Kurzkritiken vom Max-Ophüls-Festival 2025

ROTE STERNE ÜBERM FELD

Regie: Laura Laabs | Deutschland 2025 | 133 Min. | FSK ab 12

Tine (Hannah Ehrlichmann) ist Mitglied einer Berliner Protestgruppe, die auf dem Reichstag die Deutschlandfahnen gegen rote Fahnen ausgetauscht haben. Der Staat versteht keinen Spaß, man könnte das als einen terroristischen Akt einsehen. Also flieht Tine nach Bad Kleinen, wo sie herkommt, wo ihr eigenbrötlerischer Vater Uwe (Hermann Beyer) noch lebt und alte Bekannte und Freunde von früher. Der Ort ist eine komplett andere Welt, aber Aufruhr kommt dann doch in die Gegend, als nämlich im Moor eine alte Moorleiche hervorgeholt wird. Was ist damals passiert? Ist das Ganze eine wissenschaftliche Sensation, die dem Ort Ruhm einbringen könnte?

„Die Geschichte bleibt der untote Kampfplatz der Gegenwart“, sagt die 1985 in Ostberlin geborene Regisseurin Laura Laab. „Sie ist Politik. Mein Film schlägt eine Umdeutung der jüngeren deutschen Geschichte von unten vor. Es reicht ein Dorf, ein Haus, ein Quadratmeter deutscher Erde, um beim Ansetzen des Spatens an dieser Stelle ebenso Unglaubliches wie Groteskes und Schauriges zu Tage zu fördern, Stich für Stich. Dabei möchte ich den Blick gerade auf die Orte und Menschen lenken, die allzu oft übersehen werden. Gesellschaftliche Teilhabe ist auch narrative Teilhabe. So führt mich mein Stoff zurück in die sogenannte ostdeutsche Provinz, in der ich aufgewachsen bin. Doch die Grabungsarbeiten dieses Films gehen weit über die Vergangenheit hinaus. Ob die steigenden Wahlergebnisse der AfD, die neue Großfahndung nach den letzten Überlebenden der RAF oder der Anschlag der „Vulkangruppe“ auf das Tesla Werk – in diesen aktuellen Ereignissen rumort die Vergangenheit und sie spiegeln sich in der Fiktion meines Films. Als Verbündeter der Geschichte wagt er sich an neuralgische Punkte unserer Gegenwart. Daher ist gerade jetzt die Zeit, ihn zu erzählen.“

Laura Laabs wandert in ihrem Film durch die Geschichten und die Geschichte, Zweiter Weltkrieg, aktuelle Nazis, RAF, DDR, AfD, Heldentod, alte Briefe, Postkarten, Dokumente, Moorleichen. Durchaus nicht unspannend und ich kann den Bogen, den der Film schlägt schon verstehen, aber vielleicht ein paar Ecken, Themen und Sprünge zu viel.

Regie-Biographie: Laura Laabs

Geboren 1985 in Ost-Berlin. Sie studierte Politik und Filmwissenschaft, im Anschluss Regie an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf. Nach dem Diplom absolvierte sie dort ein Meisterschüler-Studium bei Regisseur Andreas Kleinert. Sie arbeitet als freie Regisseurin und Autorin, gibt Seminare und Workshops in Kooperation mit der Komischen Oper Berlin sowie der Deutschen Kinemathek und ist Mitbegründerin des feministischen Filmkollektivs r.O.k.s.

Filmografie

2012 ENKEL DER GESCHICHTE (KF)

2013 VOLKSBÜHNE (KF)

2014 MELUSINE (KF)

2017 COUNTRY GIRLS (Serie)

2019 SPOTLIGHT (Serie)

2025 ROTE STERNE ÜBERM FELD (SF)

GRÜẞE VOM MARS

Regie: Sarah Winkenstette | Deutschland 2024 | 82 Min. | FSK ab 6 | Dt.

