Christoph Seidler stellt gemeinsam mit Matthias Maurer sein Buch „Armstrongs Erben“ vor.

Am Ende der Vorstellung des Buchs „Armstrongs Erben“ des Wissenschaftsautors Christoph Seidler im Berliner Planetarium an der Prenzlauer Allee durfte das Publikum Fragen stellen. Und die gingen dann praktisch alle an den ESA-Astronauten Matthias Maurer – und fast nicht an den Autoren, der eigentlich im Mittelpunkt des Abends stehen sollte. Aber natürlich lag das in der Natur der Sache und natürlich hatte das Publikum dringende Fragen auf dem Herzen, wie das mit dem Start ist, wie mit dem Rückflug, wie mit den Sinneswahrnehmungen im All etc. Da war mein Sohn, der den Abend gespannt aber eigentlich bettreif verfolgte schon mindestens drei Schritte weiter: Schließlich hat er bereits zweimal die legendäre achtstündige „Alles gesagt“-Podcastfolge mit Maurer gehört und weiß daher bis ins kleinste Detail, wie das mit dem Klogang auf der ISS ist und was bei einem Außenbordeinsatz auch heute noch so alles schief gehen kann.

Aber nun wirklich zurück zu Christoph Seidler. Jahrgang 1979 ist er als Wissenschaftsautor für den SPIEGEL tätig, er schreibt über alles, was mit Weltall und Raumfahrt zu tun hat, zuletzt natürlich über die verspäteten Astronauten, ansonsten über Raumsonden, Expeditionen und Satelliten, und wenn’s sich ergibt auch mal über Panzer geschrieben. Was man schon den kurzen Ausschnitten anhört, die er im ausverkauften Planetarium gelesen hat, ist, dass er toll und packend schreibt, keine Selbstverständlichkeit unter Wissenschaftsautoren. „Was der neue Kampf der Supermächte für uns bedeutet“, lautet der Untertitel des im Piper Verlag erschienenen Buchs. Natürlich muss man bei dem Tempo, mit dem sich die Weltgeschichte gerade verändert, befürchten, dass das Buch schon veraltet ist, wenn’s aus der Druckerpresse kommt. Ganz so schlimm ist es nicht, aber durchaus gaben Seidler und Maurer am Abend im Planetarium schon Andeutungen von sich, dass insbesondere die Agenda der derzeitigen US-amerikanischen Regierung die Raumfahrt weltweit beeinflussen könnte – vielleicht für uns im positivsten Sinne noch, dass Europa, wenn’s gut läuft, sich vielleicht mehr Selbständigkeit verschaffen könnte.

Aber zum Buch: Nach Maurers launigem Geleitwort (wohlgemerkt Geleitwort und nicht Vorwort) und einer Tour de Force durch die Geschichte des Mondes und der Notwendigkeit von dessen Erforschung durch die Augen des Astronauten und Wissenschaftlers, beginnt Seidler notwendigerweise mit einem Sprung in den Hochsommer des Jahres 1962, damals als John F. Kennedy den schwitzenden Menschen in Houston, den Amerikanern und dem Rest der Welt, insbesondere der Sowjetunion, in seiner 17-minütigen Rede in Aussicht stellte, nein eher mitteilte, dass die USA bis zum Ende des Jahrzehnts den Mond betreten würden. Seidler ordnet die Worte Kennedys in die damalige Lage der USA und der Welt ein, Kalter Krieg, Kubakrise, der für die Amerikaner eigentlich schon verlorene Wettlauf ins All ein. Er tut das vor allem aus einem Grund, nämlich um uns Leser darauf einzustimmen, wie das im Vergleich dazu heute aussieht: Wer sind sie Player heute? Wo stehen wir? Wer will wann warum zum Mond? Oder wer am liebsten gleich zum Mars? Welche Rolle spielen die Staaten, welche die Privatunternehmen – und welche Rolle spielt dieses Mal die Weltpolitik?

