
Niños de las Brisas
von Marianela Maldonado Lopez
Dokumentarfilm
Venezuela 2024
Marianela Maldonado Lopez zeigt eine berührende Langzeitstudie über ein Musikprojekt, „El Sistema“, das Kinder aus der Hoffnungslosigkeit eines Armutviertels in Venezuela herausholen will. Die Erfolge sind beeindruckend, die Kinder begeistert, bekommen eine Richtung und Hoffnung im Leben. Doch die Widerstände sind groß, in der Politik, aber auch in manchen Familien. Zehn Jahre lang werden Edixon, Dissandra und Wuilly von der Filmemacherin begleitet. Es sind Geschichten von Erfolg, Stolz, FLeiß, Niederlagen, Rückschlägen und Hoffnung. Die Politik und die wirtschaftliche Misere im Land spielt dabei stets eine Rolle.
Manche mögen’s falsch
von Stanislaw Mucha
Dokumentarfilm
China, Deutschland 2024
Liu war einst Ohrenputzer von Beruf. Bis er einen Politiker beim Putzen verletzte und dann nicht mehr weiterarbeiten durfte. Fürderhin kümmerte er sich um seine Leidenschaft für die Malerei. Und das führte ihn in die südchinesische Stadt Dafen, die nämlich die Weltzentrale für Kopien? Fälschungen? berühmter Bilder ist. Schon als Kind hatte Liu aus Büchern abgemalt. Und in Dafen gibt es dafür auch die dazugehörige Infrastruktur. Seine Frau unterstützt ihn sehr. Halifan kopiert auch, er ist Spezialist für die Moderne. Meisterkopist sei er, er wurde sogar für Vorträge nach Deutschland eingeladen. Kopien sind für ihn ein Lob des Originals. Gerhard Richter, sagt er, würde er sehr gerne einmal persönlich kennenlernen. Ein paar Dutzend Euro kostet ein Bild, vielleicht mal ein paar Hundert. Die Produktion ist gigantisch: Mehr als 10 Millionen Bilder pro Jahr. Tausende von Malern sind damit beschäftigt, ihre Kopien nach Europa und Amerika zu verkaufen. Stanislaw Mucha erzählt einen interessanten Aspekt der internationalen Kunstwelt, für das westliche Verständnis von Authentizität und Urheberrecht kaum vorstellbar. Und dann ist da noch Huang Fen, der Gründer dieser ganz besonderen Künstlerkolonie. Stanislaw Mucha erzählt unterhaltsam, manchmal ironisch und mit aufschlussreichen Interviews einen irritierenden Aspekt der Kunstwelt. Am faszinierendsten ist gegen Ende des Films das Walter Benjamin-Projekt, ich will nicht spoilern.
Mirella
von Oliver Bruck
Österreich 2025
Dokumentarfilm
In beeindruckenden Bildern erzählt der Filmemacher Oliver Bruck die Geschichte der in Kenia geborenen Fotografin Mirella Ricciardi, der Ostafrika-Fotografien unter dem Titel „Vanishing Africa“ veröffentlicht wurden und der Fotografin Ruhm und Ärger brachten. Ruhm, weil die Bilder faszinieren, Ärger, ihnen ein kolonialer Blick vorgeworfen wurde. Mittlerweile ist die Fotografin 90, will ihr Gesicht im Film nicht zeigen, erzählt aber ihre Erinnerungen. Zeigt meine Arbeiten, das interessiert mich mehr, zeigt nicht mich, meint sie. Eine Anekdote am Rand: Ricciardi spielte in Michelangelo Antonionis L’Eclisse mit, in dem sie eine Rolle spielt, die an die selbst angelehnt ist, inklusive ihrer Fotografien, die im Film zu sehen sind. Und in der Riefenstahl-Autobiografie ist sie auch erwähnt. Einer der schönsten Filme dieses Festivals.
