeschrieben hat. „Ich habe die Familie Paiva – Rubens, Eunice und ihre fünf Kinder Veroca, Eliana, Nalu, Marcelo und Babiu – Ende der 60er Jahre kennen gelernt“, sagt Salles. „Sie waren damals gerade nach Rio gezogen, wohin ich nach meinem fünfjährigen Auslandsaufenthalt zurückgekehrt war. Ich verbrachte einen Teil meiner Jugend in dem Haus, das im Mittelpunkt des Films steht. An diesem prägenden Ort entdeckte ich neue musikalische Einflüsse wie Tropicália, hörte leidenschaftliche Debatten über die politische Situation während der Diktatur und lernte Menschen kennen, die mich maßgeblich beeinflussten. Genau wie das Kino weckte das Haus der Paivas in mir die Erkenntnis, dass die Welt sehr viel größer war, als ich sie mir je vorgestellt hatte.“

Die Aufarbeitung der brasilianischen Militärdiktatur der Jahre 1964 bis 1985. Bis heute hat die Aufarbeitung jener Zeit nur sehr unbefriedigend stattgefunden. 10 000 Menschen hatten damals das Land verlassen, 10 034 waren ohne Anklage inhaftiert, 136 Menschen starben, was erst im Jahr 1995 vom damaligen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso anerkannt wurde. Erst damals begann die Aufarbeitung der Verbrechen der Militärdiktatur. Es wurden Kommissionen gegründet, die nach den Verschwundenen forschten. Nie wurden Täter wegen der Fälle von Folter verurteilt. Die Entschädigungen der Opfer erfolgten ungerecht. 2012 wurde die nationale Wahrheitskommission gebildet, die die Zeit historisch aufarbeiten sollte. Der Bericht nennt 377 verantwortliche Staatsbeamten. Dennoch blieb die Aufarbeitung unvollständig. Die juristische Aufarbeitung hat bis heute nicht stattgefunden. Der Präsident Jair Messias Bolsonaro, der 2018-2022 regierte, verherrlichte die Zeit der Militärdiktatur, es hätte damals endlich Ordnung im Land geherrscht.

Walter Salles gelingt ein wichtiger, berührender Film, wundervoll persönlich erzählt, eine Familiensaga, der aus persönlichen Verbindungen des Regisseurs zur Geschichte entstand: „Eine meiner prägnantesten Erinnerungen an meine Jugend ist die an ein Haus, in dem die Türen und Fenster immer offenstanden und in dem sich Menschen unterschiedlichsten Alters mischten. In einem Land, in dem eine Diktatur herrschte, war das bemerkenswert. Für mich als Heranwachsenden war dieser Kontrast besonders eindrucksvoll. Mir wurde mit der Zeit klar, dass die Geschichte der Familie Paiva die Geschichte einer zerrütteten Sehnsucht nach einem Land war. In ihrem Haus konnte man die Energie der Ideale der frühen 60er Jahre in Brasilien spüren – Ideale, die im Wesentlichen auf Freiheit und Inklusion beruhten, wie sie zu dieser Zeit in vielen Teilen der Welt aufkamen, aber formuliert entsprechend unserer eigenen brasilianischen Identität. Es war die Zeit neuer brasilianischer Architektur mit Niemeyer und Lucio Costa, neuer Musik mit Caetano Veloso, Gal Costa und Gilberto Gil und der Cinema Novo Bewegung mit Nelson Pereira dos Santos und Glauber Rocha. Für die Familie Paiva war das Leben nach diesen Kriterien eine Form des Widerstands. Dieses mögliche Brasilien, dieses Projekt eines Landes, wurde durch die Militärdiktatur zerstört, die 1964 ein demokratisch gewähltes Regime stürzte und 21 Jahre lang andauerte. Der Mord an Rubens Paiva ist die direkte Folge dieser Ereignisse.“

„Für immer hier“ ist ein emotionaler, bemerkenswerter, durchaus konventionell erzählter Film über eine Zeit der Unterdrückung, vielleicht ist es interessant das Werk mit einem Film aus einer anderen Diktatur zu vergleichen, die auch spät mit der Aufarbeitung der Vergangenheit begonnen hat: „Der Lehrer, der uns das Meer versprach“, der im Februar dieses Jahres in die Kinos kam und über die Diktatur und die Unterdrückung des Spaniens Francos erzählt. Beides sind wichtige Filme, auch mit einer internationalen Ausstrahlung, die von der Zeit des Terrorregimes in ihrem jeweiligen Land berichten.

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