
TI-KOSMOS
UKR 2024 / 101 min
Sprache: Ukrainisch
Regie: Pavlo Ostrikov
Vorstellungen
- Apollo Kino-Center Sa, 26.04. / 16:45 Uhr
- Kinocenter, Gießen Di, 29.04. / 19:00 Uhr
Ich bin ja trotz meiner Weltraumaffinität seit ich vielleicht 6 bin (wann kam dieses gelbe Yps-Weltraumheft auf den Markt?) überhaupt gar kein Weltraumfilmspezialist. Sonderbar eigentlich. Jedenfalls kann ich bei Weltraumfilmen überhaupt keine Genreeinordnung vornehmen. Der Plot ähnelt xy. Oder die Konstellation hat mm schon tausendmal gesehen, zum Beispiel in abc oder def. Das interessiert mich auch gar nicht.
Seine Weltpremiere erlebte U ARE THE UNIVERSE in Toronto – und seine Entstehungsgeschichte ist sehr bemerkenswert. Ein Science-Fiction-Film aus der vom Krieg gebeutelten Ukraine? Ganz so einfach ist es nicht, die Idee zu dem Film kam dem Regisseur Pavlo Ostrikov nämlich bereits vor sieben Jahren – selbst ein für die in der Filmwirtschaft üblichen langen Entwicklungszeiträume noch einmal besonders lang. Und die Dreharbeiten waren zu Beginn der großen Invasion durch Russland, der Krieg selbst dauerte ja eigentlich schon länger an, weitgehend abgeschlossen. Krieg und Corona, das darf man ja auch nicht vergessen, stellten aber natürlich dennoch große Hürden dar. Auf die Geschichte hat der Krieg also keinen Einfluss mehr gehabt, Ostrikov äußert sich in einem Interview mit „Sloan Science & Film“ aber dennoch über massive Schwierigkeiten bei der Fertigstellung des Films: „Aber wir mussten den Film irgendwie mitten im Krieg fertigstellen. Die Hauptfigur war in der Armee. Er ging in den ersten Tagen der Invasion zur Armee, auch mein Produzent ist jetzt in der Armee, und die Stimme des Roboters Maksym ist ebenfalls in der Armee.“ U ARE THE UNIVERSE ist der Debütfilm von Ostrikov. Ostrikov stammt aus der Kleinstadt Krassyliw im Westen der Ukraine, er schloss im Jahr 2012 sein Jura-Studium an der Nationalen Luftfahrtuniversität in Kiew ab. Statt der Arbeit als Rechtsanwalt oder Richter folgten Kurzfilme, etliche Filmfestivals, auf denen er vertreten war und die Mitgliedschaft in der European Film Academy.
Aber nun endlich zum Film: Er beginnt mit einer herrlichen Animation, ein Werbeclip für „Kosmovtorresurs – Drecksarbeit für einen sauberen Planeten“. Die Firma sorgt dafür, dass der Atomabfall von der Erde per Raumschiff zu Jupiters drittgrößtem Mond Kallisto geschaffen wird, um ihn dort zu entsorgen. Zwei Jahre hin und zwei Jahre zurück dauert das für den begleitenden Kosmonauten – bzw. Piloten, aber immerhin hat er an Bord der „Obriy“ alle Annehmlichkeiten, Lounge, Gym, Küche, Schlafzimmer und vor allem – Einsamkeit! Und wenn man zu einsam ist, gibt es dann den Roboter Maxim, der für Unterhaltung sorgt, sogar die Witze-Intensität kann man regulieren. Schönen Flug!
Da sitzt er nun also in seiner kosmischen Müllabfuhr, der Raumschiffpilot Andriy Melnyk, gespielt von Wolodymyr Krawtschuk, lässt sich von Gutelaunemusik berieseln, lässt sich von Maxim Witze erzählen, wühlt in den Essensvorräten, schraubt hier was, erledigt da Nötiges, sorgt auf dem Laufband für den nötigen Muskelerhalt, aber so schlimm ist es nicht, die Rotation der Wohneinheit sorgt für die hilfreiche Schwerkraft. Naja, und das Essen könnte schlimmer sein. An den aufgehängten Bilder sieht man seine Interessen: Muskelbildung. Bodybuilderfotos, Muskelaufbauanleitungen. Na wenn ihn das interessiert: Dafür hat er jetzt Zeit. Lustig, dass die Bildschirmverkörperung von Maxim ausgerechnet das Gegenteil seines eigenen Wunschbildes ist: Maxim ist recht beleibt. Und Maxim lässt verkünden, was ihm der Chef der Firma mitteilen ließ: Irgendwo beim Uranus ist wohl irgendein Raummüllcontainer unterwegs, genauso einer wie der von Melnyk.
