International Uranium Film Festival in Berlin 2022

Balentes, by Lisa Camillo

6. bis 13. Oktober 2022

Das wohl außergewöhnlichste aller Berliner Filmfestivals ist das „International Uranium Film Festival“, das es seit ein paar Jahren gibt – und zwar in seiner internationalen Version nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen Städten weltweit. Es wurde im Jahr 2010 gegründet, damals um die Erinnerung an die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wieder in Erinnerung zu rufen. Es ging immer auch um die Bedrohung durch Atomwaffen, Reaktorunfälle und um die Probleme um Uranbergbau, die Beseitigung von Atommüll und mehr. Schließlich veränderte auch die Reaktorkatastrophe von Fukushima den Blick auf das Thema noch einmal. Im Oktober zeigt die neunte Ausgabe des Festivals einige eindrückliche Dokumentarfilme.

Das Uranium Film Festival 2022 zeigt die Festivalbeiträge in folgenden Kinos:

Zeiss-Großplanetarium
Prenzlauer Allee 80
10405 Berlin
S-Bahn S41, S42, S8, S85, Tram M2, M10, Bus 156
www.planetarium.berlin/zeiss-grossplanetarium

Kino in der Königstadt
Straßburger Straße 55
Gewerbehof Königstadt Prenzlauer Berg
10405 Berlin
www.kino-bar.berlin  
[voraussichtlich Kinoänderung aufgrund eines Wasserschadens]

Filmkunst 66
Bleibtreustr. 12
10623 Berlin
www.filmkunst66.de

EINTRITTSPREISE FILMVORFÜHRUNGEN
Einzelticket: 7 Euro / ermäßigt 5 Euro

Kartenreservierung Tel. 0172-8927879
uraniumfilmfestivalberlin@gmx.de

www.uraniumfilmfestival.org

FESTIVALPROGRAMM

TELEVISION EVENT

Zeiss-Großplanetarium Donnerstag, 6.10. 2022 um 19 Uhr

USA 2020
Regie & Produktion: Jeff Daniels
Englisch, 91 Min.

Am 20. November 1983 wurde auf dem amerikanischen Fernsehsender ABC der Fernsehfilm „The Day After“ ausgestrahlt. In Europa wurde der Film schon bald auch in den Kinos gezeigt, der deutsche Kinostart unter dem Titel „Der Tag danach“ war am 2. Dezember 1983. Regisseur des Films war der in New York geborene Nicholas Meyer, der sich zuvor schon zweimal im Sci-Fi-Genre betätigt hatte, nämlich als Regisseur von „Flucht in die Zukunft“ (1979), ein Zeitreisethriller um H.G. Wells und Jack the Ripper, sowie von „Star Trek II: Der Zorn des Khan“. „The Day After“ war nun ein Film über einen fiktiven Atomkrieg. 1983 befinden wir uns mitten im Kalten Krieg. Die Amerikaner stationierten in jenem Jahr die Pershing II-Raketen in der Bundesrepublik, nicht sehr weit entfernt von den Grenzen zum Gebiet des Warschauer Pakts. Die Regierungen in Washington und Moskau waren besetzt von zwei Protagonisten des Kalten Kriegs, Ronald Reagan einerseits und Juri Andropow andererseits, Leonid Breschnew war gerade ein Jahr zuvor gestorben. Wie sehr die atomare Bedrohung damals von Bedeutung war, zeigt, dass noch ein anderer Kinofilm jenes Jahres das Thema Atomkrieg aufgriff: „WarGames“ von John Badham, in dem nur ein Schüler den Atomkrieg verhindern kann, der beinahe durch Superrechner ausgelöst wird.

In jene Zeit hinein stößt nun also Nicholas Meyers Film, der damals ein riesiges Medienecho hervorrief – und der ein großer Erfolg auch an den Kinokassen war: In Deutschland hatte er mehr als 3 Millionen Zuschauer. Ich weiß noch, dass ich den Film irgendwann in den Achtzigern gesehen habe. Kann sein, dass wir den sogar in der Schule geschaut haben, keine Ahnung, im Politikunterricht oder so.

