
Irgendwo in einer einsamen Landschaft in Nordchina. Ein Mann, ein Buschfeuer, ein Motorrad. Punkmusik, der Vorspann: „Nicht mal ein Buschfeuer vernichtet jedes Unkraut. Im Frühling wächst es wieder nach“, heißt es. 2001, Frauentag in Datong City im Norden Chinas. Eine Frau soll in einer Gruppe mit anderen Frauen ein Lied singen. Erst traut sie sich nicht, dann aber doch. Die Frauen haben großen Spaß miteinander. Eine nach der anderen traut sich vorzusingen.
Eine Gruppe Männer vor der Treppe der Parteizentrale oder so. Sie sind zum Fototermin versammelt.
Bergarbeiter haben Feierabend und kommen von Untertage nach Hause.
Eine Disco oder ein Nachtclub, Dancefloor, skurille Aufführungen, spürbar ein Provinzlokal. Pöbelnde und zudringliche Jugendliche. Irgendwelche Lautsprecherdurchsagen, in denen es um die Handelsbeziehungen zu den USA geht.
In dieser unwirtlichen Gegend lernen sich Qiaoqiao (Zhao Tao) und Guo Bin (Li Zhubin) kennen. Lange Kamerafahrten, Musik im Hintergrund: Liebeslieder, Arbeiterlieder, Techno, Pop. Dann ein Jubelzug aus Anlass der kommenden Olympischen Spiele.
Bin ist ein sonderbarer, schweigsamer Typ, der irgendwie frustriert scheint. „Ich geh weg ich will mein Glück versuchen“ simst er ihr irgendwann. Und: „Wenn ich soweit bin, hol ich dich nach“.
Nun macht sich Qiaoqiao auf die Reise, auf die Suche nach Bin. Mit dem Zug, mit dem Boot, ein schweigsames, scheinbar zielloses Roadmovie. Durch die vielfältigen Landschaften, Flusstäler, kargen Gegenden. „Ich mache mir Sorgen“, schreibt sie zwischendurch. Gehört hat sie nichts von ihm. Gar nichts. Die Jahre gehen ins Land, die Landschaften wurden umgestaltet, mit den neuen Dämmen wurden viele Menschen umgesiedelt, viele Dörfer aufgegeben. Sprachlos setzt sie ihre Reise fort. Wird sie Bin wiederfinden?
Über die Entstehung des Films sagt Regisseur Jia Zhang-Ke: „Seit 2001 bin ich oft nach Datong gereist und habe die Stadt mit einer Kamera gefilmt, die ich zu der Zeit genutzt habe. Datong war als Kohlebergbaustadt bekannt, aber als ich dort hinkam, waren die Minen ausgebeutet und die Kohlepreise fielen. Aber Chinas Wirtschaft öffnete und erholte sich schnell: überall, wo ich hinsah, war eine neue Vitalität zu spüren. Ich hielt singende Menschenmengen mit meiner Kamera fest. Ich wirbelte mit den Tänzern herum. Ich folgte jungen Leuten zu ihren Lieblingsplätzen. Die Kamera in meiner Hand wurde überflutet von unbekannten Vergnügungen. In den folgenden zwanzig Jahren bin ich einigen dieser Menschen immer wieder zu den Drei Schluchten am Jangtse, nach Zhuhai im äußersten Süden, in den Nordosten und Südwesten Chinas gefolgt. Mit ihrem Älterwerden entwickelten sich auch die Kameras weiter, die ich dabeihatte: von der einfachen DV-Kamera zur Alexa und zur VR-Kamera. In meinem Schneideraum habe ich mir oft das Material angesehen, das ich im Laufe der Jahre aufgenommen habe. Die Bilder rücken in weite Ferne, denn ich spüre, wie die Zeit, die sie festhalten, entgleitet. Die guten Zeiten der Vergangenheit verwandeln sich fast in einen Traum. Die ganze Zeit über habe ich nach den Zusammenhängen innerhalb dieses Filmmaterials gesucht. Erst im Jahr 2022, während der Covid-Sperrungen, fand ich heraus, dass die Geschichten im Zeitrahmen der zwei Jahrzehnte, die seit Beginn der Aufnahmen vergangen sind, zusammenfinden. Mir fiel auf, dass das Filmmaterial kein lineares Ursache-Wirkung-Muster aufwies. Stattdessen gab es eine komplexere Beziehung, die Dingen aus der Quantenphysik nicht unähnlich ist, in der die Richtung des Lebens von variablen Faktoren beeinflusst und letztlich bestimmt wird, die schwer festzustellen sind.“
Jia Zhang-Ke gelingt ein beeindruckender Film über die Veränderungen Chinas in den letzten Jahrzehnten. Es ist erstaunlich, wie er aus den wohl eher beiläufig entstandenen Aufnahmen der vergangenen Zeit, gemeinsam mit den Spielaufnahmen ein geschlossenes Werk komponiert, ein Film, von dem ein unglaublicher Sog ausgeht. Am Anfang erinnert mich die Landschaft und die Stimmung an Hu Guans BLACK DOG – WEGGEFÄHRTEN, aber bald verlässt der Film die Pfade narrativer Struktur und wird immer mysteriöser. Beeindruckend.
CAST
Qiao ZHAO TAO
Bin LI ZHUBIN
Pan PAN JIANLIN
Blondie LAN ZHOU
SPECIAL APPEARANCE:
Zhou ZHOU YOU
Sänger auf dem Supermarktplatz in Datong REN KE
Gitarrist auf dem Supermarktplatz in Datong MAO TAO
CREW
Regie JIA ZHANG-KE
Drehbuch JIA ZHANG-KE
WAN JIAHUAN
Kamera YU LIK-WAI
ERIC GAUTIER, A.F.C
Montage YANG CHAO
LIN XUDONG
MATTHIEU LACLAU
Originalmusik IM GIONG
Sound Design ZHANG YANG
Art Director YE QIUSEN
LIU QIANG
LIU WEIXIN
LIANG JINGDONG
Produzent CASPER LIANG JIAYAN
SHOZO ICHIYAMA
Co-Produzenten ZHANG DONG
YU LIK-WAI
WANG LI, STEVEN XIANG
Produktionspartner JOSIE CHOU