Hat er wohl beim letzten Mal seine Container einfach so abgestoßen, so wie Neuköllner, die zu faul sind, ihre alten Röhrenfernseher zum Recyclinghof zu bringen und sie stattdessen an den Straßenrand stellen? Meine Interpretation, kommt im Film so nicht vor. Wenn sich das bewahrheitet, kann er sich wohl einen neuen Job suchen. Und dann gibt’s auch noch eine Undocking Malfunction. Und während Melnyk – man höre und staune – Schallplatten hört, mit klassischer Moll-Musik und wir in ihm eine kreative und musische Seite erkennen, die wir so noch gar nicht von ihm erwartet hätten, er bastelt nämlich – keine Ahnung? Knetfiguren? Während er sich da also kreativ betätigt, da tut sich im Hintergrund durchs Fenster zu sehen, etwas auf der Erde: Erst eins, dann zwei, dann drei, dann ganz viele so ferne, keine Ahnung Atombombenexplosionen?, das wäre fast schon ästhetisch, wüssten wir nicht – naja die Erde eben. Und dann gibt es einen richtig großen Blitz, unser Melnyk ist zutiefst geblendet und fragt erstmal seinen Maxim, was dann da los sei. „Ohhh“, sagt Maxim. Er sei ja so gar nicht darauf programmiert, schlechte Nachrichten zu überbringen. Er solle ja immer nur die Raumfahrer aufheitern. Also versucht er das Drama auf die maximal lustige Art und Weise zu schildern. Es sieht so aus, als sei die Erde explodiert, sagt er mit einem heiteren Ton in der Stimme. Haha, sehr lustig. Wieder einer von Maxims schlechten Witzen? Leider nein. Und vor allem: In weniger als 24 Stunden werden die Trümmer der Ex-Erde da sein, wo sich das Raumschiff nun befindet – und das würde maximal unangenehm werden. Was nun? Kurswechsel? Sich hinter Kallisto verstecken? Naja, erst mal noch eine Dose Sardinen aus dem Lager holen. Verhungern will der Kosmonaut schließlich nicht. Doch da kommen schon die ersten Trümmerchen an und gefährden das Raumschiff massiv. Kritische Treffer, aber immerhin sind sie nun im Schutz von Kallisto. Aber was macht man denn nun so als letzter Vertreter der Menschheit im Universum? Erst mal denkt er an sich, an wen denn auch sonst: Er lässt sich sein Geburtstagsgeschenk aushändigen, obwohl er erst in fünf Monaten Geburtstag hat. Das sei nicht erlaubt, meint der obrigkeitshörige Maxim, aber da gibt es ja gar niemanden mehr, der Anweisungen erteilen kann – außer Melnyk. Also bekommt er sein Geschenk. Eine wunderschöne Ausgabe von Robinson Crusoe. So, was hält der Film jetzt noch an Wendungen bereit? Da kommt durchaus eine: Plötzlich rauscht eine Sprachnachricht aus der Gegend des Saturn herein, eine weibliche, französische. Melnyk weiß nicht so recht, wie er reagieren soll. Maxim meint, es sei der falsche Zeitpunkt, um introvertiert zu sein. Und schon ergeben sich Möglichkeiten zu emotionalen Verwirrungen.
Pavlo Ostrikov gelingt ein wunderbar sarkastisch, schwarzhumoriges, aber auch emotionales und berührendes Stück Weltraumfilm. Und in der Tat, ich will gar nicht spoilern, wird es noch Wendungen geben, Musik wird noch eine entscheidende Rolle spielen – und Kunst, Literatur und Sprache. Das hat mir vom Anfang bis zum Schluss Spaß gemacht und war eben auch emotional. Ostrikov glaubt, dass es der erste ukrainische Weltraumfilm sei. „Es gab einige Filme aus der Sowjetzeit, aber es ist wie die 60er, es ist heute schwer, sich das anzusehen“, sagt er.
- Drehbuch: Pavlo Ostrikov
- Kamera: Nikita Kuzmenko
- Schnitt: Ivan Bannikov, Oleksiy Shamin
- Musik: Mykyta Moiseiev
- Ton: Valeriy Khilobok
- Besetzung: Alexia Depicker, Volodymyr Kravchuk
- Produktion: Anna Yatsenko, Volodymyr Yatsenko
- Co-Produktion: Anton Iffland Stettner, Eva Kuperman
- Produktionsfirma: ForeFilms, Stenola Productions