Zunächst aber fasst Seidler die Geschichte des Apolloprogramms zusammen und es gelingt ihm dabei vorbildlich, sowohl die Raumfahrt-Buffs mit spannenden Details zu füttern und gleichzeitig diejenigen, für die Neil Armstrong eine Person längst vergangener Zeitgeschichte ist, nicht zu verlieren. Man darf nicht vergessen, für die Generation derjenigen, die sich jetzt beginnt für Raumfahrt zu interessieren – ich war damals, als es für mich anfing, ungefähr so jung wie mein Sohn heute, nämlich neun – ist das urlange her. Armstrong trat 46 Jahre vor der Geburt meines Sohnes erstmals in den Mondstaub, 46 Jahre vor meiner Geburt waren gerade die Goldenen Zwanziger und Hindenburg wurde zum Präsidenten gewählt.

So sind wir dann immerhin schon auf Seite 63 angekommen, bis wir zum Ende des Apollo-Programms gelangen – aber: Das sind 63 sehr unterhaltsame Seiten. Dann geht es noch etwas weiter, spannend vor allem der Abschnitt über das sowjetische astronautische Mondprogramm – das ja nicht stattfand. Und auf Seite 81 sind wir dann halbwegs in der Gegenwart angekommen, aber das weite Ausholen war auch in jedem Fall notwendig. Nun geht es um die geplanten Artemis-Mondlandungen und die internationale Zusammenarbeit dafür mit Europa, Kanada und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Und das ist nun natürlich wirklich ein Punkt, an dem es spannend wird, ob Trump und Musk an diesen Kooperationen festhalten werden – und umgekehrt, ob vor allem Europa und Kanada das Projekt unter der Ägide Trump/Musk fortführen wollen. Das ist natürlich so aktuell, dass es im Buch noch nicht diskutiert wird.

Danach stellt Seidler kenntnisreich Chinas Raumfahrtprogramm und die Mondpläne des Landes vor: „Tatsache ist, dass die Volksrepublik China im Jahr 2029 ihren 80. Geburtstag feiert. Wenn die technischen Rahmenbedingungen stimmen, würde man sich in Peking über eine weltweit beachtete astronautische Mondmission zu diesem Anlass gewiss sehr freuen.“ Wird es nun ein Wettrennen zwischen den USA und China werden – nach Chinas unerhörter Aufholjagd der letzten Jahrzehnte? Seidler hält es nicht für ausgeschlossen, dass China den Amerikanern zuvor kommen könnte. Könnte sich die Weltmacht USA einen zweiten Platz leisten? „Die USA beanspruchen die internationale Führungsrolle. Und das geht nicht ohne astronautisches Raumfahrtprogramm, wenn man nicht anderen die Spitzenposition überlassen will“, schreibt Seidler. Das gilt wahrscheinlich auch unter Trumps Amtszeit, aber noch lässt sich nicht absehen, wie sich Elon Musks „Mars first“ auf die Mondpläne auswirken werden.

„Wie man zum Mond kommt“ heißt das interessante Kapitel, in dem es unter anderem darum geht, dass es ja eigentlich ja nicht so schwer sein kann, zum Mond zu kommen, schließlich haben wir das mit 60er Jahre-Technik und praktisch nicht existenter Computertechnologie ja auch mehrfach geschafft. Wie kann das dann heute schwierig sein? „Space is hard“, lernen wir, und wir lernen, dass damals die Wahrscheinlichkeit, dass etwas schief geht, so ziemlich bei der Hälfte lag. Und es gingen ja auch Dinge schief, schon bevor die erste Saturn V abhob. Mondmissionen können Scheitern durch Zerschellen, Umfallen der Landefähre, Verfehlen des Mondes, Explosionen von Raketen usw. Alles Dinge, die mehr oder weniger in der unbemannten Mondfahrt in den letzten Jahrzehnten immer wieder passiert sind. Da ist die Besteigung des Mount Everests fast schon eine sichere Kletterpartie, obwohl die Vielfalt der Möglichkeiten, wie man ums Leben kommen kann da auch riesig ist: Erfrieren, Hirnödem, Verirren, Abstürzen, Lawinen, Gletscherspalten etc. Trotzdem! Wir machen doch permanent Raumfahrt? Man muss sich aber auch vor Augen führen, dass die 384.000 Kilometer zum Mond ganz schön weit sind, im Vergleich etwa zu den 400 Kilometern zur ISS. Wir können erst mal nicht lange bleiben auf dem Mond, das verhindert die kosmische Strahlung und der Sauerstoff und das Wasser, das wir mitschleppen müssen, und: das Ganze ist unglaublich teuer, womit Seidler auch schon beim derzeitigen Mondprojekt der Amerikaner angekommen ist: Artemis. Ein Start einer SLS-Rakete samt Orion-Kapsel kostet um die 4 Milliarden Dollar – und der erste unbemannte Start überraschte dann auch mit unerwarteten Problemen mit dem Hitzeschild. Womit Seidler beim Starship von Elon Musks SpaceX ankommt, aber da würde ich gerne einen Sprung machen.

