KONTINENTAL ’25 von Radu Jude im Wettbewerb der Berlinale 25

Eszter Tompa, KONTINENTAL ’25 von Radu Jude
ROU 2025, Wettbewerb
© Raluca Munteanu

Cluj, die Hauptstadt Transsilvaniens, Rumänien, 280.000 Einwohner, früher hieß die Stadt Klausenburg, die Gentrifizierung beutelt die sozial Schwachen. Orsolya ist Gerichtsvollzieherin in der Stadt. Sie lebt ein glückliches Familienleben, Ehemann, Kinder, der Urlaub, auf den sich alle freuen und den auch Orsolya so nötig hat, steht kurz bevor. Obwohl sie eigentlich eine soziale Ader hat, ist sie damit beauftragt, einen Obdachlosen aus einem Keller zwangsräumen zu lassen. Sie gibt ihm Zeit, seine Sachen zu packen, doch als sie mit den Polizeibeamten zurückkehrt, hat sich der Obdachlose aus lauter Verzweiflung, was nun mit ihm geschehen sollen, mit einem Stück Draht an der Heizung erhängt. So gut wie möglich versucht sie nun, mit dieser Situation zurecht zu kommen. Sie macht sich Vorwürfe, gibt sich Schuld an seinem Tod, wird beinahe aus der Bahn geworfen. Zunächst muss sie ihrer Familie gestehen, dass sie nicht in der Lage ist, mit in den Urlaub zu kommen, das Vorkommnis würde sie bei Arbeit zu sehr in Anspruch nehmen. Mann und Kinder fahren also alleine in Urlaub nach Griechenland, sie bleibt zurück, trifft sich mit Freundinnen, einem Priester, ihrer Mutter, muss immer wieder die Geschichte des Suizids des Obdachlosen erzählen, vier, fünf mal kommt das im Film vor. Sie weiß, dass sie rechtlich nicht schuld ist, aber ihre potenzielle moralische Schuld beschäftigt sie. Aber niemand kann ihr helfen. Irgendwann spricht sie ein junger Mann an, er war Student bei ihr, als sie noch an der Hochschule römisches Recht unterrichtet hatte. Zur Ablenkung geht sie mit ihm aus, sie trinken, auch ihm erzählt sie das Vorkommnis mit dem Obdachlosen, im Suff haben die beiden Sex nachts im öffentlichen Park, nichts Dramatisches, sie bittet ihn, sich nicht ständig bei ihm zu melden, wohl ein einmaliger Ausrutscher, eine Remineszenz an früher, als sie noch jung war.

Radu Jude erzählt eine Geschichte mit sozialer Thematik, die sich mit Schuld und Verantwortung auseinandersetzt, seine Erzählweise wirkt so natürlich, zurückhaltend, voller Realismus. Seine Erzählweise ist aber auch Provokation: Die Szenen sind lang, gehen weiter, auch wenn sie eigentlich zu Ende sind, es kommt zu zahlreichen Wiederholungen, eine Zumutung für das Publikum. Andere Regisseure hätten diese Geschichte überdramatisiert, Plot Points eingebaut, Orsolya in die Verzweiflung getrieben, bis hin zu einem dramatischen Höhepunkt. Nicht so bei Radu Jude, er die Geschichte quasi unterdramatisiert, in dem das prägende Stilmittel eben nicht die Steigerung ist, sondern die Wiederholung und die Zeit. Und während das eine Zumutung für das Publikum ist, das herkömmliche Plotstrukturen erwartet, ist es aber eine Wiederspiegelung dessen, wie die Verarbeitung eines solchen Erlebnisses sich in der wirklich Welt, jenseits der Fiktion, abspielt: durch wiederholtes Erzählen, durch die Verarbeitung im Ablauf der Zeit, durch Ablenkung, Verdrängung, Wiedererinnerung. In der Berlinale-Pressevorführung, in der ich den Film gesehen habe, haben locker 25 Anwesende den Saal verlassen, der Journalist neben mir hat ständig genervt schnaufend die Handlung kommentiert. Und da, die Rezeption dieses Filmes ist anstrengend, die Erzählweise ist eine Zumutung, dennoch beschäftigt mich der Film noch lange danach, bleibt mir tief in Erinnerung und ist meiner Meinung nach mit seiner Durchbrechung herkömmlicher Erzählweisen einer der stärksten Filme der Berlinale.

von Radu Jude | mit Eszter Tompa, Gabriel Spahiu, Adonis Tanța, Oana Mardare, Șerban Pavlu

Rumänien 2025

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert