
Anfang der 1980er Jahre in Polen. Der Staat unterdrückt die Gewerkschaft Solidarność rücksichtslos. Am 13. Dezember 1981 wird das Kriegsrecht verhängt. Der Protagonist auf Regierungsseiten ist der Präsident Wojciech Jaruzelski. Sein Gegenspieler auf Seiten von Solidarność ist Lech Wałęsa. Ich bin damals zehn Jahre alt, eigentlich kein bedeutendes Thema für Zehnjährige, aber da ich mit meinen Eltern jeden Abend die Tagesschau geschaut habe, haben sich mir die Ereignisse von damals zutiefst eingeprägt. Die Bilder der Massen auf den Straßen, und dann die beiden ikonischen Gegenspieler: der spröde Typ in der Militäruniform und der getönten Brille. Der Böse. Und dann der Typ mit den Arbeiterklamotten und dem riesigen Schnauzbart, stets ein Lächeln unter den Barthaaren. Der Gute. Vielleicht hat die Ikonographie der beiden zu der weltweiten Berichterstattung über Polen in der damaligen Zeit beigetragen, und auch dazu, dass zum Beispiel die USA mit Sanktionen gegen Polen reagiert hat. Und ebenso dazu, dass ich mit 10 verstanden habe, dass da eine Bewegung versucht, das zu ändern, was gerade nicht gut läuft, in einem Land.
Regisseur Tomasz Wolski nutzt in seinem „Found Footage“-Dokumentarfilm vorhandenes Dokumentarmaterial aus jener Zeit, um mittels eines dynamischen Schnitts, einer elektrisierenden Montage genau jenes Leben, jene Monate im Polen unter Kriegsrecht zu zeigen. Ausgangssperren, Telefonüberwachungen, ein vom Militär kontrolliertes Mediensystem. Er zeigt den Widerstandswillen einer Bevölkerung trotz der unterdrückenden Maßnahmen.
Wir sehen Aufmärsche, Demonstrationen, Reden, Diskussionen, Interviews, Fernsehansprachen, auffahrende Panzer, die Berichterstattung internationaler Korrespondenten, Passkontrollen, Fahrzeugkontrollen, Übungen, Überwachungen, der Alltag unter Kriegsrecht, Protestaktionen, Streiks. Wolski verknüpft diese Ausschnitte zu einem Film mit atemberaubenden Tempo, bisweilen Humor und mit einer solchen Energie, dass man bisweilen kaum nachkommt. Es geht ihm nicht um Geschichtsunterricht, er vermeidet ja auch jeglichen Offkommentar. Die Bilder erzählen für sich, der Rhythmus der Montage intensiviert das Ganze. Das ist bisweilen lustig und unterhaltsam, dann wieder schockierend und ernst. Jedenfalls erzählt der Film in anderthalb Stunden so viel wie ganze wochenlange Unterrichtseinheiten. Ein beeindruckender Blick auf polnische Zeitgeschichte vor über 40 Jahren.
- Drehbuch: Tomasz Wolski
- Kamera: Tomasz Wolski
- Schnitt: Tomasz Wolski
- Musik: Jerzy Rogiewicz
- Ton: Marcin Lenarczyk
- Produktion: Anna Gawlita
- Produktionsfirma: Kijora Film
Das go east Filmfestival zeigt den Film im Wettbewerb in zwei Vorstellungen:
- Caligari FilmBühne Mo, 28.04. / 16:00 Uhr
- Apollo Kino-Center Di, 29.04. / 18:15 Uhr