EIGHT POSTCARDS FROM UTOPIA beim go east Filmfestival

Gerade eben noch habe ich Radu Judes wunderbaren Film KONTINENTAL ’25 auf der Berlinale gesehen, diesem Obdachlosen- und Gentrifizierungsfilm, ich fand ihn großartig, andere hatten weniger positive Meinungen geäußert. Ich persönlich hatte das Werk Judes bei der Berlinale 2021 für mich entdeckt, als ja sein BAD LUCK BANGING OR LOONY PORN den Goldenen Bären gewonnen hat. Seinen Film AFERIM!, der ihm schon 2015 einen Silbernen Bären eingebracht hat, hatte ich jedoch verpasst, bis heute übrigens.

Seinen neuen Film, EIGHT POSTCARDS FROM UTOPIA hat er gemeinsam mit Christian Ferencz-Flatz gedreht, er wird beim goEast Filmfestival in drei Vorstellungen zu sehen sein:

  • Caligari FilmBühne Do, 24.04. / 21:00 Uhr
  • Apollo Kino-Center Fr, 25.04. / 17:15 Uhr
  • DFF, Frankfurt So, 27.04. / 18:00 Uhr

Bunt hintereinander montiert zeigt der Film unzählige Werbefilme aus dem postsozialistischen Rumänien, Filmchen, die geprägt sind vom Übergang vom Kommunismus zur Marktwirtschaft. In acht Kapiteln, den titelgebenden „Postkarten“ geht es Jude und Ferencz-Flatz um acht große Themen, die aus dem Leben gegriffen sind: Die Liebe und den Tod, den menschlichen Körper und seine Zerbrechlichkeit, die Natur und das Übernatürliche.

Das erste Kapitel ist überschrieben mit „Die Geschichte der Römer“, genau genommen geht es um allerlei historisch Zeiten, das alte Rom, Griechenland, Mittelalter etc.: ein martialischer Pepsi-Spot, Schnaps-, Deo-, Kopierer-Werbung; Wurst-, Fleisch- und Onlinespielclips. Faszinierend wie unterschiedlich die einzelnen Ausschnitte von ihrer Qualität sind: von Kinoqualität bis zum peinlichen selbstgedrehten Fremdschämwerbespot. Vermutlich ist das für alle jene, die in Rumänien aufgewachsen sind, noch viel lustiger, weil sie einen Teil der Spots wahrscheinlich kennen. Lustig, dass gleich in mehrere Spots Bezug auf deutsche Tugenden genommen wird.

Zwischendurch erinnert das an die Cannes-Rolle, die ich nie gesehen habe, nur in schlecht. Skurril, wie schlecht Werbung sein kann. Sprung zu Kapitel zwei: „Money talks“ heißt das. Sehr schräg, wie TV-Werbung in vergangenen versucht hat, Rumäninnen und Rumänen zu Finanzgeschäften zu überreden. Etwa jener Spot, wo der mittelsympathische Moderator immer wieder „Wir alle sind bestrebt, Ihr Geld zu vermehren“ in unterschiedlichsten Betonungen und Aussprachen wiederholen soll, Dutzende Male, nie ist man zufrieden. Die Geldstapel in den Werbesports wachsen ins Unermessliche, vermutlich Anspielungen auf Inflationszeiten.

Großer Sprung, Kapitel acht heißt „Maskulin Feminin“, mam ahnt es: Die Welt der Geschlechter lässt viele Möglichkeiten des Fremdschämens zu. Und ist der Rest der Werbung schon schlecht gealtert, gilt dies hier in besonderem Maße: halbnackte Frauen auf Autos, Männer mit Knarren, Nummerngirls im Boxring, Geschlechterklischees am Badestrand.

„EIGHT POSTCARDS FROM UTOPIA macht das fiktive und oft skurrile Medium der Werbeclips zum Vergrößerungsglas für die Wünsche, Überzeugungen, Hoffnungen und Ängste der Gesellschaft“, schreibt der Festivaltext. „Zwischen Found Poetry und veralteter Enzyklopädie, zwischen Trash-Kunst und Aquins Summa theologiae: Der Experimentalfilm versteht sich als urkomische und gnadenlose Abrechnung mit der metakapitalistischen Mythologie. Nationalstolz trifft auf Konsumkultur in diesem unkonventionellen Werk. Das Ergebnis ist ein einzigartiges Zeitdokument, das den Einzug des Kapitalismus in Rumänien, mit all seinen Verheißungen, beleuchtet.“

EIGHT POSTCARDS FROM UTOPIA macht Spaß, nervt manchmal, ist aber auch ein zeitgeschichtliches Dokument, erzählt viel vor allem über die 1990er Jahre in Rumänien. Aber ich vermute, dass der Spaß für Menschen aus Rumänien, die diese Zeit vor dem rumänischen Fernseher verbracht haben, um ein Vielfaches höher ist.

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