THE HOMES WE CARRY beim DOK LEIPZIG

THE HOMES WE CARRY by Brenda Akelele Jorde

ENGLISH VERSION BELOW

Dicht folgt die Kamera einem Mann in einfachen, ärmlichen Kleidern, der eine DDR-Fahne trägt, eine einfache Melodie ertönt darüber, der Hintergrund ist in der Unschärfe kaum zu erkennen, es scheint in einer afrikanischen Stadt zu sein, vielleicht eine Demonstration? Menschen halten Schilder in die Höhe, man kann nicht lesen, was draufsteht.

So beginnt Brenda Akelele Jordes Dokumentarfilm THE HOMES WE CARRY. Jorde ist Jahrgang 1993, stammt aus Hamburg, während ihres Medienwissenschaftsstudium an der Uni Potsdam entstand ihr Interesse am Dokumentarfilm. Ihr Abschlussfilm in Potsdam hieß „VA-BENE“, weltweit wurde er auf Festivals gezeigt. Daraufhin begann sie Dokumentarfilmregie in Babelsberg zu studieren. In ihren Filmen, die sie an der Uni drehte – A WAY OF BREATHING (2020) im Iran und STICK OF JOY (2020) in Berlin, beschäftigt sie sich mit Selbstermächtigung durch Kunst, Queerness und den Auswirkungen von Migration. THE HOMES WE CARRY, der am Dokumentarfilmfestival in Leipzig zu sehen ist, ist ihr Dokumentarfilmdebüt und Abschlussprojekt an der Universität.

Wir befinden uns in Springs, einer mittelgroßen Stadt in Südafrika, unweit von Johannesburg. Wir begleiten einen Mann, Eulidio, der dort ein einfaches Restaurant betreibt, mit Kunden, die für ihre Kinder oft das Essen nicht komplett bezahlen können, manchmal drückt er ein Auge zu. Aus Mosambik stammt er, erzählt er, kam zum Geldverdienen nach Südafrika, war auch mal in Deutschland gewesen. „Einen großen Teil meines Lebens war ich weit weg von meiner Familie“, erzählt er. „Irgendwann fühlt sich das normal an, auch wenn es nicht normal ist.“ Und dann sehen wir Filmausschnitte aus DDR-Zeiten (wir erinnern uns an die DDR-Fahne am Anfang des Films) – wie Erich Honecker DDR-fahnenschwingenden Menschenmassen am Straßenrand zuwinkt, während Eulidio weitererzählt, von der Zusammenarbeit zwischen Mosambik und der DDR, die es einst gegeben hat. Junge Mosambikaner konnten sich für eine Ausbildung in der DDR bewerben – beide Länder waren damals sozialistisch. Man wollte sich gegenseitig helfen. Also bestiegen viele junge (vor allem) Männer das Flugzeug nach Ostberlin, bekamen dort eine Ausbildung, fanden sich ins ostdeutsche Leben ein, lernten DDR-Bürgerinnen kennen, usw. Sie mussten in Schlafunterkünften wohnen, lebten dort wie in Großfamilien. Und dann begegnete Eulidio Ingrid, sie werden ein Paar, Ingrid wird schwanger. Die Idee, in der DDR Mosambikaner auszubilden war gut, sagt Eulidio, aber alles in allem funktionierte es nicht. Viele erhielten eine Ausbildung, mit der sie in der Heimat nichts mehr anfangen konnten. Eulidio arbeitete beim Bau des Kernkraftwerks in Lubmin in der Nähe von Greifswald, erzählt er.

THE HOMES WE CARRY by Brenda Akelele Jorde

Und dann änderte sich plötzlich alles: 1989, der Mauerfall. „Arbeitslos – auf Null Stunden gesetzt“ wurden Eulidio und viele andere Mosambikaner. Und mit arbeitslosen Mosambikanern wollte man sich nicht abgeben – sie mussten zurück. Eulidio musste seine schwangere Ingrid zurücklassen. Der Plan war eigentlich, dass er wiederkommt und sich um seine neue Familie kümmert. Doch das würde schwerer werden, als er glaubt…