Tom (Theo Kretschmer) ist zehn Jahre alt und hat ganz besondere Anforderungen an seine Umwelt. Seine Mutter kennt sich da üblicherweise halbwegs aus, er mag nicht, wenn etwas anders ist als soll, nichts Rotes, Lautstärke. Sein Hyperfokusthema ist der Weltraum, Astronomiebücher, Weltraumcomics, Raumanzüge, Helm. Blöderweise ist seine Spezialistin, sprich Mutter (Eva Löbau) bald für lange abwesend. Sie muss nach China und Tom soll mit seinen Geschwistern Nina (Lilli Lacher) und Elmar (Anton Noltensmeier) für sechs Wochen zu Oma (Hedi Kriegeskotte) und Opa (Michael Wittenborn) aufs Land ziehen. So schon doof, aber für Tom undenkbar. Seine Mutter muss alle Kaliber der Motivation auffahren, ein Logbuch für seine „Marsmission“ etwa. Die Großelternmission soll nämlich zur Übungsmission für die Reise zum Mars werden. Wenn du es dort schaffst, klappt es auch mit der Marsmission. Hilft nichts, so wird seine handysüchtige Schwester die Funkerin und der ADHS-Bruder Elmar zum ersten Offizier.

„Toms Leben funktioniert nach klaren Regeln und Abläufen. Alles, was davon abweicht, überfordert ihn und macht ihm manchmal sogar Angst. Für mich ist er eine großartige Hauptfigur, denn GRÜSSE VOM MARS ist ein Film für Kinder, die in einer Zeit voller Krisen groß werden. In einer Zeit, in der morgen nicht mehr gilt, was gestern war. Unsere Zuschauer haben einen Großteil ihres Lebens in einer Pandemie verbracht – mit sehr strengen und teilweise unsinnigen Regeln. Die Schritte zurück in die Normalität haben auch sie verunsichert. Welche Regeln gelten? Was darf ich, was nicht? Wie viel Nähe von anderen will und kann ich überhaupt zulassen? Ängste und Überforderungen gehören zum Leben dazu. Wir dürfen sie nicht wegdrücken, sondern sollten sie zulassen, darüber reden und – im besten Fall gemeinsam mit anderen – daran arbeiten. Unser Leben verläuft nicht immer nach Plan, und das ist gut so, denn daran wachsen wir.“ (Sarah Winkenstette) 

GRÜSSE VOM MARS ist ein unterhaltsamer Kinderfilm zum Thema Neurodivergenz, mit überzeugenden Rollen, tollen Darstellern und ganz viel Fantasie und Spaß. Sehr empfehlenswert.

UNGEDULD DES HERZENS

Regie: Lauro Cress | Deutschland 2025 | 104 Min. | FSK ab 12

Der Film beginnt mit einem ausgelassenen Abend auf einer Bowlingbahn, voller Spaß, Musik, bunte Farben – der Abend wird in einem Handgemenge enden. Isaac (Giulio Brizzi), ein junger Soldat und seine Kameraden feiern auf der Bowlingbahn, eine gute Gelegenheit, um Frauen kennenzulernen. Prompt lernt Isaac Ilona (Livia Matthes) kennen, er findet sie toll, an deren Schwester Edith (Ladina von Frisching) fällt ihm ihre schlechte Laune auf, aber natürlich kommt es gut an, wenn er sich mit Edith abgibt und mit ihr flirtet, das müsste Ilona doch gefallen. Doch zu spät sieht er, dass sie in einem Rollstuhl sitzt. Er versucht sich zu rechtfertigen, zu spät. Immerhin ist er einsichtig, dass er sich entschuldigen müsse und so will er am nächsten Tag bei den Schwestern ein besseres Bild hinterlassen und so sucht er sie zu Hause auf – in dem großen Anwesen und der Villa. Unerwartet entsteht eine Freundschaft mit Edith. Doch diese Freundschaft wird sich in eine unglückliche Richtung entwickeln…

„Ungeduld des Herzens“ wurde zurecht mit dem Preis des Besten Spielfilms ausgezeichnet – und mit Preisen für die beiden Hauptdarsteller*innen. Die Jury urteilt: „Aus einer vorsichtigen Annäherung wächst eine Liebe – eine Liebe, die wie ein zart gewobenes Netz Halt verspricht, doch am Ende erdrückt und jede Freiheit nimmt. Mit klassenbewusstem Blick, großer Sensibilität und einem elektrisierenden Schauspielensemble erzählt dieser Film vom Zustand rastloser Sehnsucht, vom Verlust der eigenen Identität und der Angst, nie wirklich eine gehabt zu haben. Gleichzeitig entfaltet er eine stille Hoffnung, die Kräfte freisetzt – auch in uns. Dabei ist er so rau und kantig, wie sein Protagonist, ein ungeschliffener Diamant, voll zerbrechlicher und schmerzhafter Schönheit.“

Eine großartige Regiearbeit von Lauro Cress, von dem wir hoffentlich bald mehr zu sehen bekommen.

