ENGLISH VERSION BELOW
„Sie sind ja Französin!“ wird die 25-jährige Freddie (Park Ji-Min) im Hotel in Seoul von der jungen Rezeptionistin Tena (Guka Han) begrüßt. Zwei Wochen will Freddie in Korea verbringen, alles will sie sehen, aber eigentlich weiß sie genau gar nichts über Korea – denn eigentlich wollte sie nach Japan, doch ihre Flüge wurden storniert. Und nun will sie, wo sie schon einmal da ist, ihre koreanischen Wurzeln erforschen. Sie wurde nämlich in dem Land geboren, wurde aber schon als kleines Kind von einem französischen Paar adoptiert. Prompt freundet sie sich mit Tena, der Rezeptionistin an, geht mit ihr und deren Freund Dongwan essen, der des Französischen mächtig ist, schließlich hat er einst vergleichende Literaturwissenschaften studiert – und stößt schon auf die ersten Hürden zwischen ihrer französischen und der koreanischen Kultur. Zunächst sind das nur kleine, aber vielleicht nicht ganz unwichtige Details, wie das Benehmen am Tisch. Man schenkt, erfährt Freddie, sich zum Beispiel das Trinken nicht selbst ein. Das würde die anderen am Tisch bloßstellen.
Das Einzige, was Freddie noch aus Korea hat, ist ein verschwommenes Foto von ihr auf dem Arm ihrer leiblichen Mutter. Mehr weiß sie nicht, mehr hat sie nicht. Tena und Dongwan legen ihr nahe, sie könnte sich doch auf die Suche nach ihren Eltern machen, was überhaupt nicht Freddies Plan war. Aber im koreanischen Fernsehen gab es wohl schon öfters Reality-Formate, in denen es um die Suche nach den leiblichen Eltern von Adoptivkindern ging. Aber naja, das war eben nicht Freddies Plan.
Freddie schreitet zunächst mit ihrem Projekt voran, Einblicke in die koreanische Kultur zu erhalten – und das macht sie mit ihrer extrovertierten Art gleich ganz schön offensiv: Sie schnappt sich die anderen wildfremden jungen Männer und Frauen im Restaurant, setzt alle einen Tisch und fängt mit dem Austausch an. Der Alkohol fließt, der Abend ist lang, es werden koreanische Gesellschaftsspiele gespielt. Und prompt landet sie mit einem der Jungs in ihrem Hotelzimmer.
Neugierig geworden macht sie sich am nächsten Morgen auf den Weg nach dem berühmten Hammond Adoptionszentrum. Aber natürlich ist Freddie komplett unvorbereitet, sie hat ihre Akten nicht dabei, kennt ihr Aktenzeichen nicht, noch nicht einmal ihren Geburtsnamen. Dennoch versucht man ihr zu helfen. Auf der Rückseite ihres Kinderfotos ist eine Nummer notiert, und die hilft der Agentur, herauszufinden, wer sie ist, wer ihre Eltern sind und wie ihr Geburtsname ist. Freddie überfordert das alles, aber nun kann sie ein Telegramm an ihre Eltern schicken lassen, mit der Information, dass ihre Tochter mit ihnen Kontakt aufnehmen möchte. Und prompt meldet sich ihr Vater bei der Adoptionseinrichtung. Freddie erhält seine Telefonnummer. Doch was nun?
Tena ruft ihn für sie an – und kommt dann auch mit ihr mit in die Stadt Gunsan, in der ihr leiblicher Vater wohnt. Und auch ihre Großmutter ist da. Diese versucht ihr zu erklären, warum sie als Kind weggegeben wurde. Es waren schwierige Zeiten, Korea war noch ein armes Land, noch vom Koreakrieg geschädigt, viele Kinder wurden zur Adoption freigegeben. Ihr Vater (Oh Kwang-Rok) möchte ihr zeigen, wo er aufgewachsen ist, am Meer. Freddie ist ihm gegenüber noch sehr reserviert. Er ist ein einfacher Mann, interessiert sich für Freddie, und wie sie in Frankreich lebt. Er zeigt ihr den Ort am Meer, in dem er aufwuchs. Seine Vorfahren waren alle Fischer, auch er selbst war viele Jahre Fischer, bis der Damm gebaut wurde und seinem Beruf ein Ende gemacht wurde. Heute, erzählt er, repariert er Klimaanlagen. Auch von ihrer Mutter erzählt er, sie ist fortgezogen.
