ENGLISH VERSION BELOW
An der Küste des Schwarzen Meers, in einem georgischen Dorf. Amnon ist Betreiber eines kleinen Cafés, dem Wet Sands, in dem man herumhängt, sich zum täglichen Backgammonspiel trifft. Fleshka sammelt noch Treibholz am Strand, um ihren Ofen damit zu beheizen, sie kommt zu spät zum Dienst in Amnons Café, aber Amnon ist sehr milde gestimmt. Er ist ein außerordentlich gutmütiger Kerl. Fleshka ist gut gelaunt, weil sich vielleicht ein Käufer für ihr Haus gefunden hat, das könnte ihr Hoffnung geben, dass sie bald aus der Provinz wegkommt. In den Nachrichten laufen derweil Neuigkeiten über den aktuellen Stand der Coronapandemie. Selbst von den blöden Sprüchen der Gäste lässt sie sich nicht aus der guten Laune herausbringen. Über dieses Geplänkel hinweg kommen plötzlich die Dorfkinder den Strand heruntergerannt: Einer der Nachbarn, Eliko, sei tot! Aufgehängt habe er sich.
Der Dorfpolizist ermittelt, die Dorfbewohner unterhalten sich über Eliko, wer er war, dass seine Verwandtschaft weit weg wohne – und er alles in allem einsam gewesen sei. Und Krebs habe er gehabt, deswegen habe er sich wahrscheinlich umgebracht. Man zerreißt sich das Maul, die meisten mochten ihn nicht so recht, er habe sich für was Besseres gehalten und habe eine Abneigung gegen die einfachen Dorfbewohner gehegt. Aber der gutmütige Amnon legt ein gutes Wort für ihn ein. Nichts Böses habe Eliko gewollt und er sei immer ein guter Gast gewesen. Wenn’s sonst keiner macht, er würde sich um eine ordentliche Beerdigung kümmern.
Nachts. Spero und Flehska sitzen am Strand. Sie schaut sich den Sternenhimmel an, aber sie ist enttäuscht, niemand ist gekommen, um ihr Haus zu kaufen. Die Enkelin des toten Eliko komme vielleicht bald, meint Fleshka. Spero kennt sie, Moe heißt die Enkelin.
Und Moe kommt auch bald, aus Tbilisi, der Hauptstadt; den Bus hat sie verpasst, der Taxifahrer sei ein Arschloch gewesen. Amnon holt sie ab. Moe war seit Ewigkeiten nicht mehr im Dorf, ihre Mutter ist auch schon tot. Moe ist als großstädtisches Wesen ziemlich fremd in dem kleinen Dorf. Als Beerdingungsklamotten sucht sie sich das schrillste aus, das Elikos Kleiderschrank hergibt: Ein lila Jacket und gelbe Hosen. Überhaupt kommt mit der urbanen Moe Unruhe ins Dorf. Allmählich erfahren wir immer mehr Details aus der Vergangenheit der Dorfmenschen. Ein Netz von Lügen, voller Falschheit und verdrängter Gefühle tritt zu Tage. Fleshka findet in der ungewöhnlichen Moe eine neue Freundin. Gemeinsam brechen sie das Schweigen, das das Dorf über viele Jahre prägte – und gemeinsam decken sie die tragischen Hintergründe – von Elikos verstecktem Liebesleben mit Amnon…
Die Bewohner des Dorfes scheinen zunächst ganz normale Dörfler zu sein, etwas konservativ, aber anscheinend durchaus liebenswürdig. Doch im Lauf der Geschichte bricht immer mehr durch, dass sie von Hass und Abneigung gegen alles geprägt sind, was scheinbar nicht ins Dorfleben hineinpasst. Diese Abneigung stellt sich als eine durch die tiefe Religiosität der Menschen genährte Homophobie heraus.
Über weite Strecken ist „Wet Sand“ ein melancholisches, bedrückendes Stück Erzählkino. Als es um die Beerdigung des alten Eliko geht, kommt eine leise Spur schwarzen Humors dazu. Weil Selbstmörder nicht regulär begraben werden, habe ein paar Leute aus dem Dorf das Grab ausgehoben. Leider zu kurz, der Sarg passt nicht ganz hinein. Doch schnell bricht die Boshaftigkeit der verlogenen homophoben Dorfbewohner mit ihrem Hass gegen den außergewöhnlichen Außenseiter Eliko wieder durch.