„Der jähzornige Isaac lebt ein Leben auf Bewährung, in Hinblick auf sich, aber auch seine Mutter, die er schon zu oft enttäuscht hat. Als der aus einfachen Verhältnissen stammende Bundeswehrsoldat auf eine wohlhabende Familie trifft, hat er die Chance, sich neu zu erfinden. Was Edith und ihre Familie in dem jungen Soldaten sehen, verführt ihn. Er berauscht sich an dem Gefühl, endlich als etwas Besonderes gesehen zu werden. Er will diesem Bild so sehr entsprechen, dass er sich Gefühle einredet, die er nicht spürt, und Dinge verspricht, die er nicht halten kann. Stefan Zweig beschreibt in seinem Roman von 1939 eine Abgetrenntheit von eigenen Gefühlen, die mir heute aktueller scheint als je zuvor. In einer Zeit, in der man seiner Identität auf Instagram hinterherläuft und Authentizität zur Ware geworden ist, hat man ständig das Gefühl, nicht zu reichen, nicht genug zu fühlen, nicht echt zu sein.“ (Lauro Cress)

SEW TORN

Regie: Freddy Macdonald | Schweiz, USA 2024 | 95 Min. | FSK ab 12 | Englisch mit dt. UT

Die Schweiz, irgendein Dorf in der Schweiz, Graubünden oder so. Sprechende genähte Bilder vertreibt die junge Barbara (Eve Connolly), doch nach dem Tod ihrer Mutter steht der Familienbetrieb vor der Pleite. Mir ihrem kleinen Fiat begibt sie sich als reisende Schneiderin auf die Suche nach Kundschaft, allerdings weitgehend erfolglos. Seltsamen Gestalten begegnet sie, unter anderem einer kapriziösen Braut, der sie in aller Eile einen Knopf holen muss. Doch unterwegs gerät sie an einen Motorradunfall, der ihr Leben in entscheidende Richtung verändern könnte. Drogen? Pistolen? Blut? Ein Geldkoffer? Was hat das zu bedeuten? Entscheidungen…

Wundervoll fantasievoller, skurriler Film, ausgezeichnet mit dem Preis der Jugendjury: „Beeindruckende Kulisse, fesselnde Musik und emotional geladenes Spiel. Ist vielleicht doch alles vorbestimmt oder können wir unser Schicksal beeinflussen? Ein roter Faden zieht sich durch den ganzen Film und spannt ein Netz aus Erinnerungen. Skurrile Figuren laden uns ein, die Situation immer wieder aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Drei verschiedene Möglichkeiten, drei verschiedene Entscheidungen, letztendlich bleibt es bei: Choices. Choices. Choices.“

„Ich habe mich immer zu Geschichten hingezogen gefühlt, welche die Entscheidungsfindung erforschen, und SEW TORN ist der Höhepunkt dieses Interesses; ein Spielfilm, der zeigt, wie Handlungen den Weg bestimmen und Menschen prägen – zum Guten oder zum Schlechten.
Angesiedelt in einem malerischen Schweizer Bergdorf, ist SEW TORN ein Mix aus Thriller und schwarzer Komödie, der sich über den Lauf eines Nachmittags abspielt – drei unterschiedliche Male. Es ist ein Film über Einsamkeit und Heimat. Über Kummer und Erlösung. Über Rache und Liebe. Humorvolle Wendungen machen die Handlung unvorhersehbar. Am Ende gelingt es der geschickten Näherin, sich von ihrer verworrenen Vergangenheit zu befreien – mit Nadel und Faden.“ (Freddy Macdonald)