Freddie sollte schließlich nach einigen Tagen wiederkommen, ihre Neugierde war zu groß, mehr wollte sie erfahren, auch über ihre Mutter. Und auch Freddie will ihre Kindheitsfotos aus Frankreich vorzeigen. Wir erfahren immer mehr über die Vergangenheit ihres Herkunftslandes, über das Leben zu jener Zeit. Sie hört vom Schmerz, den ihr Vater immer darüber empfunden hatte, dass sie das kleine Kind weggeben mussten. Aber sie muss auch erfahren, dass ihr Vater mit ihrer eigenen Welt nicht viel zu tun hat. Er träumt davon, dass sie nach Korea zieht, aber er erkennt nicht, dass Freddie mit der kleinbürgerlichen, traditionellen Welt, in der er lebt, nichts anfangen kann. Und im Lauf der Zeit merkt Freddie, dass die Gräben zwischen ihr und der koreanischen Kultur groß sind. Und sie entdeckt, dass ihr Vater Alkoholiker ist und sich dann manchmal nicht im Griff hat. Aber dass sich ihre leibliche Mutter noch nicht gemeldet hat, schmerzt sie dennoch…
Die Geschichte ihres ersten Besuches in Korea nimmt ungefähr die Hälfte des Filmes ein, der aber, so viel sei verraten, noch weitere Jahre abdecken wird, in der sich Freddie dabei versucht zurechtzufinden, dass sie nun mehr über ihr Geburtsland und ihren Vater weiß. Ein bisschen verliert der Film durch die Streckung über einige Jahre an Geschlossenheit, ein kleines bisschen zerbricht die Handlung dadurch in zwei, drei Teile. Dennoch: RETURN TO SOUL ist ein bewegender, berührender aber auch spannender Film über die Phase eines Landes, das heute ein höchstmodernes, wohlhabendes Land ist – was es aber sehr lange nicht gewesen ist. Wir blicken in eine Vergangenheit, die noch weit vor der Geburt Freddies zurückliegt – und die eine tragische Vergangenheit ist.
Davy Chou, der französisch-kambodschanische Regisseur von RETURN TO SOUL, ist 1983 geboren und lebt sowohl in Asien als auch in Europa, nämlich in Phnom-Penh und Paris. RETURN TO SOUL ist sein zweiter abendfüllender Spielfilm, nach DIAMOND ISLAND aus dem Jahr 2016, sowie seinem Dokumentarfilm GOLDEN SLUMBERS aus dem Jahr 2011. Davy Chou erzählt, wie die Idee zu RETURN TO SOUL einst entstand, als er seinen Dokumentarfilm GOLDEN SLUMBERS in Busan in Südkorea beim berühmten Filmfestival zeigte. Eine koreanische Freundin, Laure Badufle, begleitete ihn, und ihre Figur und ihre Erlebnisse inspirierten Chou eben zur Geschichte dieses Films. Auch sie war als Einjährige von einer französischen Familie adoptiert worden, auch sie kam später zurück nach Südkorea und machte keine guten Erfahrungen bei der Begegnung mit ihrem leiblichen Vater. „Die Geschichte meiner Freundin, die jetzt übrigens eine Therapie für Adoptivkinder und -eltern anbietet, hat mich auf diese Spur gebracht“, erzählt Chou. „Ihr hartnäckiger und unberechenbarer Charakter hat mich inspiriert. Während ich das Drehbuch schrieb, habe ich ihr viele Fragen gestellt, denn ich bin weder eine Frau noch in Südkorea geboren – und adoptiert wurde ich auch nicht. Diese Distanz ließ mich an meiner Legitimität zweifeln, diese Geschichte adäquat erzählen zu können. Aber irgendwann öffnete sich eine Tür und ich fand mich in diesem Projekt wieder.“
Dass einen der Film so sehr beschäftigt und nicht so schnell wieder los lässt liegt nicht zuletzt auch an der Darstellerin der Protagonistin Freddie, die junge Schauspielerin Park Ji-Min. Eigentlich ist sie Bildhauerin, kam mit acht Jahren aus Südkorea nach Frankreich, hat also auch Verbindungen zu beiden Kulturen, zu beiden Sichtweisen. Sie ist nicht adoptiert. „Es war eindrucksvoll zu sehen, wie sie in der Lage war, die volle Bandbreite der Emotionen zwischen extremer Gewalttätigkeit und Verletzlichkeit, die Freddies Charakter kennzeichnen, auszudrücken“, beschreibt Chou das Casting mit ihr. „Park Ji-Min und ich entwickelten schnell eine vertrauensvolle Beziehung zueinander, auf deren Grundlage wir diese Zeit gemeinsam meistern konnten. Ich verstand, dass ich meine Perspektive ändern musste und das war sehr befreiend. Freddies Charakter ist das Ergebnis dieser Zusammenarbeit mit ihr auf gleicher Augenhöhe.“ Park Ji-Mins Darstellung prägt sich einem ein, ihre Figur ist unglaublich authentisch, aber auch sehr wandlungsfähig. Die Freddie, die wir in den späteren Jahren sehen, ist nicht mehr die Freddie, die wir bei ihrer Ankunft im Hotel in Seoul am Anfang erleben. Das zeigt die hervorragende Zusammenarbeit zwischen Regisseur und Hauptdarstellerin.
RETURN TO SOUL startet am 26. Januar 2023 in den deutschen Kinos. Empfehlenswert.
2022 Belgien / Deutschland, Frankreich, Qatar / 116 Min / Französisch, Koreanisch,
Englisch. In der Kinofassung für den deutschen Start ist Französisch synchronisiert, alle anderen Sprachen untertitelt.
CAST
Freddie PARK JI-MIN
Freddies koreanischer Vater OH KWANG-ROK
Tena GUKA HAN
Maxime YOANN ZIMMER
Großmutter HUR OUK-SOOK
Koreanische Tante KIM SUN-YOUNG
André LOUIS-DO DE LENCQUESAING
Lucie EMELINE BRIFFAUD
Kay-Kay LIM CHEOL-HYUN
Dongwan SON SEUNG-BEOM
Jiwan KIM DONG-SEOK
CREW
Regie und Drehbuch DAVY CHOU
Kamera THOMAS FAVEL
Musik JÉRÉMIE ARCACHE, CHRISTOPHE MUSSET
Schnitt DOUNIA SICHOV
Ausstattung SHIN BO-KOUNG, CHOI CHI-YOUL
Kostüme CLAIRE DUBIEN, YI CHOONG-YUN
Produzentinnen CHARLOTTE VINCENT, KATIA KHAZAK –
Aurora Films
Co-Produktion HANNEKE VAN DER TAS – Vandertastic, CASSANDRE WARNAUTS, JEAN-YVES
ROUBIN – Frakas Productions.
Weltpremiere: 75. Internationale Filmfestspiele von Cannes 2022 in der Sektion Un Certain Regard.
##
ENGLISH VERSION
„You’re French!“ 25-year-old Freddie (Park Ji-Min) is greeted at the hotel in Seoul by the young receptionist Tena (Guka Han). Freddie wants to spend two weeks in Korea, she wants to see everything, but she doesn’t really know anything about Korea – because she actually wanted to go to Japan, but her flights were cancelled. And now that she’s here, she wants to explore her Korean roots. She was born in the country but was adopted by a French couple when she was a young child. She promptly makes friends with Tena, the receptionist, goes out to eat with her and her friend Dongwan, who speaks French, after all he once studied comparative literature – and is already encountering the first hurdles between her French and Korean culture. At first, these are just small, but perhaps not entirely unimportant, details, such as how you behave at the table. For example, Freddie learns, you don’t pour yourself a drink yourself. That would expose the others at the table.
The only thing Freddie has from Korea is a blurry photo of her in her birth mother’s arms. That’s all she knows, that’s all she has. Tena and Dongwan suggest that she go find her parents, which was not Freddie’s plan at all. But on Korean television there have often been reality formats that deal with the search for the biological parents of adopted children. But well, that wasn’t Freddie’s plan.
Freddie initially proceeds with her project to gain insights into Korean culture – and with her extroverted nature she makes that quite offensive: She grabs the other complete strangers young men and women in the restaurant, all sits at a table and starts with them exchange on. The alcohol is flowing, the evening is long, Korean parlor games are being played. And promptly she ends up in her hotel room with one of the guys.