Und nun kommen wir zurück zur Demonstration am Anfang: Die findet nämlich in Maputo, der Hauptstadt von Mosambik statt. Und es ist eine Demo von lauter älteren Männern, nämlich von jenen Leiharbeitern, die von Mosambik in die DDR geschickt worden waren, dann mit dem Mauerfall zurückkehren mussten – und schließlich allein gelassen wurden. „Madgermanes“ nennen sie sich. 44 Jahre hätte sie ihre Regierung im Stich gelassen, ruft ein Mann mit Plakat und Deutschland-Hosenträgern. „Schluss damit“, ruft er – auf Deutsch. „Madgermanes – Bewegung der an den Rand gedrängten“ steht auf einem Banner. Sie werfen sowohl Mosambik als auch Deutschland vor, sie einfach allein gelassen zu haben. Niemand habe sich um ihre Probleme gekümmert. Viele hatten ihren Lohn nicht bekommen. Dass ihre Ausbildung in Mosambik von Nutzen sei, sei eine Lüge gewesen. Manche waren gezwungen, ihre Familien, die sie in der DDR gegründet hatten, im Stich zu lassen, obwohl sie das nie wollten. Ihre verzweifelten Versuche, ihre Kinder zu sehen, scheiterten. Der Kontakt brach ab, Briefe mit Geld aus Deutschland wurden bereits in der Post gestohlen. Viele wissen nichts über ihre Kinder. Sie befürchten, dass die Kinder dachten, dass ihre Väter nichts mit ihnen zu tun haben wollen. Und nach Deutschland zu reisen kann sich keiner leisten. Selbst die Nachbarn in Mosambik wollten mit den Männern nichts mehr zu tun haben, weil sie glaubten, dass sie bevorzugt worden wären. So blieben viele arbeitslos.

Eulidio erzählt, wie seine Tochter Sarah geboren wurde, er aber nicht dort sein durfte. Ingrid schickte ihm immerhin Bilder, das Fotoalbum mit diesen Bildern ist ein Schatz für ihn. Einmal kam eine Locke, die er bis heute hat.

Und nun erzählt Sarah, die inzwischen selbst Mutter geworden ist. Wie sie in ihrer Kindheit spielte, einen Fantasievater zu haben. Mit ihrem Vater, glaubt sie, hätte sie sich besser gefühlt. „Es gäbe einfach einen schwarzen Menschen in meinem Leben. Es ist einfach was Anderes, wenn dir eine weiße Frau mit glatten Haaren erzählt: Du bist so gut wie du bist, ich liebe dich so wie du bist.“ Es geht um Sarahs Rassismuserlebnisse, die sie mit niemandem teilen konnte, dem es genauso ging. Meistens war sie die einzige mit dunkler Haut. Als Jugendliche reiste sie dann einmal nach Mosambik und Südafrika, was ein wundervolles Erlebnis war, unter lauter Schwarzen Menschen, mit 11 lernte sie endlich ihren Vater kennen, in Mosambik küsste sie sogar, erzählt sie, das erste Mal einen Jungen. Mit 25 war sie sogar anderthalb Jahre in Mosambik, für ein freiwilliges soziales Jahr. Sie lernte ihren Vater richtig kennen, wurde in seine Familie integriert und kehrte nach anderthalb Jahren – schwanger – nach Deutschland zurück. Der Vater der kleinen Luana ist Eduardo und da wiederholt sich ein bisschen die Geschichte – er war bei der Geburt nicht dabei, hat seine Tochter auf Fotos kennengelernt – und er lebt weiterhin in Mosambik.

Sarah muss ihre Situation nun finden – mit ihrer Familie zwischen Mosambik, Südafrika und Deutschland, wo will sie hin, wie will sie leben, wo gehört sie hin, wie hat ihre Familiengeschichte sie geprägt? Wie deutsch ist sie, wie afrikanisch? Der kleinen Luana soll es einmal anders gehen als Sarah selbst: Sie soll einen Vater haben, aber sie soll auch nicht wegen ihrer Hautfarbe belästigt, gemobbt oder gar rassistisch beleidigt werden.

THE HOMES WE CARRY by Brenda Akelele Jorde

THE HOMES WE CARRY erzählt die berührende Geschichte einer Familie über die Jahrzehnte hinweg, über das Leben in Deutschland und das Leben in Afrika. 20.000 Mosambikanerinnen und Mosambikaner waren damals in der DDR, viele wurden um ihr Geld betrogen – und vor allem hat sich niemand für sie interessiert, weder in Mosambik noch in Deutschland. Sarahs Erzählungen stehen stellvertretend für die Erlebnisse vieler afrodeutscher Kinder, die sich in ihrer Haut unwohl fühlten und die für ihre Hautfarbe stigmatisiert wurden. Doch Eduardo fällt die Rolle des Vaterseins auch nicht leicht, auch hier stoßen wieder kulturelle Unterschiede zwischen Deutschland und Mosambik aufeinander.

Die Regisseurin erzählt: „Bei den Recherchen für den Film bin ich vielen gebrochenen und traumatisierten afrodeutschen Familienmitgliedern begegnet, die das Ende der DDR mit sich brachte. Wie viele andere versteht auch Sarah irgendwann, dass Afrodeutschsein kein Widerspruch, nicht falsch und ungewollt ist, sondern eine Bereicherung und ein wundervolles Geschenk. Die Geschichte von Sarahs Familie zu zeigen, bedeutet, afro-deutsche Identität über Generationen hinweg sichtbar und emotional begreifbar zu machen.“

THE HOMES WE CARRY by Brenda Akelele Jorde

Brenda Akele Jorde gelingt es mit diesem wichtigen Film auf wundervolle Weise, auf ein fast vergessenes Kapitel deutsch-afrikanischer Geschichte hinzuweisen – und dies mit einer persönlichen, emotionalen und berührenden Geschichte. „Als Tochter eines afrodeutschen Paares interessiere ich mich für die Geschichten und Ursprünge anderer afrodeutscher Familien“, sagt die Regisseurin. „Diese sind in Deutschland weitgehend unbekannt oder unsichtbar. Das führt dazu, dass wir weniger als Teil der deutschen Gesellschaft gesehen werden und uns weniger als Teil fühlen können.“

Sehenswert.

THE HOMES WE CARRY erlebt beim DOK Leipzig (17.-23. Oktober 2022) seine Weltpremiere. Bei der Premiere am 18. Oktober 2022 wird neben der Regisseurin und dem Filmteam auch die Protagonistin Sarah aus Berlin anwesend sein.

Vorführungen während des DOK Leipzig:

Di., 18.10.2022, 12.30 Uhr, CineStar 2

Mi., 19.10.2022, 18.00 Uhr, Cinématèque

Fr., 21.10.2022, 20.30 Uhr, Passage Kinos, Astoria

Der Film auf der DOK Leipzig-Webseite:

https://www.dok-leipzig.de/film/homes-we-carry/programm

THE HOMES WE CARRY

Regie/director: Brenda Akele Jorde
Co-Regie/co-director: David-Simon Groß, Malte Wandel
Bildgestaltung/cinematography: David-Simon Groß
Montage/editing: Laura Espinel
Ton/sound: Till Aldinger, Brenda Akele Jorde, André Estevão Bahule
Sound design: Jakob Mäsel
Mischung/re-recording mixer: Manuel Meichsner
Filmmusik/original score: Lenna Bahule
Producer*in/producer: Florian Schewe, Miriam Henze
Produktion/production company: Film Five GmbH
Koproduktionsfirma/co-production company: Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF, Rundfunk Berlin-Brandenburg
Broadcaster: Rundfunk Berlin-Brandenburg
Redaktion/commissioning editor: Rolf Bergmann

THE HOMES WE CARRY by Brenda Akelele Jorde

ENGLISH VERSION

The camera closely follows a man in simple, poor clothes, carrying a GDR flag, a simple melody sounds above, the background can hardly be seen in the blur, it seems to be in an African city, maybe a demonstration? People hold up signs, you can’t read what’s on them.

This is how Brenda Akelele Jorde’s documentary THE HOMES WE CARRY begins. Jorde was born in Hamburg in 1993. Her interest in documentary film arose while she was studying media studies at the University of Potsdam. Her graduation film in Potsdam was called „VA-BENE“ and it was shown at festivals worldwide. She then began to study documentary film directing in Babelsberg. In her films, which she shot at university – A WAY OF BREATHING (2020) in Iran and STICK OF JOY (2020) in Berlin, she deals with self-empowerment through art, queerness and the effects of migration. THE HOMES WE CARRY, which can be seen at the documentary film festival in Leipzig, is her documentary film debut and final project at the university.

We are in Springs, a medium sized city in South Africa not far from Johannesburg. We accompany a man, Eulidio, who runs a simple restaurant there, with customers who often cannot pay for their children’s meals in full, sometimes he turns a blind eye. He comes from Mozambique, he says, came to South Africa to earn money and had also been to Germany once. „I’ve been away from my family for a large part of my life,“ he says. „At some point it feels normal, even if it’s not normal.“ And then we see film excerpts from GDR times (we remember the GDR flag at the beginning of the film) – how Erich Honecker waves at the GDR flag-waving crowds on the side of the road , while Eulidio continues to talk about the cooperation between Mozambique and the GDR that once existed. Young Mozambicans could apply for an apprenticeship in the GDR – both countries were socialist at the time. They wanted to help each other. So many young (mainly) men boarded the plane to East Berlin, got an education there, got used to East German life, got to know East German women, etc. They had to live in dormitories, lived there like in extended families. And then Eulidio met Ingrid, they became a couple, Ingrid became pregnant. The idea of ​​training Mozambicans in East Germany was a good one, says Eulidio, but all in all it didn’t work. Many received an education that they could no longer do at home. Eulidio worked on the construction of the nuclear power plant in Lubmin near Greifswald, he says.