The Lonely Musketeer

Regie: Nicolai Schümann
| Vereinigtes Königreich, Deutschland 2024 | 97 Min. | Engl. mit dt. UT | Keine Altersfreigabe-Prüfung (FSK) erfolgt

Der Film beginnt vermutlich wie jene Genrefilme, die ich nie gesehen habe, in dem es ums Eingesperrtsein an einem mysteriösen Ort geht, ein filmisches Escape Game. Kurzum: Rupert Baumann (Edwar Hogg) erwacht im Staub, teurer Anzug, weißes Hemd, nun beschmutzt, in einem Ort – keine Fenster, keine Türen, komplett leer, nur ein Spalt, an der Decke, durch den Licht kommt. Er nimmt sein Nokia-Tastentelefon, ruft in seinem Büro an, plaudert mit seiner Assistentin, dass es etwas später würde, offenbar ist er Börsenmakler oder Hedgefondsmanager oder so, fragt die Kurse ab. Die Assistentin erinnert ihn an den Termin mit den Anwälten seiner zukünftigen Exfrau. Er wäre dann schon da, sagt sie.

Als nächstes ruft er Philip Jones, Immobilienmakler an, mit dem er wohl den letzten Abend verbracht hat, in ihrer „Musketier“-Runde, gesoffen hat und von dem er denkt, dass er und die Kumpels ihm wohl einen Streich spielten und ihn eingesperrt haben. Was man halt vielleicht macht, wenn man stinkreich ist und jemanden reinlegen möchte. Aber nein, es war gar nicht der letzte Tag, es ist bereits Dienstag, offenbar ist er schon länger in seinem Verlies. Bereits etwas irritiert ruft er nun wieder seine Assistentin an, ob er denn gestern im Büro gewesen sei. Nein sagt, sie, er hätte sich ja gestern krank gemeldet.

Dann ruft er halt den nächsten im Bunde an, Mickey, der am Sonntagabend bei Besäufnis auch dabei gewesen war. Da war was mit irgendeiner Blondine, meint Mickey. Mickey muss ihm jetzt helfen. Wer war die Blonde? Hat sie was mit Ruperts misslicher Situation zu tun? Ein Edelprostituierte sei sie, findet Mickey bald heraus. Er müsse jetzt dranbleiben und ihm helfen, sagt Rupert. Und das alte Nokiateil, mit dem seine Position nicht nachverfolgbar ist – das aber immerhin einen schier unendlichen Akku hat, ist seine einzige Verbindung zur Außenwelt. Was ist der Weg zur Lösung?

„Wir haben versucht, THE LONELY MUSKETEER so zu gestalten, dass dieser trotz einer minimalen Anzahl von Schauspielenden und Drehorten visuell beeindrucken kann. Das Set wurde auf einer Theaterbühne gebaut und über den Filmdreh verändert, um den Verfall der Hauptfigur visuell zu spiegeln. Um die klaustrophobische Atmosphäre des Filmes zu unterstützen, bewegt sich die Kamera nie; der Film funktioniert in 300 statischen Aufnahmen, die den narrativen Bogen mit zunehmender Nähe zum Objekt visuell unterstützen. Im Kern lebt der Film von seinen vielschichtigen und ambivalenten Charakteren, die wir in entscheidenden Momenten ihres Lebens begleiten. Ich bin überzeugt, dass die besten Geschichten Wahrheiten über das Leben erzählen und wie und warum sich Menschen ändern. Dieser Film offenbart eine tragische Wahrheit über Gier und Schuldgefühle, und wie Traumata einen Menschen lebenslang einzwängen können. Er thematisiert die Zerstörungskraft toxischer Freundschaften und porträtiert die Verschwendung eines Lebens, das ausschließlich der Rache gewidmet ist.“ (Nicolai Schümann)

Schümann gelingt in der Tat ein raffinierter, in hartem Schwarzweiß gehaltener Escape-Thriller mit einem überzeugenden Edward Hogg als Rupert in der Hauptrolle. Eine Handvoll überraschender Wendungen bestimmen die Handlung, ebenso ein Minimalismus, wie er reduzierter kaum sein könnte. Und dennoch: nie ist „The Lonely Musketeer“ theaterhaft. Empfehlenswert.

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