Wir lernen also, dass es eine auch heute noch unglaublich schwierige Aufgabe ist, Menschen zum Mond zu bringen, das ist aber noch gar nichts im Vergleich dazu, dort langfristig bleiben zu wollen – und nicht gleich nach spätestens ein paar Dutzend Stunden wieder zurück zur Erde fliegen zu müssen. Was muss man dafür tun? Seidler arbeitet das in seinem Kapitel „Was man für das Leben auf dem Mond braucht“ aus – für mich das spannendste Kapitel, denn die Idee hinter den derzeitigen Mondplänen ist ja nicht, einfach nur eine Variante der Apollo-Missionen durchzuführen, die Raumfahrtnationen tun das ja um da länger zu bleiben – das „Ziel ist eine nachhaltige Präsenz“. Was wir auch immer dort tun wollen, es führt kein Weg daran vorbei, dass wir Infrastruktur brauchen. Wir brauchen Atemluft, Wasser, Nahrung, Wohnraum, Wärme als auch Hitzeschutz, Treibstoff, Strom – und Schutz vor der kosmischen Strahlung, um nur die dringendsten Faktoren zu nennen. Und wenn’s geht wollen wir das nicht alles von der Erde zum Mond schleppen. Und das ist der Zeitpunkt, an dem die Mondplanung beginnt, kreativ zu werden, out of the box zu denken – und bisweilen nach verrückter Science Fiction zu klingen. Seidler stellt uns Ideen vor, die mit lunaren 3D-Druckern zu tun haben, aufblasbaren Bauelementen, mit Mondhöhlennutzung, Miniatomkraftwerken, Stromtrassen, den lunaren Wassereisreservoirs, Pflanzenexperimenten, neue Ideen für Raumanzüge, denn auf die können wir nicht verzichten – und nicht zuletzt Ideen für Mondfahrzeuge. Seidler sprüht geradezu vor Neugierde und Begeisterung in diesem Kapitel. Das ist sicher das Kapitel, das dem Leser am meisten Spaß machen wird, aber auch die folgenden Abschnitte, Kapitel 5 über das Juristische der Mondfahrt, und insbesondere Kapitel 6, „Was das alles mit der Erde zu tun hat“ sind zutiefst spannend.

Aber trotz aller Technikfaszination, Abenteuerlust, Forscherdrang schließt Seidler sein Buch mit einem sehr schlauen Gedanken, der viel, viel mehr mit unserem zu Hause, der Erde zu tun hat: „So faszinierend der Erdtrabant auch ist, so viele Fragen er der Wissenschaft noch wird beantworten können, sosehr er uns bei der weiteren Erkundung des Sonnensystems helfen kann – er wird auch auf lange Sicht kein zweites Zuhause für uns Menschen werden. Dafür ist der Mond zu ungemütlich, der Mars ebenso.“ Ich glaube, da hat der Autor recht – um so spannender ist Seidlers Mondfahrt für den Leser, der vermutlich mehrheitlich, außer Matthias Maurer, eher geringe Chancen haben wird, selbst mit dabei zu sein. Und für mich ist das eine der besten Raumfahrtpublikationen jüngerer Zeit.

Empfehlenswert.

Erschienen im Piper-Verlag, 22,00€
https://www.piper.de/buecher/armstrongs-erben-isbn-978-3-492-07326-4

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert