
© 2024 Mathieu De Montgrand/ Pandora Film
Mit neun wurde Helena Zengel zu einer bekannten Schauspielerin, wenn nicht gar zu einem Star, für ihre Rolle der Benni in Nora Fingscheidts Film SYSTEMSPRENGER. Mit NEWS OF THE WORLD folgte bald sogar eine internationale Rolle, einem Western von Paul Greengrass, für den sie gemeinsam mit Tom Hanks vor der Kamera stand. Mittlerweile ist sie 16 und zumindest die cineastische Öffentlichkeit interessiert sich für einen neuen Film mit Helena Zengel. So wird es auch mit dem Film TRANSAMAZONIA sein, der am 15. Mai 2025 im Verleih von Pandora in die deutschen Kinos kommen wird. Und ich greife voraus: Auch in diesem Film spielt Helena Zengel wieder großartig, ihre Rolle prägt sich ein. Regie führte Pia Marais, eine deutsche, in Südafrika geborene Regisseurin. Sie studierte an der DFFB in Berlin. Man kennt sie vielleicht von IM ALTER VON ELLEN aus dem Jahr 2010. TRANSAMAZONIA feierte seine Premiere in Locarno, wo der Film im Wettbewerb lief.
Der Film beginnt irgendwo im Dschungel Brasiliens. Der Wald ist dicht, man hört nichts als die Tiere des Waldes, wenig Licht dringt bis zum Boden durch. Ein Flugzeugsitz liegt im Wald, eine Gestalt liegt angeschnallt darin, wahrscheinlich ist sie tot, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, denkt man. Man sieht die kleinen Füße eines Kindes, dann sein Gesicht. Waldameisen laufen auf dem reglosen Körper herum, doch dann bewegt der Körper sich, sie regt sich. Ein Mädchen, es lebt, es hat den Absturz überstanden, blutverschmiert, eine Schramme im Gesicht.
Man hat gleich Assoziationen mit fiktiven und wahren Geschichten, die sich einem nun aufdrängen. Etwa jene der Stewardess Vesna Vulovic, die 1972 einen Sturz aus 10.000 Metern Höhe überlebt hatte, in Tschechien. Bäume, Schnee und Zufälle sollen dafür gesorgt haben, dass sie den Absturz überlebt hatte. Oder die Geschichte der 17-jährigen Juliane Koepcke, die 1971 mit ihrer Mutter in einem peruanischen Flugzeug saß, das abstürzte. Auch sie überlebte den Sturz, aus 3.000 Metern Höhe. Sie irrte zehn Tage durch den Wald, fand schließlich einen Fluss und wurde von Waldarbeitern gerettet. Ihre Eltern hatten im Regenwald geforscht, der Dschungel war ihr vertraut. Oder zuletzt die Geschichte aus dem Jahr 2023, als in Kolumbien ein Sportflugzeug in den Wald stürzte und die vier überlebenden Kinder vierzig Tage lang durchschlugen. 13, 9, 4 und 1 waren die Kinder.
Doch die Geschichte geht in eine andere Richtung. Zunächst einmal: Es ist keine Geschichte, die auf Tatsachen beruht, auf wirklichen Ereignissen. Und das Mädchen wird gleich gefunden. Ein indigener Mann steht da, mit Pfeil und Bogen, verwundert entdeckt er das Mädchen, schultert es und nimmt es mit. Ein langer Weg. Schließlich lässt er sie an einem Baum sitzend zurück, damit sie von den Waldarbeitern gefunden wird. Die bringen sie mit dem Boot in den nächsten Ort, dort ist eine Krankenstation. Rebecca heißt sie, erfahren wir mittlerweile. Die Meute ist aufgeregt, eine Überlebende. Und dann kommt ein Mann, es muss ihr Vater sein. Doch ihn überfordert die Situation, er wendet sich von ihr ab. Dann ein Sprung, neun Jahre später.
Das ist die Ausgangssituation, in der wir auf Rebecca treffen, die Geschichte entwickelt sich in eine ganz andere Richtung, als ich zunächst gedacht hätte. Nun also neun Jahre später. Lawrence (großartig gespielt von dem amerikanischen Schauspieler und Regisseur Jeremy Xido) ist Missionar im Regenwald und Rebecca zieht mit ihm durch die Ortschaften. Sie ist eine regionale Berühmtheit geworden, eine Wunderheilerin, zumindest glaubt das die Bevölkerung. Die Menschen kommen mit ihren größeren und kleineren Sorgen zu Lawrence und seiner Tochter Rebecca. Sie hilft und heilt. Gemeinsam singen sie mit den Menschen Lieder. Ein einträgliches Geschäft. Die dramatische Geschichte vom Flugzeugabsturz schildert Rebeccas Vater und beeindruckt damit die Menschen. Sie sei in jener Zeit im Regenwald nicht allein gewesen, da war ER! Schreit der ekstatische Lawrence durch die Gegend und peitscht sein Publikum auf. Und ER habe seiner Tochter wieder Leben eingehaucht. Gott alleine schenke Leben, das sei die Gewissheit, die man daraus ziehen könne. „Und Gott allein nimmt es“, fügt er hinzu. Und dann tritt die charismatische Rebecca vor dem versammelten Dorf auf, redet den Menschen zu, heilt eine gehbehinderte Frau: „Halleluja, sie kann gehen“, ruft die Dorfbevölkerung.
Die Grundidee des Films erinnert mich etwas an einen Film, den ich auf der diesjährigen Berlinale gesehen habe: EL MENSAJE von Iván Fund, ein argentinischer Film über ein Mädchen, das von ihren Pflegeeltern als Tiermedium angeboten wird. Sie könne Kontakt mit Tieren aufnehmen, als Tiermedium.
Aber auch hier nimmt Transamazonia eine andere Richtung ein. Irgendwann begegnen die beiden der Krankenschwester Denise (gespielt von der Schweizer Schauspielerin Sabine Timoteo), Lawrence findet sie einerseits interessant, andererseits steht sie als Medizinerin Wunderheilungen natürlich sehr skeptisch gegenüber. Denise pflegt die Frau eines Dorfbewohners, die im Koma liegt und der verzweifelt ist und sich nun Hilfe durch Rebecca erhofft. „Die Menschen kommen zu uns, wenn sie die Wissenschaft im Stich lässt“, versucht Lawrence den Mann zu trösten und ihm Hoffnung zu geben. Doch dann sind illegale Holzfäller in der Nähe im Regenwald, fällen Flächen und bedrohen das Land der hiesigen indigenen Bevölkerung. Es kommt zu Straßensperren, Schießereien, Auseinandersetzungen und illegalen Baumfällungen. Es gibt Verletzte. Rebecca droht das aus der Bahn zu werfen, gleichzeitig wächst ihr Zweifel am missionarischen Eifer ihres Vaters.
TRANSAMAZONIA erzählt mit beeindruckenden Bildern (Kamera: Mathieu De, Yann-Shan Tsai) eine Geschichte irgendwo zwischen Abenteuerfilm und Ökodrama, mit mythischen und religiösen Elementen und mit einem bravourösen Cast, in der Tat, wie bereits erwähnt, auch hier wieder mit einer eindrücklichen Helena Zengel – und, für mich die Entdeckung dieses Films, mit einer großartigen Sabine Timoteo in der Rolle der Denise.