Deutsche Genrefilme der 1970er in der Retrospektive der Berlinale 2025

© Internationale Filmfestspiele Berlin / Claudia Schramke, Berlin, Key Visual 2025

EINER VON UNS BEIDEN
von Wolfgang Petersen, BRD 1974

Quelle: Deutsche Kinemathek, © Beta Film
 
Ortrud Beginnen, Jürgen Prochnow, Elke Sommer

Der gescheiterte Student Bernd Ziegenhals sucht vergeblich einen Verlag für seinen Roman. Zufällig entdeckt er, dass die Doktorarbeit des angesehenen Soziologie-Professors Kolczyk ein Plagiat ist. Ziegenhals beschließt daraufhin, Kolczyk zu erpressen. Der Professor geht zunächst auf die finanziellen Forderungen ein, warnt Ziegenhals jedoch, einer würde auf der Strecke bleiben. Kolczyk kann es nicht ertragen, von einem Erpresser abhängig zu sein, und beginnt, Ziegenhals zu beobachten. Er gibt sich als Onkel des Studenten aus und lernt Miezi, eine Freundin von Ziegenhals, kennen. Bei einem geplanten Treffen erscheint Miezi jedoch nicht, nachdem sie ein unangenehmes Treffen mit ihrem ehemaligen Zuhälter Kalle Prötzel hatte. Am nächsten Morgen wird Miezi tot aufgefunden, und ihre Ersparnisse sind verschwunden. Dies bringt sowohl Ziegenhals als auch Kolczyk in Schwierigkeiten…

Wolfgang Petersens erster Kinofilm ist bereits erstaunlich reif und gelungen, ich mochte diesen Genrefilm sehr. Die Besetzung ist grandios, insbesondere Klaus Schwarzkopf als Kolczyk bleibt in Erinnerung. Für mich ist das eine echte Entdeckung, ich kannte von den frühen Petersen-Filmen lediglich den Tatort: Reifezeugnis aus dem Jahr 1977 und dann Das Boot und Die unendliche Geschichte. Interessant aus meiner Sicht ist die Schlussszene, quasi ein ganz außergewöhnlicher Showdown auf der Baustelle des halbrunden Gropiushauses in Gropiusstadt – überhaupt erstaunlich, dass Gropiusstadt in der Berliner Filmgeschichte dann noch einmal in „Christiane F.“ stattfindet, aber dann eigentlich erst wieder in der Lobrecht-Verfilmung „Sonne und Beton“.

FREMDE STADT

von Rudolf Thome, BRD 1972

Franz Lerchenfeld, Bankangestellter, veruntreut zwei Millionen Mark aus einer Bank in Düsseldorf. Um seine Tat zu verdecken flieht er nach Afrika und taucht unter dem falschen Namen Philip Kramer wieder in Deutschland auf. Als er die Beute in München versteckt, zieht er seine Freundin Sybille und sein Sohn immer mehr in seine Machenschaften hinein.

„Rote Sonne“, zwei Jahre vorher ist vielleicht Thomes bekanntester Film, zumindest der, mit dem ich sein Werk kennen gelernt habe. Wie manche andere Filme dieser Reihe zeigt auch „Fremde Stadt“ wie sehr der deutsche Genrefilm der 70er unterschätzt wurde, vergleicht man dessen Bedeutung etwa mit den Film Noirs oder den Krimis aus Frankreich oder den USA aus derselben Zeit. Insbesondere Roger Fritz in der Hauptrolle bleibt in Erinnerung, er versucht sich irgenwo zwischen Alain Delon und Jean-Pierre Léaud einzusortieren. Es ist faszinierend zu beobachten, wie sich die Lebenspläne der beiden Protagonist*innen im Lauf des Films verschieben. Thome feilt immer wieder an einem eigenen, sehr persönlichen Genrestil.

BLUTIGER FREITAG

von Rolf Olsen | mit Raimund Harmstorf, Amadeus August, Gila von Weitershausen, Gianni Macchia, Christine BöhmBundesrepublik Deutschland / Italien 1972

„Blutiger Freitag“ von Rolf Olsen mit Raimund Harmstorf in der Hauptrolle beginnt sehr britisch, jazzig, cool – und schließlich mit einer drastisch-blutigen wie raffinierten Fluchtszene aus dem Gerichtsgebäude, wobei die überrumpelten, mit bayerischem Dialekt sprechenden Polizisten schon auch etwas Komisches haben. „Siehst du, was es ausmacht, wenn man einen methodischen Plan präzise ausführt“, freut sich der Befreite, Heinz. Er und sein italienischer Komplize, Luigi, haben Großes vor, doch der Überfall auf eine Münchner Bank mündet in eine Geiselnahme und Gewalt. Und dann ist da noch die blonde, schöne Freundin des „Itakers“, Heidi, und deren von der Bundeswehr desertierter Bruder Christian („Beim Barras lernt man, wie man Leute kaputt macht.“). Drastisch-blutig ist der deutsch-italienische „Giallo“ mit gesellschaftskritischem Hintergrund. Und für mich sehr interessant: der süddeutsche anti-italienische Rassismus der 70er, den der Film aufgreift, ein Phänomen, das ich in meiner Kindheit auch eingetrichtert bekam.

ROCKER

von Klaus Lemke | mit Hans-Jürgen Modschiedler, Gerd Kruskopf, Paul Lys, Marianne Mim, Heidrun Rieckmann

Bundesrepublik Deutschland 1972

Eine Rockergruppe holt einer der Ihren zur Freilassung am Knast ab. Zusammenhalt, Freundschaft, Gewalt, Rache. Ein Hamburger Rocker-Boss und ein jugendlicher Umhertreiber unterstützen sich gegenseitig in einem gewalttätigen Umfeld. „Rocker“ ist kein „Easy Rider“, auch wenn es in dessen Geist entstanden ist. Es ist ein kleiner schmutziger, authentischer Film, aber bei allem Dokumentarischen hat er auch Laienhaftes. Doch vielleicht erzählt er mit seinen Laiendarstellern sogar mehr von urbaner Subkultur und trägt weniger zur Mythisierung und zum Freiheitsnarrativ über gewalttätige Gangkultur bei, als Filme wie „Easy Rider“.

NICHT SCHUMMELN, LIEBLING!

Regie: Joachim Hasler

Sonnethal, im Ostharz, eine fiktive Kleinstadt im Herzen der DDR. Der Bürgermeister lässt nichts unversucht, den Ort – und sich selbst berühmter zu machen. Also wird die lokale Fußballmannschaft gefördert, was das Zeug hält. Und diese erhält so sehr Privilegien, dass man es kaum glauben mag. Da lohnt es sich doch, denkt sich empört die neue Schuldirektorin, eine Konkurrenzmannschaft zu gründen. Schrilles, buntes, gutgelauntes, manchmal etwas seichtes DDR-Musical.

Deutsche Demokratische Republik 1973

92 Min. Farbe

Regie: Joachim Hasler

Buch: Heinz Kahlow, Joachim Hasler

Kamera: Joachim Hasler, Peter Süring

Montage: Barbara Weigel

Musik: Gerhard Siebholz, Frank Schöbel, Gerd Natschinski

Ton: Peter Foerster

Szenenbild: Alfred Thomalla

Produktion DEFA-Studio für Spielfilme, Künstlerische Arbeitsgruppe „Johannisthal“ Potsam-Babelsberg, Deutsche Demokratische Republik

MÄDCHEN MIT GEWALT

Regie: Roger Fritz

Als Bäcker und Kaufmann gelang Roger Fritz via die Fotografie ein recht erstaunlicher Quereinstieg in die Filmbranche als Schauspieler und Regisseur, dessen Name dafür aber überraschend unbekannt blieb. Mit „Mädchen mit Gewalt“ gelang ihm im Jahr 1970 ein aus heutiger Sicht bemerkenswerter – und vor allem durch seinen männlichen Blick schwer erträglicher Genrefilm. Werner und Mike sind Freunde, sie sind aber auch Arbeitskollegen in einer Münchner Firma, Werner scheint ein Vorgesetzter von Mike zu sein, Mike steckt manchmal noch unter der Fuchtel seiner Mutter. Aber die beiden begeben sich sehr regelmäßig auf die Jagd nach jungen Frauen, die sie aufreißen, auch zu zweit. Auf einer Gokartbahn lernen die beiden schließlich einen jungen Berliner Studenten kennen, dessen Bekannte Alice sie zu einem See mitnehmen wollen, sie in Wahrheit aber zu einer Kiesgrube verschleppen. Dort vergewaltigt Werner sie – und es ist offenbar nicht die erste Frau, die sie dort vergewaltigen. „Mädchen mit Gewalt“ ist die hoffnungslose Geschichte einer Vergewaltigung, ein realistischer, bedrückender, wütend machender Film aus der Täterperspektive.

Bundesrepublik Deutschland 1970, 98 Min.

Regie: Roger Fritz, Sebastian Fritzsch

Buch: Roger Fritz, Jürgen Knop

Kamera: Egon Mann

Montage: Peter Przygodda

Musik: Can

Darsteller: Helga Anders, Klaus Löwitsch, Arthur Brauss, Rolf Zacher, Monika Zinnenberg, Astrid Bohnet, Elga Sorbas, Renate Grosse

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