Jeff Daniels‘ Film „Television Event” schaut nun auf den Hype um „The Day After“ zurück, blickt hinter die Kulissen und untersucht seine Auswirkungen. Meyer erzählt, dass es damals eine bewusste Entscheidung war, den Film in den USA als einen Fernsehfilm zu konzipieren, der eben zu besten Sendezeit auf einem der großen Sender ein riesiges Publikum erreichen könnte. Etwas vergleichbares gab es vorher im Fernsehen nicht. Brandon Stoddard (1937-2014), der spätere ABC-Präsident, hatte damals von seiten des Fernsehsenders mit dem Projekt zu tun. ABC hatte eine „Movie oft he Week“-Rubrik, in der Filme gezeigt wurden, die für ABC produziert wurden. In einem Interview berichtete Stoddard, dass er nach unzähligen Unterhaltungsfilmen seiner Verantwortung bewusstwerden und bedeutendere Filme produzieren wollte. Zu jener Zeit, so sagt er, waren 75% der Amerikaner davon überzeugt, dass es in den kommenden 10 Jahren einen Atomkrieg geben würde. Und so wurde die Idee zu „The Day After“ geboren. Aber wie würde die Öffentlichkeit darauf reagieren? Wie die Werbekunden von ABC? Die Risiken wurden intensiv diskutiert. Der Entschluss wurde gefasst, der Autor Ed Hume wurde als Drehbuchautor eingesetzt. Hume schlug vor, keinen politischen Film zu machen, keinen Film, der einen Schuldigen identifiziert. Er machte sich an die Arbeit schrieb schnell, der ursprüngliche Arbeitstitel lautete „Silence in Heaven“. Robert A. Papazian produzierte den Film, Nicholas Meyer wurde nach einigem hin und her – vor allem wegen seiner Erfahrung mit Star Trek – als Regisseur angeheuert. Das Drehbuch wurde von ABC auseinandergenommen, aber dann konnte es losgehen. Archivmaterial über Atombombentests wurde gesichtet; auf einer Farm in Kansas in der Nähe von amerikanischen Raketensilos wurde gedreht, ebenso in der Stadt Lawrence. Die SchauspielerInnen wurden angeheuert, die zu einem großen Teil normale Menschen sein sollten, und eben keine großen Stars. Immerhin bekam Jason Robards eine der Hauptrollen, jene von Dr. Oakes, dem Leiter des Krankenhauses.  

„Television Event“ erzählt großartige Episoden, spannende Anekdoten über die Entstehung des Films, über Meyers Auseinandersetzungen zwischen ihm als genuinem Filmregisseur und den Wünschen eines Fernsehsenders; wir erfahren vom Dreh von Massenszenen in einer Sporthalle, die Zerstörungen der Atombombe mussten glaubwürdig nachgestellt werden, der Horror, der den Menschen widerfährt, musste wiedergegeben werden.

Jeff Daniels gelingt mit seinem Film eine beeindruckende Einsicht in den Dreh eines solch besonderen Filmes, aber auch ein tiefgreifender Blick zurück in eine Zeit, von der wir eigentlich dachten, dass sie hinter uns liegt. Den Beteiligten des Films gelingt es, uns die besonderen Entstehungsbedingungen des Films zu vermitteln. „Television Event“ ist auf so vielen Ebenen spannend – für mich, der ich ursprünglich aus dem Filmbereich komme – war es auch faszinierend zu sehen, was die Produktionsbedingungen eines Fernsehsenders in den USA zu jener Zeit waren, etwa der Kampf und die ewigen Diskussionen um einzelne Szenen und Drehbuchstellen. Und wir erfahren von der Rezeption und den Nachwirkungen des Films.
Sehenswert.

Bester Feature-Dokumentarfilm des Internationalen Uranium Film Festivals 2022. www.televisionevent.com

TOTEM & ORE

Zeiss-Großplanetarium Freitag, 7.10. 2022 um 20.30 Uhr

Australien, 2019
Regie & Produktion: John Mandelberg
Co-Produzent: Bozic Wongar
Sprecherin: Ursula Yovich
Dokumentarfilm, Englisch, 97 min
Deutsche Untertitel.

