
Holle macht irgendeine Fortbildung als Therapeutin, irgendwas Esoterisches, irgendwas, wo man Kräfte durch seine Hände überträgt. Offenbar orientiert sie sich beruflich neu, will eine Praxis eröffnen. Da muss ja mehr sein. Holle steht in engem Kontakt zu ihren schon recht gebrechlichen Eltern, die immer mal wieder Hilfe brauchen, beim Einkaufen und so – und zu ihren Geschwistern. Aber da ist einer, ihr Bruder Sven, von dem immer nur geredet wird. Schneidest du noch ein Stück Kuchen ab für Sven? Hier ist das Geschirr von Sven. Aber wo ist Sven? Dann kommt eines Tages Holles Mama ins Krankenhaus, ihr war schwindlig. Blutdruck. Nun muss sich ihr Vater erst mal alleine um sich kümmern – und um Sven. Das macht sonst die Mutter. Sven lebt im Elternhaus. Seit Jahrzehnte, zurückgezogen, isoliert, schweigt. Keiner weiß, was in ihm vorgeht, was er denkt, fühlt. Holle hat das nie ganz akzeptiert. Aber sie spürt, dass es Sven nicht gut geht, spätestens seit die Mutter im Krankenhaus liegt. „Aus dem Jungen hätte so viel werden können“, sagt der Vater, als sie ein altes Familienalbum anschauen. Svens einzige Kontaktversuche sind Briefe an Menschen, die es früher einmal gab. Und die alle wieder zurückkommen, weil es die Empfänger nicht mehr gibt. Dieter, Holles Mann, ist der – naja – Realist in der Familie. Er lehnt die kindischen Rituale ab. Er zitiert Max Weber, der gemeint habe, dass man seine Familie gar nicht lieben müsse. Er kritisiert, dass Holle ihren Eltern hilft, nur weil’s die Eltern sind.
Doch was passiert, wenn die Eltern sich irgendwann gar nicht mehr um Sven kümmern können? Die Familienmitglieder haben unterschiedliche Strategien für den Fall: Die einen verdrängen die Realität und wollen erst gar nicht darüber nachdenken, was dann wäre. Der Vater will Sven voller Wut aus seinem Schweigen herauszwingen. Holle ist sich im Klaren, dass sie wohl die wäre, die sich um ihn kümmern müsste. Aber was geht in Svens Kopf vor? Was erwartet er noch vom Leben? Holle versucht es zunächst mit Hilfe von einem Therapeuten. Aber wie kann die Familie eine Lösung finden? Was könnte der Weg sein, der Sven hilft?
Tim Ellrich, geboren 1989 in Osnabrück legt mit „Im Haus meiner Eltern“ seinen Abschlussfilm an der Filmakademie in Baden-Württemberg vor. „IM HAUS MEINER ELTERN basiert auf meiner eigenen Familie und dem Leben meines schizophrenen Onkel, der bis zu seinem Tod bei meinen Großeltern auf dem Dachboden lebte“, erzählt Ellrich. „Er verweigerte jede Behandlung und brachte meine Familie dazu, sich an ihn anzupassen, anstatt irgendetwas zu ändern. Als meine Großeltern älter wurden, wurde die Frage unausweichlich, wer seine Pflege irgendwann übernehmen würde. Meine Mutter, eine von vier Geschwistern, wurde nach und nach in diese Verantwortung hineingezogen, obwohl sie dies nicht wollte.“ Man spürt dem Film in jeder seiner Minuten an, dass es eine persönliche Geschichte ist, ein autofiktionales Drama. Dem Cast, insbesondere Jenny Schily in der Hauptrolle als Holle, gelingt eine beeindruckende Darstellung dieser schwierigen Familienkonstellation. Tim Ellrich zeichnet mit den zarten Schwarzweißfarben des Films eine bedrückende, persönliche Geschichte nach. Die Charaktere sind mit wenigen Strichen entworfen, Ellrich verzichtet auf eine dramaturgische Überhöhung, man spürt von vorne bis hinten die Glaubwürdigkeit des Films. Der einzige Kunstgriff ist die inhaltliche Klammer, die am Anfag des Filmes geöffnet wird.
„Die Geschichte konzentriert sich sozusagen auf die ‚gesunden‘ Familienmitglieder, die mit einem psychisch kranken Verwandten konfrontiert sind, den sie nie vollständig verstehen können“ sagt der Regisseur. „Die Protagonistin Holle verkörpert dabei diesen Konflikt. Sie ist gefangen in ihrer Helferrolle innerhalb der Familie, während ihre eigenen Bedürfnisse dabei übersehen werden. Als der Tod ihres Bruders näher rückt, scheitert Holle mit all ihren verzweifelten Versuchen, ihm zu helfen.“ Und weiter: „IM HAUS MEINER ELTERN ist ein Film für alle, die das Gefühl der Hilflosigkeit kennen, wenn Angehörige mit einem psychisch erkrankten Familienmitglied umgehen müssen, das Pflege und Hilfe benötigt.“
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achtung berlin festival
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Deutschland | 2025 | 96 Min.
Deutsch mit englischen UT
Deutschland-Premiere
Regie, Buch Tim Ellrich Schauspiel Jenny Schily, Ursula Werner, Manfred Zapatka, Jens Brock, Johannes Zeiler, Kirsten Block, Peter Scheider Kamera Konstantin Pape Schnitt Tobias Wilhelmer Ton Johann Meis, Jonathan Rösch Szenenbild Nadja Götze Kostümbild Lara Scherpinski CastingUlrike Müller RedaktionBurkhard Althoff, Melvina Kotios (ZDF) Produzent:in Tanja Georgieva-Waldhauer, Jan Krüger, Leopold Pape Produktion Elemag Pictures, Port-au-Prince Film & Kulturproduktion, Coronado Film KoproduktionFilmakademie Baden-Württemberg, ZDF – Das kleine Fernsehspiel Verleih Port-au-Prince Pictures
Berlin Regie | Location | Produktion
Uraufführung 54. International Film Festival Rotterdam