Der Schlüssel / La Clef
von Paul Sportiello
Spielfilm
F 2025
mit Bruno Clairefond, Alain Guillot, Sylka, Dorothée Deblaton
Düstere Schwarzweißbilder, Schatten und Licht. Damit beginnt der Film. Bruno nimmt niemand wahr. Niemand bemerkt in, alle übersehen. Er ist quasi unsichtbar. Egal, was er tut, man sieht ihn nicht. Irgendwann schnappt er sich auf der Straße irgendeinen Mann, packt ihn und zerrt ihn durch die Stadt, damit wenigstens einer das Gefühl hat, dass Bruno da ist. Doch ausgerechnet der Mann, den er gepackt hat, Alain, dem geht es genauso, auch er fühlt sich unbeachtet. Und dann treffen sie auch noch auf Zobi, einen etwas abgerissenen Typen, der die beiden mit in „seine“ Wohnung nimmt. Die anderen beiden wundern sich schon, warum er so nobel wohnt, mit Zigarren und Steinway und großer Altbauwohnfläche mit Parkett. Wie das? Das stellt sich gleich heraus: Auch er ist ein Niemand, eigentlich obdachlos, wohnt sich bei anderen ein. Oder nimmt sich manchmal das Nötigste mit. Auch Zobi ist also ein Unsichtbarer, vielleicht so wie die Engel aus „Der Himmel über Berlin“, aber im Gegensatz zu Bruno und Alain ist er ein wahrer Profi des unsichtbar seins. Und nun können die beiden noch einiges von Zobi lernen. Also dringen sie in das Leben von anderen Menschen auf, ohne sie zu stören, ohne bemerkt zu werden, ohne voyeuristisch zu sein, ohne ihnen Angst zu machen. Und sie leben vielleicht den Traum, den vielleicht jeder von uns einmal gehabt hat: eine Vorstellung davon zu bekommen, wie das Leben von anderen Menschen so ist, wenn niemand dabei ist. Ein grandioses Trio, ein erinnerungswürdiges Figurenensemble, unvergleichlich. Ein toller Film, voller Metaphern über das Leben.
Langhans – Ein letzter Dokumentarfilm
von Marco Papadopoulos
Dokumentarfilm
D 2025
Der animierte Vorspann dieses Films ist bereits vielversprechend, ich bin beinahe an die Rosaroten Panther-Vorspänne erinnert. „Rainer bietet keine Antworten an, da geht das Fragen immer weiter!“, sagt eine Weggefährtin. Aber ein Macho ist er, sagt jemand. Und wie ist er als spiritueller Guru? Interviews, Ausschnitte aus dem Archiv, Rückblicke auf das Langhans-Leben. Dazwischen auch inszenierte Clips. Und dann kommt er selber, der Langhans: „Ich bin ein Schauspieler eines anderen Lebens.“ Das ist spannend, kurzweilig, interessant erzählt, manchmal aber auch etwas anstrengend und nervig. Am spannendsten sind vielleicht die alten Filmclips.
SOFT LEAVES
von Miwako Van Weyenberg
Spielfilm
Belgien 2025
mit Geert van Rampelberg, Masako Tomita, Kaito Defoort, Sara Hamasaki
Yunas Papa ist Belgier, ihre Mutter Japanerin, schon lange lebt sie wieder in Japan und hat eine neue Familie gegründet. Sie freut sich auf die Ferien und darauf, mit ihrem Vater campen zu gehen. Doch da fällt ihr Vater von einem Baum und verletzt sich schwer. Er liegt mit einer schweren Kopfverletzung im Koma. Nur ihr großer Bruder ist jetzt noch da. Die Mutter ist informiert, sie wird kommen und sie bringt Yunas Halbschwester mit. Für Yuna sind sie beide sehr fremd. „Soft Leaves“ ist eine berührende, kleine Geschichte um ein Mädchen, das sich von einem Tag zum nächsten in einer schwierigen Lebenssituation befindet, die sie zunächst schwer überfordert. Von der Erzählweise ist es vielleicht eher ein Kinderfilm, aber dazu ist er vielleicht auch etwas zu bedrückend über weite Strecken.
