ONE TO ONE: JOHN & YOKO von Kevin MacDonald ab 26. Juni 2025 in den Kinos

Ende 1971. John Lennon und Yoko Ono verlassen London und ziehen nach New York. Sie würden in einem kleinen Apartment in Greenwich Village leben, sich mit Künstlern abgeben, sich, wie es im Vorspann heißt, unter politisch Radikale mischen – und eine Menge Fernsehen. Das künstlerische Resultat dieser Zeit war das „One to One“-Konzert, das einzige lange Konzert, das John nach dem Verlassen der Beatles gegeben hatte – und das diesem Dokumentarfilm den Titel – und die Struktur verlieh. John und Yoko geben Radiointerviews, setzen sich mit der neuen Lebenssituation in einem neuen Land, in einer neuen Stadt, in einer neuen Karrieresituation auseinander: „Standing on the corner, just me and Yoko Ono“, beginnt Lennons New York-Song: „Up come a man with a guitar in his hand, have a marijuana if you can … The pope smokes dope every day.“ New Yorker Orte spielen in dem Song eine Rolle, die Staten Island Ferry, die Pendler gratis nach Manhattan und Tagesausflügler zu einer billigen Bootstour mit Blick auf die Freiheitsstatue bringt. Greenwich Village, die Künstlerszene: „We decided to make it our home.“ John und Yoko fahren Bus durch den Big Apple, tanzen am Hudsonufer, genießen den Sonnenuntergang.

Und das Radiointerview, das die beiden einer lokalen Station geben, strahlt diese neue Lebenssituation aus, in der sie sich befinden: Lennon will nicht mehr der Schwarm der Teenies sein, er findet sich in der Künstlerwelt wieder, gemeinsam mit Yoko Ono, ist erwachsen geworden, wirkt unglaublich entspannt. „Ich kann es nicht glauben, mit einem Mythos zu sprechen“, sagt einer der Anrufer. Aber genau das will er nicht mehr sein, und er macht sich entspannt lustig über das Wort: Myth World or Myth Universe? Fragen nach den Beatles wehrt er ab: Sie existieren nicht mehr. Sie gehören der Vergangenheit an: „Ich will die Vergangenheit nicht wiederherstellen. Ich will jetzt ich sein.“

Sie geben ein Interview aus jenem berühmten Bett in ihrem Apartment, in dem sie fernsehen. Sport, Politik, Nixon, Fernsehwerbung, die Walton’s, all das – und die Proteste gegen Nixon und gegen den Vietnamkrieg, die bisweilen unverhofft im Mainstream-TV landen. Wir sehen Ausschnitte aus den TV-Interviews, in denen Yoko und John sich darum bemühen, die Deutungshoheit über sich selbst wieder zu erlangen, über sich als künstlerische, politische, autonome Persönlichkeiten. Dann sehen wir „Come together“ als das nächste Lied des „One to One“-Konzerts – „Stop the war“ schiebt Lennon in den Text des Songs ein.

Kevin MacDonald schafft einen Zusammenschnitt, eine Collage jener Jahre und lässt dabei die künstlerische Energie Yoko Onos und die musikalische Kreativität John Lennons sich vermischen mit der politischen Stimmung jener Zeit, mit den Anti-Vietnamproteste etwa, der TV-Kultur, dem Werbetrash des Fernsehens, der Popkultur, ikonische TV-Bilder. „Very early on I decided I wasn’t going to try and chase old men on their deathbeds to get their last John Lennon anecdote—which they’ve probably told before“, erzählt Kevin MacDonald über seine Motivation, seine Herangehensweise an diesen Dokumentarfilm. „I thought: I’m not going to try to be in any way definitive. Wouldn’t it be interesting to just see who is the John, who is the Yoko, who appears out of the archive material? (…) I thought: There’s enough here that we could just let them speak for themselves, allow the audience to eavesdrop on them and allow that to be part of the fun of the film. I think that’s much more interesting than a traditional biopic, where the filmmakers are trying to present a very coherent version of things. As we all know, life is chaotic and contradictory.“

Und in der Tat ist es genau dieses Chaos, diese Widersprüchlichkeit, die diesen Film so beeindruckend macht. Wir bekommen keine stringente Handlung erzählt, weil es diese Stringenz nicht gab. Und damit ist MacDonald präziser in seiner Erzählweise als 90% aller Doku-Biopics, die ich in den letzten Jahren gesehen habe, weil MacDonald eben nicht Kontinuität imitiert oder konstruiert. „I started to hear a lot of interviews with John where he talked about spending a lot of time watching TV when he arrived in New York“, berichtet Kevin MacDonalds. „He was fascinated by it. I remember going to America myself in my early teens, and coming from Britain—where we had two or three TV channels—the embarrassment of vulgar riches on American TV was an incredible thing to behold. I think John felt the same way. We had a lot of fun thinking: Okay, so John was obsessed with TV. He’s sitting there in his basically single room apartment, watching it. We went on this great trawl of watching news footage and commercials and all the stuff you see in the film to conjure a sense of the time and the place and the concerns.“

Mit Watergate nimmt die Dramatik des politischen Erzählstrangs zu und gewinnt an Tempo – und natürlich wissen wir, wohin die Dramatik des Films sich noch entwickeln wird. Es gibt aber auch eine Art running gag, einen comic relief, der die Dramaturgie der Handlung immer wieder auflockert. Ich will nicht zu viel verraten, man achte auf das Thema „Fliegen“. Also die Tierchen: „Flies die everyday. That is the problem.“

Ich finde die collagenhafte Erzählweise des Films, die sich praktisch ausschließlich des vorhandenen Archivmaterials bedient, absolut legitim und wirkungsvoll. Seine Atmosphäre gewinnt der Film natürlich auch in der Auswahl der Filmausschnitte, die den Lennon-Ono-Clips gegenübergestellt werden. Diese Ausschnitte gehen zum Teil so sehr ins Detail der US-amerikanischen Gegenwart Anfang der Siebziger, das einiges davon mir noch nicht bekannt war, etwa das Attentat auf Gouverneur Wallace – umso spannender, auch wenn ich mehr als einmal die Hilfe von Wikipedia brauchte.

„In one way, it’s the ultimate open-ended film“, meint Kevin MacDonald. „You have to take it all in and have your own response to it. There are the shards of these people’s lives as they appear in archival footage and the shards of that period as they maybe saw it on television. It’s not a neat jigsaw puzzle, but it is something you can immerse yourself in. I hope people come away feeling that they understand better who these two people were.“

Insbesondere die Ausschnitte aus dem „One to One“-Konzert wirken unglaublich frisch, modern, rockig, rebellisch, wie tragisch dass wir nicht wissen, wie sich der Mensch und der Musiker John Lennon in den folgenden Jahrzehnten noch weiterentwickelt hätte. Kevin MacDonald jedenfalls gelingt ein beeindruckender Dokumentarfilm über dramatische Jahre – und es ist gerade die Begrenzung auf diese Zeitspanne, die dem Film trotz seiner Collagenstruktur eine erstaunliche Geschlossenheit gibt. „Nur als zwei Liebende“, sagt John kurz vor seinem Tod, möchte er irgendwann erinnert werden. „John und ich lebten, liebten und starben“, sagt Yoko auf dieselbe Frage. Keiner von beiden ahnte, was bald kommen würde.

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