Der Film beginnt 1945 mit der atomaren Vernichtung Hiroshimas und endet mit der Kernschmelze von Fukushima im Jahr 2011. Er untersucht die Folgen von Atombomben, Atomwaffentests und dem Reaktorunfall von Fukushima. Radioaktiver Fallout der britischen Atomtests in den 1950er und 1960er Jahren in Emu Field und Maralinga in Südaustralien verseuchten nicht nur weite Teile des australischen Outbacks. Radioaktiver Regen erreichte auch Städte wie Adelaide. Vor allem aber die Aborigines haben bis heute darunter zu leiden. „Totem & Ore“ erzählt die historischen Tragödien und Ängste aus der Sicht von Zeitzeugen der Atombombenabwürfe und Atombombentests. Ureinwohner, Aktivisten, Filmemacher, Künstler, Schauspieler, Schriftsteller, Komponisten, Ärzte und Professoren kommen zu Wort. Ursula Yovich, eine Schauspielerin der Ureinwohner appelliert: „Es darf keinen Platz mehr auf der Welt für Atomwaffen geben!“ (Pressetext)

Totem & Ore erhielt eine besondere Anerkennung des Internationalen Uranium Film Festivals 2022.

BALENTES – THE BRAVE ONES

Filmkunst 66 Mittwoch, 12.10. 2022 um 20 Uhr
Kino in der Königsstadt [Kinoänderung tbc] Donnerstag, 13.10. 2022 um 20 Uhr

Italien/Australien 2018,
Regisseurin: Lisa Camillo
Dokumentarfilm, Italienisch/Englisch mit englischen Untertiteln
84 min
www.balentesfilm.com  

„This is a story people have been too afraid to tell”, hören wir zu Beginn des Films “Balentes – The Brave Ones” der in Italien geborenen und in Australien lebenden Filmregisseurin und Anthropologin Lisa Camillo. Mit ihrer Produktionsfirma „Against the Tides Films“ produziert sie humanistische Filme mit sozialen Themen, etwa „Live Through This“ (2013). „Balentes“ ist ihr erster Langfilm. Das Wort „Balentes“ stammt aus dem Sardischen und bedeutet so viel wie „tapfere Menschen“, eben jene Menschen, die sich für Gerechtigkeit und für die Schwachen einsetzen.

Für den Film kehrt Lisa Camillo, nach ihrer Arbeit als Anthropologin in Australien, wo sie das Leben von Aboriginees erforschte, in ihre Heimat Sardinien zurück. Zunächst trifft sie sich mit ihrer Familie, die noch auf Sardinien lebt, blickt – mit Archivmaterial – auf die Geschichte und die Vergangenheit der Insel zurück, die Entwicklung zur Urlaubsinsel, die Rolle des Aga Khan für den Tourismus. Ihre Mutter stammt aus Sardinien, ihr Vater ist Australier, den es irgendwann nach Italien verschlagen hatte. Sie begibt sich auf die Recherche nach Waffentests, die die NATO dort durchführte, und zwar mit abgereichertem Uran („depleted Uranium“) und Thorium, was verheerende Auswirkungen auf die Bevölkerung der Insel hatte. Von ihrem Vater hat sie das erste Mal von den NATO-Übungen gehört. Es gibt noch heute etliche Militärbasen auf Sardinien.

Lisa Camillo begleitet den Kampf einiger Inselbewohner bei ihrem Kampf für ihre Rechte und für ihre Lebensgrundlagen, die durch die Waffenversuche in Gefahr geraten waren. Familien waren damals vertrieben worden, damit Teile der Insel als Übungsgelände genutzt werden konnten. Später kam es zu Unfällen, Menschen erkrankten, Babys wurden mit schweren Erkrankungen geboren. Schafe, die in der Nähe der Basen grasten, erkrankten, bekamen missgebildete Lämmer. Bienenvölker sind mit Schwermetallen kontaminiert.

„Balentes“ ist eine eindrückliche, berührende, persönliche und engagierte Dokumentation über einen Skandal, der in der europäischen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde. Lisa Camillo präsentiert ihren Film vor Ort in Berlin. Im Anschluss an die Filmaufführung gibt es eine Expertenrunde zum Thema Uranmunition mit Prof. Manfred Mohr, ICBUW.

