
Seit einem Jahr steht das Elternhaus der Geschwister Freddy, Luise und Theo leer. Überall befinden sich Spuren der Erinnerungen. Alte Bücher, ein altes Bild, das eines der Geschwister gemalt hat, die Marmelade aus dem Keller, die man noch essen kann. Die drei kommen zusammen, samt Theos Freundin, um das Haus auszuräumen, ein schwerer Plan. Das Haus soll verkauft werden. Was steht da noch alles rum? Wer kann noch was brauchen? Wer nimmt was mit? Der alte Schreibtisch von Vater? Die Bücher? „Wenn du was haben willst, sag Bescheid.“ Zwei Tage Zeit haben sie nur für diese Familienangelegenheit. Die Kaufinteressenten wollen nämlich schon vor der Geburt des Kindes einziehen. Und Theo muss schon am nächsten Morgen los, nach Brüssel, das schränkt die Zeit noch weiter an. Und was sie da alles finden, altes Parfüm von früher mit Gerüchen, die an die Kindheit erinnern, alte Kinderbilder, wo ist das Notfallgeldversteck? Alte Kindervideos. Fantasialand. Indien – „Slumtourismus“. Und wenn man die auch noch anschaut, frisst das natürlich viel Zeit. Alle scheinen froh sein, sich wieder einmal gemeinsam zu sehen, doch hinter dieser Fassade tauchen verborgene Animositäten auf, Misstrauen.
In einem alten Buch, Karikaturen von Europas Fürsten, stößt Luise auf ein Foto: Es ist ihre große Liebe Sergei, der vor vielen Jahren bei einem Autounfall ums Leben kam, auf der Autobahn ging er zu schnell in die Kurve und überschlug sich. Verbrannte im Auto. „Bratwurst“ scherzt Luise zynisch. Doch warum steckte das Bild in diesem alten Prachtband? Wer hat es überhaupt aufgenommen? Welche Rolle spielt dieses Bild für sie und die Familie, schließlich sei Sergei der einzige gewesen, der sie je wirklich verstanden habe, sagt sie. Theos Freundin redet mit den Geschwistern, sie kennt die alten Geschichten nicht. Aber eigentlich stößt sie auf viel Schweigen. Detektivisch beginnt Luise zu forschen, wer das Bild überhaupt gemacht hat, ihr Verdacht fällt auf Theo. Doch was hat das überhaupt zu bedeuten? Was verbirgt sich hinter der mysteriösen Beziehung Luises zu ihrem längst verstorbenen Freund? Und welche Rolle spielen die Geschwister dabei? Die Schatten aus der Vergangenheit kommen allmählich an die Oberfläche. Ein familiäres Drama, eine Geschichte von Privilegien und Schuld entfaltet sich.
„Als ich jung war, trieben sich in meiner Nachbarschaft zwei unzertrennliche Jungen herum – der eine aus unserer betreuten Wohnsiedlung, der andere aus einem Kinderheim am Rande der Stadt“, erzählt der Regisseur Oliver Moser über seine Ideen, die ihn zur Geschichte des Films brachten. „Als die beiden sich in Drogen und Kleinkriminalität verstrickten, griffen die Eltern des behüteten Jungen ein und schickten ihn auf ein Internat in England. Der andere Junge verlor seine ganze Welt, versuchte sich nach einer Weile das Leben zu nehmen und verschwand still und leise von der Bildfläche. Unser Leben ging weiter, als ob nichts geschehen wäre, aber diese Erinnerung hat mich nie wirklich losgelassen und wurde zum Ausgangspunkt für diesen Film. Er erzählt die Geschichte von denen hinter und denen vor den Mauern. Diejenigen, die drinnen sitzen dürfen, schauen durch das saubere Fenster hinaus und können entscheiden, ob die tobende Welt draußen sie etwas angeht oder nicht. Wer draußen sitzt, ist darauf angewiesen, dass ihm der Zutritt gewährt wird. Und die Mauern, die uns voneinander trennen, werfen ihre Schatten in alle Richtungen.“
Oliver Moser studierte Kunst an der HbK Braunschweig und Regie an der Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb). Er arbeitet als Drehbuchautor und Regisseur in Berlin und Köln. „Die Farbe der Luft“ ist sein Erstlingsfilm, nach Kurzfilmen wie „Ich geh jetzt“ und „Steinbrecher“ (https://www.olivermoser.de/shorts/). Moser gelingt ein überzeugender Erstlingsfilm mit einer Geschichte, die tief in die Vergangenheit einer Familie hineinblickt.
Deutschland | 2024 | 88 Min.
Deutsch mit englischen UT
Berlin-Premiere
Regie Oliver Moser Schauspiel Paul Boche, Bea Brocks, Odine Johne, Hannah Schutsch Buch Linda König, Oliver Moser Kamera Malte Siepen Schnitt Isabella Kohl, Oliver Moser Ton Louis Katzmann Szenenbild Alina Perschall Kostümbild Muriel Cuissard Musik Matthias Petsche Produzent:in Linda König, Oliver Moser Produktion Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin Koproduktion Rausch Film, Jost Hering Filme
Berlin Regie | Produktion
Uraufführung 32. Filmfest Hamburg
https://achtungberlin.de/2025/die-farbe-der-luft
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