THE HOMES WE CARRY by Brenda Akelele Jorde

And then everything suddenly changed: 1989, the fall of the Berlin Wall. Eulidio and many other Mozambicans were “unemployed – set to zero hours”. And they didn’t want to deal with unemployed Mozambicans – they had to go back. Eulidio had to leave his pregnant Ingrid behind. The plan was actually that he would come back and take care of his new family. But that would be harder than he thought…

And now we come back to the demonstration at the beginning: It is taking place in Maputo, the capital of Mozambique. And it is a demonstration of nothing but older men, namely those temporary workers who were sent from Mozambique to the GDR, then had to return when the Wall came down – and were finally left alone. They call themselves „Madgermanes“. A man with a poster and wearing Germany suspenders exclaims that her government has let her down for 44 years. „Stop it,“ he calls – in German. „Madgermanes – Movement of the Marginalized“ reads a banner. They accuse both Mozambique and Germany of simply leaving them alone. Nobody took care of their problems. Many had not received their wages. It was a lie that her training in Mozambique was useful. Some were forced to abandon the families they had started in East Germany, although they never wanted to. Her desperate attempts to see her children failed. The contact broke off, letters with money from Germany were already stolen in the mail. Many know nothing about their children. They fear the children think their fathers don’t want anything to do with them. And nobody can afford to travel to Germany. Even the neighbors in Mozambique wanted nothing more to do with the men because they believed that they had been given preferential treatment. So many remained unemployed.

Eulidio tells how his daughter Sarah was born but he wasn’t allowed to be there. At least Ingrid sent him pictures, the photo album with these pictures is a treasure for him. Once came a curl that he has to this day.

And now Sarah, who has now become a mother herself, tells the story. How she played about having a fantasy dad in her childhood. With her father, she thinks she would have felt better. „There was just one black person in my life. It’s just something different when a white woman with straight hair tells you: You are as good as you are, I love you as you are.“ It’s about Sarah’s experiences of racism, which she couldn’t share with anyone who felt the same way. Most of the time she was the only one with dark skin. As a teenager she traveled to Mozambique and South Africa, which was a wonderful experience, among all black people, at the age of 11 she finally met her father, in Mozambique she even kissed a boy for the first time, she says. At the age of 25 she even spent a year and a half in Mozambique for a voluntary social year. She really got to know her father, was integrated into his family and returned to Germany after a year and a half – pregnant. Little Luana’s father is Eduardo and history repeats itself a bit – he wasn’t present at the birth, met his daughter through photos – and he still lives in Mozambique.

Sarah has to find her situation now – with her family between Mozambique, South Africa and Germany, where does she want to go, how does she want to live, where does she belong, how has her family history shaped her? How German is she, how African? Things should be different for little Luana than Sarah herself: she should have a father, but she shouldn’t be harassed, bullied or even racially insulted because of the color of her skin.

THE HOMES WE CARRY tells the touching story of a family over the decades, about life in Germany and life in Africa. At that time, 20,000 Mozambicans were in the GDR, many were cheated out of their money – and above all, no one was interested in them, neither in Mozambique nor in Germany. Sarah’s stories are representative of the experiences of many Afro-German children who felt uncomfortable in their own skin and who were stigmatized because of their skin color. But Eduardo doesn’t find the role of father easy either, here too there are cultural differences between Germany and Mozambique.

The director says: “During the research for the film, I met many broken and traumatized Afro-German family members who were affected by the end of the GDR. Like many others, Sarah also understands at some point that being Afro-German is not a contradiction, not wrong and unwanted, but an enrichment and a wonderful gift. Showing the story of Sarah’s family means making Afro-German identity visible and emotionally comprehensible across generations.”

With this important film, Brenda Akele Jorde succeeds in a wonderful way in pointing out an almost forgotten chapter of German-African history – and this with a personal, emotional and touching story. „As the daughter of an Afro-German couple, I’m interested in the stories and origins of other Afro-German families,“ says the director. “These are largely unknown or invisible in Germany. As a result, we are seen less as part of German society and are less able to feel part of it.”

Worth seeing.

Director Brenda Akelele Jorde (c) David-Simon Groß

THE HOMES WE CARRY will have its world premiere at DOK Leipzig (October 17-23, 2022). At the premiere on October 18, 2022, the protagonist Sarah from Berlin will be present in addition to the director and the film team.

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