ATOMIC COVER-UP
Kino in der Königsstadt [Kinoänderung tbc] Donnerstag, 13.10. 2022 um 18 Uhr


USA 2021
Regie: Greg Mitchell
Produzenten: Greg und Suzanne Mitchell
Dokumentarfilm
Englisch, 52 Min.

Trümmer von Häusern, nur wenige Wände stehen noch. Unbeirrt treffen sich Kinder zu einem Gottesdienst. Es ist 1945, nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki. Filmteams riskieren ihr Leben, um die Ruinen der beiden zerstörten Städte zu filmen. Kameramänner und Regisseure wagen sich trotz allem auf die Straßen der beiden Städte. Ein Filmteam der japanischen Wochenschau drehte die Aufnahmen. Sie filmen die Trümmer, die Überlebenden, die verzweifelten Versuche, verbrannte Menschen in den halb zerstörten Krankenhäusern zu retten, traumatisierte, sterbende Kinder. Keiner hatte eine Vorstellung, in welche Gefahr die Menschen sich dadurch begaben. Schon bald kamen jedoch die Amerikaner und ließen das Filmmaterial beschlagnahmen, aus Angst, das Geheimnis der Bombe könnte verraten werden, etwa an die Sowjetunion. Auch ein Kamerateam der US-Army kam bald, um die Zerstörungen zu filmen, die verzweifelten Überlebenden, leidende Kinder, eine zerstörte Schule mit Hunderten toter Kinder, die eingebrannten Schatten von Toten, hinterlassen durch den Blitz der Bombe. Auch das amerikanische Team hatte kaum Ahnung, in welche Gefahr es sich begab. Irgendwann traf der amerikanische Mann auf das japanische Team, das immer noch drehte. Er rettete deren Material davor, von der Army zerstört zu werden. Teile des Materials wurden auch veröffentlicht, aber die Auswirkungen auf die Menschen, ihre schweren Verletzungen, die leidenden Kinder wurden nicht gezeigt. Die US-Regierung ließ große Teile des Materials beschlagnahmen, es wurde als geheim eingestuft und war jahrzehntelang verschwunden.

Doch die Produzenten des Filmmaterials ließen nicht locker, die Aufnahmen zu finden und an das Material heranzukommen – um die Zerstörungskraft der Atombomben zu zeigen und das Leiden der Bevölkerung aufzudecken…

ATOMIC COVER-UP ist ein eindrücklicher, bedrückender Dokumentarfilm, der schockierende Bilder zeigt, die einem in Erinnerung bleiben. Es zeigt auch den unermüdlichen Kampf dafür, das Filmmaterial herauszubekommen und der Welt zu zeigen, was die Auswirkungen von Atombomben sind. Ein erschütternder Film, der auch durch die unnötige, leider fast durchgehend über die Tonspur gezogene Musik, kaum an Wirkung verliert. Empfehlenswert.

Bester Dokumentarfilm des Internationalen Uranium Film Festivals 2021.

www.gregmitch.medium.com

Vorfilm:
TOXIC NEIGHBOUR

Kanada, 2021
Regie: Colin Scheyen
Produzent: Ann Shin und Hannah Donegan
Dokumentarfilm

Englisch, 25 Min.

In den 1970ern kauften sich Eugene und Ann Bourgeois ein Stück Land in Ontario, um darauf eine Schaffarm zu errichten. Ein wunderschönes, friedliches Stück Land. Na gut, da war der weltgrößte Atomkraftwerkskomplex nebenan, aber das störte die beiden erstmal nicht. Die Bourgeois wuchsen in einer Zeit auf, als von Gefahren der Atomkraft nichts bekannt war. Sie verkauften Schafwolle, brachten Menschen das Stricken bei. Es war paradiesisch. Doch plötzlich erblindeten Schafe, es gab Missbildungen, Schafe starben, in großer Zahl. Die Atomfirma bestritt, dass es zu Unfällen gekommen sei, aber in Eugene wuchs der Verdacht, dass das nicht stimmte…
Bester Kurzdokumentarfilm des Internationalen Uranium Film Festivals 2022.

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