Curious, she sets out the next morning for the famous Hammond Adoption Center. But of course Freddie is completely unprepared, she doesn’t have her files with her, doesn’t know her file number, not even her birth name. Nevertheless, one tries to help her. A number is written on the back of her childhood photo, and it helps the agency find out who she is, who her parents are and what her maiden name is. Freddie is overwhelmed by all this, but now she can have a telegram sent to her parents with the information that their daughter wants to contact them. And her father promptly contacts the adoption center. Freddie gets his phone number. But what now?
Tena calls him for her – and then comes with her to the city of Gunsan, where her biological father lives. And her grandmother is there too. This tries to explain to her why she was given away as a child. Those were difficult times, Korea was still a poor country, still damaged by the Korean War, many children were put up for adoption. Her father (Oh Kwang-Rok) wants to show her where he grew up, by the sea. Freddie is still very reserved towards him. He’s a simple man, interested in Freddie and how she lives in France. He shows her the place by the sea where he grew up. His ancestors were all fishermen, he himself was a fisherman for many years until the dam was built and his profession was put to an end. Today, he says, he repairs air conditioning systems. He also talks about her mother, who has moved away.
Freddie was supposed to come back after a few days, she was too curious, she wanted to find out more, including about her mother. And Freddie also wants to show her childhood photos from France. We learn more and more about the past of their country of origin, about life at that time. She hears about the pain her father always felt about having to give away the little child. But she also has to learn that her father doesn’t have much to do with her own world. He dreams of her moving to Korea, but he doesn’t realize that Freddie doesn’t relate to the middle-class, traditional world in which he lives. And as time goes on, Freddie realizes that the rifts between her and Korean culture are wide. And she discovers that her father is an alcoholic and sometimes gets out of control. But it still hurts her that her birth mother hasn’t contacted her yet…
The story of her first visit to Korea takes up about half of the film, but we can tell it will cover years to come as Freddie tries to come to terms with the fact that she now knows more about her country of birth and her father. The film loses a little of its cohesion due to the stretching over a few years, and the plot breaks up a little bit into two or three parts as a result. Nevertheless: RETURN TO SOUL is a moving, touching but also exciting film about the phase of a country that is now a highly modern, prosperous country – which has not been the case for a very long time. We look into a past that goes back well before Freddie was born – and that is a tragic past.
Davy Chou, the French-Cambodian director of RETURN TO SOUL, was born in 1983 and lives in both Asia and Europe, namely in Phnom-Penh and Paris. RETURN TO SOUL is his second feature film, following 2016’s DIAMOND ISLAND and his 2011 documentary GOLDEN SLUMBERS. Davy Chou shares how the idea for RETURN TO SOUL came about while filming his documentary GOLDEN SLUMBERS in Busan in South Korea showed at the famous film festival. A Korean friend, Laure Badufle, went with him, and her character and experiences inspired Chou to create the story for this film. She was also adopted by a French family when she was a year old. She also came back to South Korea later and did not have a good experience meeting her biological father. „My friend’s story, who by the way now offers therapy for adoptive children and parents, put me on this track,“ says Chou. “I was inspired by her tenacious and unpredictable character. I asked her a lot of questions while I was writing the script because I’m not a woman, nor was I born in South Korea, and I wasn’t adopted. This distance made me question my legitimacy to tell this story adequately. But eventually a door opened and I found myself in this project.”
The fact that the film keeps you so busy and doesn’t let you go so quickly is not least due to the young actress Park Ji-Min, who played the protagonist Freddie. She is actually a sculptor, came to France from South Korea at the age of eight, so she has connections to both cultures, to both perspectives. She is not adopted. „It was impressive to see how she was able to express the full range of emotions that characterizes Freddie’s character, from extreme violence to vulnerability,“ Chou describes the casting with her. “Park Ji-Min and I quickly developed a trusting relationship that enabled us to get through this time together. I understood that I needed to change my perspective and that was very liberating. Freddie’s character is the result of working with her on an equal footing.” Park Ji-Min’s portrayal is memorable, her character is incredibly authentic, but also very versatile. The Freddie we see in the later years is no longer the Freddie we see when she first arrives at the hotel in Seoul. This shows the excellent cooperation between director and leading actress.
RETURN TO SOUL will be released in German cinemas on January 26, 2023. Recommended.