Auch wenn „Wet Sand“ am Ende ein paar Kurven zu viel nimmt, und sanft ins Groteske und Melodramatische gleitet, so ist es trotz allem ein wichtiges Fanal, ein Manifest gegen Homophobie, gegen den Hass gegen alles Queere. „Wet Sand“ feiert die AußenseiterInnen der georgischen Provinz – und alles in allem ist da auch der Ausflug ins Groteske gegen Ende des Films gut untergebracht.
Trotz allem zeichnet sich am Ende Hoffnung ab – und symbolisch ist an den Ufern des Schwarzen Meeres in zarten Andeutungen eine angedeutete, regenbogenfarbene Lichterscheinung zu erkennen. Ist man im falschen Moment unaufmerksam, verpasst man sie. „Die Realität“, sagt Elene Naveriani jedoch, „ist dramatischer und grausamer als im Film dargestellt. Jeden Tag passiert etwas, das zeigt, dass man in Georgien nicht lieben und zusammenleben darf, wenn man nicht der Norm entspricht. Deshalb schlage ich etwas Drastisches am Ende des Films vor. Auch wir haben einen Ort, an dem wir sein dürfen und wir werden da sein, aber der Weg dorthin wird lang sein.“
Elene Naveriani gelingt es, die AußenseiterInnen der Geschichte voller Wärme, Eigenwillen, mit all ihren verqueren Ecken und Kanten zu zeigen. Aber auch die in der Tradition und Homophobie verhafteten Dorfbewohner sind nicht eindimensional, sie machen in der Geschichte eine Entwicklung durch, von scheinbar ganz normalen Nachbarinnen und Nachbarn hin zu rücksichtslosen, von Hass geprägten Menschen, die mit der Andersartigkeit jener Außenseiterfiguren nicht zurechtkommen. Und wir, die ZuschauerInnen, bekommen auch Erklärungen und Gründe für die Entwicklung solchen Hasses angedeutet – die in tiefer Vergangenheit begründete Engstirnigkeit, religiöse Verblendung, fehlende Vielfalt und Einflüsse usw. „In meiner Art von Kinomachen versuche ich, das Unsichtbare sichtbar zu machen, unhörbaren und untergeordneten Stimmen Gehör zu verschaffen und Randexistenzen in den Mittelpunkt zu rücken. Meine Art von Filmschaffen ist vor allem eine Sprache des Widerstands gegen das Leugnen und Vergessen“, erklärt Elene Naveriani.
Dass „Wet Sand“ zu einem solch berührenden, überzeugenden Film geworden ist, liegt nicht zuletzt auch am Cast des Films, der vor allem aus TheaterschauspielerInnen und LaiendarstellerInnen besteht. Insbesondere Gia Agumava, der die Rolle des Amnon spielt, bleibt einem in Erinnerung. Elene Naveriani erläutert den Castingprozess mit ihm: „Die Schwierigkeiten beim Casting waren für mich auch das Zeichen, wie wichtig es war, diesen Film an diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt zu machen. Ich hatte keine Ahnung, wo ich den Hauptdarsteller für die Rolle von Amnon finden sollte, aber schließlich stieß ich auf einen Lateinprofessor an der Universität. Ich mochte ihn, seine Sensibilität, seine Gestik, seine Bewegungen – er entsprach genau meinen Wunschvorstellungen. Er sagte zu, trotz seiner Angst mitzumachen, denn er hatte eine ähnliche Erfahrung hinter sich.“
„Wet Sand“ erzählt eine intime, persönliche, emotionale Geschichte, die Spuren aus der Vergangenheit, der Tradition in der Provinz, der religiösen Verblendung aufdeckt, die in der Historie eines solchen Dorfes begründet liegt. Der Film weist aber auch darüber hinaus. In einem Interview erklärt Elene Naveriani auf die Frage danach, welche Rechte LGBTQ+-Menschen in Georgien haben: „Keine. Die queere Gemeinschaft ist andauernder Repression ausgesetzt. Die Kirche spielt dabei eine Rolle, aber auch die allgemeine geopolitische Situation: Politisch richtet sich Georgien in jeder Hinsicht nach den Entscheidungen Russlands, so auch in LGBT-Fragen. Das kleine Land ist der Wucht des Kolonialismus, des Einflusses, der wirtschaftlichen Macht Russlands nicht gewachsen. Der Alltag von queeren Menschen ist heute sehr hart. Verbände und Alternativaktionen versuchen, sich zu organisieren, jedoch außerhalb des Gesetzesapparats, der eigentlich ihren Schutz gewährleisten sollte.“
„Follow your fucking dreams“ steht auf einer Jacke, die man im Film kurz sieht. Der Film will auch Hoffnung und Zuversicht verbreiten – und er ist eben auch ein Appell daran, seine Träume auszuleben.
Elene Naveriani (Regie & Co-Buch), geboren 1985 in Tiflis, Georgien, studierte von 2003 bis 2007 Malerei an der State Academy of Art in Tiflis. Während des Studiums war Elene im Kunstkollektiv LOTT tätig. 2011 folgte ein Masterabschluss in CCC (Critical Curatorial Cybermedia) an der HEAD (Haute École d’Art et de Design) in Genf, 2014 dann ein Bachelorabschluss in Film, ebenfalls an der HEAD, mit dem Kurzfilm „Gospel of Anasyrma“. 2016 gründete Elene die Produktionsfirma mishkin, um eine Plattform für unabhängiges Filmschaffen zu etablieren. Als erste Produktion von mishkin entstand 2017 Elenes Film „I am Truly a Drop of Sun on Earth“, der seine Premiere in Rotterdam feierte und auf mehreren Festivals ausgezeichnet wurde. Elenes Kunst erzählt Geschichten, die von der Gesellschaft vergessen und unterdrückt werden. Elene identifiziert sich als genderfluid und bevorzugt es, mit dem nicht-binären Pronomen „they“ bezeichnet zu werden. Elene arbeitet in Tiflis und wohnt in Bern.
WET SAND
Schweiz/Georgien 2021, 115 Minuten
KINOSTART (Deutschland): 24. NOVEMBER 2022
Cast
Moe: Bebe Sesitashvili
Amnon: Gia Agumava
Fleshka: Megi Kobaladze
Alex: Giorgi Tsereteli
Neli: Eka Chavleishvili
Dato: Zaal Goguadze
Spero: Kakha Kobaladze
Crew
Regie: Elene Naveriani
Buch: Sandro Naveriani, Elene Naveriani
Kamera: Agnesh Pakozdi
Set Design: Ketevan Nadibaize
Kostüme: Nino Injia
‚Make-up: Eka Chikhradze
Casting: Leli Miminoshvili
Schnitt: Aurora Franco Vögeli
Sound Design & Musik: Philippe Ciompi
Re-Recording Mix: Jacques Kieffer
Line Producer: Vladimer Chikhradze
Produzentinnen: Cornelia Seitler, Brigitte Hofer, Ketie Danelia
Filmografie Elene Naveriani
2013 „Father Bless Us“ (11 Min.)
2014 „Gospel of Anasyrma“ (29 Min.)
2017 „I Am Truly a Drop of Sun on Earth“ (61 Min.)
2018 „Lantsky Papa’s stolen ox“ (29 Min.)
2019 „Red Ants Bite“ (23 Min.)
2021 „Wet Sand“ (115 Min.)
ENGLISH VERSION
On the Black Sea coast, in a Georgian village. Amnon runs a small café, the Wet Sands, where people hang out and meet for the daily backgammon game. Fleshka is still collecting driftwood on the beach to heat her stove, she is late for work at Amnon’s café, but Amnon is in a very mellow mood. He is an extraordinarily good-natured fellow. Fleshka is in a good mood because maybe a buyer has been found for her house, which could give her hope that she will soon be able to leave the provinces. Meanwhile, news about the current status of the corona pandemic is running in the news. Even the stupid comments of the guests don’t put her in a good mood. Suddenly, over this banter, the village children come running down the beach: One of the neighbors, Eliko, is dead! He hung himself.
The village policeman investigates, the villagers are talking about Eliko, who he was, that his relatives live far away – and all in all he was lonely. And he had cancer, so he probably killed himself. One tears one’s mouth apart, most didn’t really like him, he thought he was something better and had a dislike for the simple villagers. But the good-natured Amnon puts in a good word for him. Eliko didn’t want anything bad and he was always a good guest. If nobody else does it, he would arrange a proper burial.
At night. Spero and Flehska are sitting on the beach. She looks at the starry sky, but she is disappointed, nobody came to buy her house. Dead Eliko’s granddaughter may be coming soon, Fleshka says. Spero knows her, the granddaughter’s name is Moe.
And Moe is coming soon too, from Tbilisi, the capital; she missed the bus, the taxi driver was an asshole. Amnon picks her up. Moe hasn’t been in the village for ages, and her mother is already dead. As a big-city creature, Moe is quite a stranger in the small village. For her funeral clothes, she chooses the flashiest thing that Eliko’s wardrobe has to offer: a purple jacket and yellow trousers. In general, the urban Moe brings unrest to the village. Gradually we learn more and more details from the past of the villagers. A web of lies, full of falsehoods and suppressed feelings emerges. Fleshka finds a new friend in the unusual Moe. Together they break the silence that has characterized the village for many years – and together they uncover the tragic background – of Eliko’s hidden love life with Amnon…
The inhabitants of the village seem to be normal villagers at first, a bit conservative, but apparently quite amiable. But as the story progresses, it becomes more and more apparent that they are characterized by hatred and dislike for everything that doesn’t seem to fit into village life. This aversion turns out to be homophobia fed by people’s deep religiosity.
For long stretches, „Wet Sand“ is a melancholic, depressing piece of narrative cinema. When it comes to the funeral of old Eliko, there is a slight trace of black humor. Because suicides are not buried regularly, a few people from the village dug the grave. Too short, the coffin doesn’t quite fit in. But the maliciousness of the lying, homophobic villagers quickly breaks out again with their hatred for the extraordinary outsider Eliko.
Even if “Wet Sand” takes a few curves too much at the end and gently slides into the grotesque and melodramatic, it is nevertheless an important beacon, a manifesto against homophobia, against hatred of everything queer. „Wet Sand“ celebrates the outsiders of the Georgian provinces – and all in all, the excursion into the grotesque towards the end of the film is well accommodated there.
Despite everything, there is hope in the end – and symbolically, a hinted, rainbow-colored light phenomenon can be seen in delicate hints on the shores of the Black Sea. If you’re not paying attention at the wrong moment, you’ll miss them. „The reality,“ says Elene Naveriani, however, „is more dramatic and cruel than portrayed in the film. Something happens every day that shows that in Georgia you are not allowed to love and live together if you do not conform to the norm. So I suggest something drastic at the end of the film. We too have a place where we are allowed to be and we will be there, but the road to get there will be long.”
Elene Naveriani succeeds in showing the outsiders of the story full of warmth, self-will, with all their twisted corners and edges. But the villagers, who are stuck in tradition and homophobia, are not one-dimensional either, they go through a development in history, from seemingly completely normal neighbors to ruthless people shaped by hatred, who deal with the otherness of those outsiders figurs can’t get along. And we, the viewers, are also hinted at explanations and reasons for the development of such hatred – narrow-mindedness rooted in the deep past, religious delusion, lack of diversity and influences, etc. “In my way of making cinema, I try to make the invisible visible, the inaudible and subordinate voices to be heard and to bring the marginalized into the spotlight. My way of making films is above all a language of resistance to denial and forgetting,” explains Elene Naveriani.
The fact that „Wet Sand“ has become such a touching, convincing film is not least due to the cast of the film, which consists primarily of theater actors and amateur actors. Gia Agumava, who plays the role of Amnon, is particularly memorable. Elene Naveriani explains the casting process with him: „For me, the difficulties with the casting were also a sign of how important it was to make this film in this place and at this time. I had no idea where to find the lead actor for the role of Amnon, but eventually I found a Latin professor at the university. I liked him, his sensitivity, his gestures, his movements – he was exactly what I wanted. He agreed to participate despite his fears as he had had a similar experience.”
„Wet Sand“ tells an intimate, personal, emotional story that uncovers traces of the past, of provincial tradition, of the religious blindness that lies in the history of such a village. But the film goes beyond that. In an interview, when asked what rights LGBTQ+ people have in Georgia, Elene Naveriani explains: “None. The queer community faces constant repression. The church plays a role here, but so does the general geopolitical situation: Politically, Georgia follows Russia’s decisions in every respect, including LGBT issues. The small country is no match for the force of Russia’s colonialism, influence or economic power. The everyday life of queer people is very hard today. Associations and alternative actions are trying to organize themselves, but outside of the legal apparatus that is supposed to guarantee their protection.”
„Follow your fucking dreams“ is written on a jacket that is briefly seen in the film. The film also wants to spread hope and confidence – and it is also an appeal to live out your dreams.
Elene Naveriani (director & co-writer), born in 1985 in Tbilisi, Georgia, studied painting at the State Academy of Art in Tbilisi from 2003 to 2007. During her studies, Elene worked in the art collective LOTT. This was followed in 2011 by a master’s degree in CCC (Critical Curatorial Cybermedia) at HEAD (Haute École d’Art et de Design) in Geneva, and in 2014 a bachelor’s degree in film, also at HEAD, with the short film „Gospel of Anasyrma“. In 2016 Elene founded the production company mishkin to establish a platform for independent filmmaking. Mishkin’s first production was Elene’s film „I am Truly a Drop of Sun on Earth“ in 2017, which premiered in Rotterdam and received awards at several festivals. Elene’s art tells stories that are forgotten and suppressed by society. Elene identifies as gender fluid and prefers to be referred to with the non-binary pronoun „they“. Elene works in Tbilisi and lives in Bern.