Ich war ein Zeuge
von Andreas Reiner, Monika Agler, Günter Moritz
Dokumentarfilm
D 2025
Als Atheist habe ich ein erstaunlich großes Interesse an Dokumentarfilmen über religiöse Themen, insbesondere, wenn es um Sekten und andere Religionsgemeinschaften geht. So auch hier, der Titel mag vielleicht zuerst in die Irre führen, beim zweiten Lesen erkennt man seine Doppeldeutigkeit. Zunächst wollte Andreas Reiner nur ein Fotoprojekt über ehemalige Zeugen Jehovas machen, dann wurde ein Film daraus, mit Gesprächen über das Leben bei den Zeugen Jehovas, über Druck, Gewalt, sexuelle Gewalt und über den Bruch und den Ausstieg. Die Opfer litten, sind traumatisiert, den Tätern, den Schuldigen an diesen Verbrechen drohte – nichts. „Der Film ist allen Opfern religiösen Fanatismus‘ gewidmet“, steht so auch am Anfang des Films. Dass diese Menschen aus den Zeugen Jehovas herauskommen, ja herauswollen, ist ja dank frühkindlicher Indoktrination, von der viele religiöse Gemeinschaft ja leben, ein riesiger Schritt. Wie kann etwas falsch sein, das man von klein auf erzählt bekommt? Ein beeindruckender, wichtiger Film.
Stardust
von Nils Eberwein
Dokumentarfilm
D 2025
Der Filmemacher sucht nach Trümmern der sowjetischen bzw. russischen Raumfahrt in der Steppe Kasachstans. Klingt nach wenig, aber mein tiefes Raumfahrtinteresse sorgt dafür, dass ich diesen Dokumentarfilm in jedem Fall sehen muss. Und so begeben wir uns auf die Suche und lernen viel über Erfolge und Katstrophen der Raumfahrt, lernen, dass die meisten älteren Trümmer der Raumfahrt vor allem von Schrottsammlern abgeräumt wurden. Einer zeigt noch irgendein Blech vor, das aber von überall her stammen könnte. Immer tiefer dringen wir in die Einsamkeit vor, inzwischen gibt es keinen Handyempfang mehr. Und so begegnen wir auf dieser Roaddoku einer Reihe spannender Menschen – und kommen den Trümmern der Raumfahrt auf die Spur – und nebenher den Spuren der Atombombentests in Kasachstan. Eine großartige Doku für jemanden, der sich für Raumfahrt interessiert.
Der totale Traum
von Roman Toulany
Spielfilm
mit Kathy Etoa, Pit Bukowski, Lukas May-Floor, Kotti Yun, Frederik von Lüttichau
D 2025
„Der totale Traum“ ist ein mit einfachsten Mitteln gedrehter Postapokalypsethriller über das letzte lebende Menschenpaar, Adam und Eva. Ihre Gegner sind KIs und Humanoide, die die Welt besiedelt haben. Interessantes, bisweilen ganz schön schräges Filmexperiment.
Tod meiner Jugend
von Timo Jacobs
Spielfilm
mit Nadeshda Brennicke, Timo Jacobs, Silas Peter, Ninel Geiger, Oliver Szerkus, Milo Eisenblätter, Sascha Geršak, Sarah Bauerett, Detlev Buck, Julius Feldmeier, Susanne Wuest, Katy Karrenbauer
Der Film beruht auf einer wahren Geschichte. Kai kehrt mit Frau Meli und Sohn Silas in den Ort seiner Jugend zurück. Er arbeitet als Hausmeister an der Schule seines Sohnes – dort war er früher selbst Schüler. Kai hat ein schwieriges Leben voller Wunden hinter sich, die nun, da er wieder an den Ort des Traumas zurückgekehrt ist. Nebenher nimmt er Comedy-Unterricht und versucht sich zu verwirklichen. Etwas bemühtes Drama, in das zu viel hineingepackt ist und das zu sehr durch die Zeitebenen springt. Der beste Teil ist die Liebesgeschichte aus der Vergangenheit, als Kai sich in ein Mädchen verliebt, der Teil ist wirklich toll erzählt. Eigentlich haben Erstlingsfilme ganz viel Wohlwollen verdient, so muss das auch hier sein: Es gibt wirklich tolle Szenen, ich mag den Cast. Am faszinierendsten ist übrigens die Bio von Timo Jacobs: Studium der Ernährungslehre, Arbeit als DJ, professioneller BMX-Fahrer und Großhändler für US-Firmen. Schauspielstudium.
Becoming Vera
von Sergio Vizuete
USA 2025
Spielfilm
mit Raquel Lebish, Gabriel Diehl, Nicolás Pozo, Mikaela Monet, Phillip Andre Botello, Brandon Williams
Miami. Die 18-jährige Vera ist als Pflegekind aufgewachsen, nun ist sie eben volljährig und muss alleine auskommen. Sie hält sich mit Aushilfsjobs über Wasser, zum Beispiel soll sie ein Musikstudio anstreichen. Macht sie auch beinahe tadellos, aber vor allem nutzt sie die Gelegenheit, den Studiochef Hector zu beeindrucken: Sie ist nämlich eine großartige Pianistin, Latin Jazz ist ihr Ding. Sie hat gar kein Klavier, aber sie hat alles im Kopf. Hector gibt ihr nun die Gelegenheit, zu komponieren und künstlerisch für ihn zu arbeiten. Allerdings klaut er ihre Kompositionen und nutzt diese für sich. Als sie von diesem Verrat erfährt, will sie alle hinschmeißen. „Becoming Vera“ ist das Langfilmdebüt des in den USA lebenden Spaniers Sergio Vizuete. Die Musik versorgt den Film mit Leben, ebenso die Hauptdarstellerin Raquel Lebish. Das Drehbuch ist mir bisweilen etwas zu hölzern.
Das Ungesagte
Von Patricia Hector, Lothar Herzog
Dokumentarfilm
D 2025
„Für den Film ‚Das Ungesagte‘ haben wir mit den letzten lebenden Zeitzeug*innen der NS-Zeit Interviews geführt, mit Fokus auf die damals Beteiligten, Mitläufer und Mittäter des Regimes. Fast niemand aus dieser Generation hat nach 1945 noch einmal über diese Zeit gesprochen, in deutschen Familien war das Thema ein Tabu: das Ungesagte.“ Ein zutiefst beeindruckender, wichtiger Dokumentarfilm.
KINOLEBEN – ÜBER DAS TÜBINGER ARSENAL UND ANDERE PROGRAMMKINOS
Von Goggo Gensch
Dokumentarfilm
D 2025
Ein so wundervoller Dokumentarfilm über das Tübinger Arsenal, dessen Schließung und einiges über die deutsche Geschichte des Programmkinos. Großartig.
Zusammen ist man weniger getrennt
von Alexander Conrads
Spielfilm
D 2025
Sophie und Jojo waren ein Paar, acht Jahre lang, aber nun sind seit einem halben Jahr getrennt. Auseinandergezogen sind sie aber noch nicht, dazu müsste man ja mal eine Wohnung suchen. Eigentlich leben sie noch wie ein Paar zusammen, eigentlich ganz entspannt. Auch jobmäßig läuft es eher zäh. Nun gibt es ein Problem: Sophies Eltern wissen noch nichts von der Trennung – und weitere Kohle soll nur unter bestimmten Bedingungen fließen, nämlich dass die beiden ein gemeinsames Kind zeugen… „Er versucht in vielen Momenten dialogisch sehr lustig – wie ich fand – und sehr liebevoll alltäglich die unmögliche Balance einer verlorenen Liebe als nominell getrenntes Paar (…) auszutarieren. Der Film holt aus dieser eingefrorenen Lebenssituation wirklich sehr viel raus, geglückte Szenen wie an einer Perlenkette.“ So begründet Dominik Graf seine Preisverleihung des Friedrich-Baur-Goldpreises an den Film (gemeinsam mit Plan F). Graf hat sehr recht, eine wunderbare, schön erzählte Alltagskomödie.
WEITERE FILME:
A Scary Movie
Don’t let the sun
Sunny